Der Floridsdorfer Stefan Redelsteiner hat Wanda groß gemacht, den Nino aus Wien aus den Heurigen-Tschocherln geholt und das Potenzial des umtriebigen Voodoo Jürgens erkannt und verstärkt. Nach dem Höhenflug kam aber auch der tiefe Fall und die Läuterung – alles nachzulesen in seinen Memoiren „Der Problembär“ (Redelsteiner-Dahimène-Edition).
Sich ständig mit der Populärkultur Befassende wissen, dass Musik aus Österreich vor rund zehn Jahren seinen absoluten Peak erfuhr. Damals gingen die Wiener Strizzi-Rocker Wanda von null auf hundert und komplett durch die Decke, Bilderbuchs zu dieser Zeit bereits zwei Jahre erhältliche Single „Maschin“ dachte Coolness im deutschsprachigen Pop neu, Seiler und Speer reaktivieren die alte Austropop-Kunst mit „Ham kummst“ und eine Liga tiefer spielten sich Der Nino aus Wien und Voodoo Jürgens zunehmend aus den Tschocherln und Beisln hinein in die Gürtellokale und größeren Hallen. All diese Künstler kreuzten mehr oder weniger den Weg des gleichen Typen: Stefan Redelsteiner. Er gilt als Entdecker und Erfinder von Wanda, dem Nino aus Wien und Voodoo Jürgens. Mit Wanda-Rivale und Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst soff er sich in seiner Wohnung den Verstand weg und begrub ein Kriegsbeil, Seiler und Speer sieht er despektierlich als „Schnitzelfresser-Pop“, dessen Aufkommen die kurze Magie einer vielversprechenden neuen Ära schnell wieder zerfraß.
Direkt ins Eingemachte
Willkommen zu „Die Abenteuer des Musikmanagers Stefan Redelsteiner am Rande von Wien, Wanda und Wahnsinn“, wie Redelsteiner seine mit Journalist Gerhard Stöger geschriebene Autobiografie „Der Problembär“ im Untertitel durchaus passend benannt hat. Auf 300 Seiten wälzt der gerade einmal 42-Jährige Anekdoten, Geschichten und (wenn vorhanden) Erinnerungen in die Breite, die man sonst gerne in Musikbüchern lesen würde. Eine wirklich gute Biografie muss man riechen können und Redelsteiner tunkt den Leser tief hinein in eine Welt, die eigentlich mehr Milieustudie, denn musikalische Bestandsaufnahme ist. In einigen Szenen geht er wirklich ans Eingemachte. Man folgt Redelsteiner etwa in seine alte Wohnung, wo Autorin Stefanie Sargnagel Marco Wanda wegen seines bürgerlichen Backgrounds so zur Sau macht, dass diesem die Tränen kommen. Man wird Zeuge, wie die 2013 noch leidlich unbekannten und nirgends vernetzten Wanda beim ersten gemeinsamen Proberaumtreffen in Wien-Leopoldstadt mit markanter Großspurigkeit über eigene Unsicherheiten hinwegtäuschen. Man erlebt durch ein imaginäres Guckloch, wie am Gipfel des Wanda-Erfolgs alles auseinanderbricht und sich die Protagonisten in drogenumnebelter Arroganz gegenseitig seelisch auffressen.
Irgendwo in der Mitte des Buches wirft Redelsteiner dann auch ein, dass er nicht der Entdecker von Wanda gewesen wäre – er hätte nur einfach als erster das Potenzial erkannt und möglichst schnell zugeschlagen. The rest is history, wie man so schön sagt. In „Der Problembär“, der Name seines anfänglichen Erfolgs-Labels, werden jedenfalls keine halben Sachen gemacht. Wo andere Autoren in ihren Erfahrungsberichten gerne verängstigt zurückzucken, um nur ja keinen ungewollten Flächenbrand auszulösen, tritt der Floridsdorfer nicht nur drauf, sondern salzt auch noch grinsend auf offene Wunden. Seine Kritik an uncoole Label-Betreiber, fadenscheinige Möchtegernmusiker oder speichelleckende Trittbrettfahrer versteckt er kaum hinter dem Mantel der Anonymität – die Dinge werden direkt beim Namen genannt, was nicht nur den dramaturgischen Spannungsbogen verstärkt, sondern Außenstehenden Gesichter zu den Chimären einer in sich geschlossenen Künstlergesellschaft vermittelt.
Echten Rock’n’Roll erlebt
Den Gottkomplex, den Redelsteiner in den unheimlichen Erfolgsjahren mit Wanda an den Tag gelegt hat, lässt er in seinen Memoiren dafür noch einmal aufleben. Bei der Rückschau auf die Zeiten, als selbst im bröckelnden Musikbusiness noch ein letztes Mal Milch und Honig flossen, gehen in puncto Selbstverliebtheit öfter die Pferde mit ihm durch. Er ist sich aber auch nicht zu schade, diese schräge Welt der Öffentlichkeit kritisch zu beäugen und dabei am Ende hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Das ständige Gerede vom „Indie-Papst“ habe ihm freilich den Kopf verdreht, zudem war der Alkoholismus lange so stark bei Redelsteiner verankert, dass der eine oder andere Filmriss womöglich weitere köstliche Anekdoten versenkt hat. Als Gratwanderer zwischen Arroganz und Wahnsinn hat der Manager aber einige Jahre lang genau das erlebt, von dem er immer geträumt hat: echten Rock’n’Roll. Eine österreichische Light-Version aus den Beatles und Oasis sozusagen – zwei der absoluten Lieblingsacts Redelsteiners.
Um das Wesen hinter seinem Tun zu verstehen, nimmt er den Leser auch mit in sein Aufwachsen. Das Proletariat in Wien-Floridsdorf hat ihn geprägt, dort, wo sich die schicke Wiener Indie-Szene niemals hin verirren würde und wo man Argumente eher mit Faustwatschen, als mit offenem Diskurs durchsetzt. Das ambivalente und angespannte Verhältnis zum Elternhaus, der tragische Tod des Vaters, der wichtige Rückhalt einer toleranten, langjährigen Freundin und das stete Festhalten an der eigenen Sozialisation, das ihm während der ganz fetten Wanda-Jahre kurzzeitig verlustig ging, sind die prägenden Anhaltspunkte zum Verständnis dafür. Redelsteiner inszeniert sich als Unangepassten und von keinem Gemochtem, der den meist aus betuchten Häusern stammenden Cool-Kids aus der urbanen Indie-Szene ebenso reserviert gegenüberstand wie sie ihm. Diese Außenseiterhaltung ermöglichte ihm aber Freiheiten abseits der ungeschriebenen Gesetze, die schließlich zu Erfolg und Niedergang führen sollten.
Lieber auf die Goschen, als im Korsett
„Der Problembär“ ist neben rauschenden Erfolgen aber auch ein schutzloser Sprung in die ernüchternde Tiefe des Versagens. Die Trennung von Wanda war nicht nur persönlich, sondern auch finanziell schmerzhaft. Der Manager-Autodidakt verpokerte sich gründlich und kam nie wieder an die Erfolge von damals heran. Es folgen Läuterung, Askese, innere Neukalibrierung und schlussendlich die Abkehr von allen toxischen Suchtmitteln. Dass Redelsteiner immer die Öffentlichkeit gesucht hat und als eigentlich im Rockstar-Hintergrund stehender gerne selbst leuchten wollte, kann man genauso kritisch sehen wie die Tatsache, dass er sich mit seiner angeborenen Streitlustigkeit bewusst viele Türen im Business versperrte. Gerade deshalb ist „Der Problembär“ aber einer, der etwas erlebt und zu erzählen hat. Einer, der in einer Welt voller Oberflächlichkeiten, falscher Bussi-Bussis und stockschnöder Zahlenreiterei den Dreck förderte und lieber einmal öfter auf die Goschen fiel, als sich in ein unpassendes Korsett zwängen zu lassen. Redelsteiner kann man lieben oder hassen – wuascht ist er in der Branche aber niemandem.
Buchpräsentation im Rhiz
Die Buchpräsentation von „Der Problembär“ findet am 4. Juni im Wiener Gürtellokal Rhiz statt – dort, wo für Redelsteiner alles begann. Befreundete Musiker werden den Abend klanglich begleiten.
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