Scharia und Gewalt

Kampf um Mali: “Afghanistan im Sahel” befürchtet

Ausland
16.10.2012 16:45
In Afrika droht wieder einmal ein neuer Kriegsschauplatz. Denn niemand will die von Islamisten im April einseitig verkündete Unabhängigkeit von "Azawad" in Nordmali inmitten der endlosen Sahara hinnehmen. UNO, EU und Afrikanische Union befürworten notfalls eine gewaltsame Beendigung des Spuks in dem Land. Denn angesichts des Vormarsches der Fundamentalisten wird ein "Afghanistan im Sahel" befürchtet.

Erst jüngst berichtete der stellvertretende UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Ivan Simonovic, von "schrecklichen Menschenrechtsverletzungen" in Nordmali, das mit seinen etwa 1,4 Millionen Einwohnern mehr als doppelt so groß wie Deutschland ist. Es gebe Hinrichtungen, Amputationen und Steinigungen. Vor allem die Frauen seien völlig entrechtet - von ihnen sind dort laut der Weltgesundheitsbehörde WHO 90 Prozent ohnehin schon genitalverstümmelt. Zudem kaufen islamistischen Milizen laut Simonovic Kinder für ein paar Hundert Dollar von ihren Eltern, um ihre Reihen aufzufüllen.

Scharia eingeführt
In Mali hatte Ende März eine Gruppe Soldaten den langjährigen Präsidenten Amadou Toumani Toure entmachtet. Danach gelang es Tuareg-Rebellen und mit ihnen verbündeten Islamisten, weite Teile des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen. Inzwischen vertrieben die Islamisten die Tuareg aus den meisten großen Städten und führten das islamische Recht der Scharia ein, die Zivilbevölkerung wird mit brutaler Gewalt unterdrückt. In der Oasenstadt Timbuktu zerstörten die Extremisten zudem angeblich "gotteslästerliche" Kulturdenkmäler – dieselbe Vorgehensweise, welche die radikalislamischen Taliban in Afghanistan an den Tag legten.

Die Islamistengruppe Mujajo, die fundamentalistische Ansar Dine (Bild) und andere kleinere Organisationen sollen Verbindungen zum nordafrikanischen Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida unterhalten. Sie verbreiten weit über das Wüstenland hinaus Angst und Schrecken: "Die Krise hat das Potenzial, auf die ganze Region, sogar ganz Afrika überzugreifen", warnte die neue Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union, Nkosazana Dlamini-Zuma. Auch Europa und die USA fürchten ein neues Afghanistan im Sahel. Verhindert werden soll ein islamischer Gottesstaat, in dem Terrorgruppen wie Al-Kaida eine sichere Basis haben - so wie es Afghanistan vor dem westlichen Militäreinsatz ab 2001 war.

Starke Zweifel an afrikanischer Mission
Dlamini-Zuma verkörpert den Anspruch Afrikas, künftig selbst die Konflikte auf dem Kontinent zu lösen. Denn es gab viel Verbitterung, als die Bürgerkriege in Cote d'Ivoire und in Libyen von westlichen Militärs entschieden wurden. Nun sollen "Friedenstruppen" der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam mit Soldaten Malis eingreifen. Aber es bestehen erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten einer afrikanischen Mission. "Es fehlt an fast allem, an Ausrüstung, Ausbildung und Erfahrung. Zudem stehen diese Soldaten leider im Ruf, Hasenfüße zu sein", meinte etwa ein ranghoher europäischer Diplomat auf dem Weg in Malis Hauptstadt Bamako.

Dort versammeln sich am Freitag alle Beteiligten, um eine gemeinsame Strategie zu finden. Die EU beschloss, dass Experten aus der Union Malis Truppen trainieren sollen. Frankreich und die USA leisten auf verschiedenen Ebenen finanziell, militärisch und logistisch Hilfe - aber alle betonen, dass sie keine eigenen Truppen entsenden wollen. Doch niemand weiß, wie Paris reagieren wird, wenn es hart auf hart kommt - ob dann nicht doch beispielsweise die Fremdenlegion eingreift. Frankreich war bis 1960 Kolonialmacht in Mali.

Intervention könnte "zur Hölle" werden
Noch sei es für eine Einigung in Mali - etwa mit einem weitgehend autonomen Norden - nicht zu spät, mahnt die Afrikanische Union. Obwohl Afrika einen Islamistenstaat fürchtet, lehnen viele Staaten des Kontinents eine Intervention ab. Skepsis gibt es in Mali selbst, aber auch etwa beim nördlichen Nachbarn Algerien, das vor einem Flächenbrand warnt. Auch der Politologe Abdelkader Abderrahmane vom Politikinstitut ISS in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba meint, im Falle eines Militäreinsatzes drohten "dramatische Konsequenzen" für die ganze Region. Der Kampf gegen Terroristen in der unwegsamen Wüste würde für die Truppen "zur Hölle" werden.

Das Treffen in Bamako, ein für November angekündigte UNO-Bericht zu Mali sowie eine zweite Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat sind wohl die letzten Hürden vor einer militärischen Intervention. Die Vorbereitungen dafür sind westlichen Diplomaten zufolge aber auch der Aufbau einer "Drohkulisse", um die keineswegs homogene Front im Norden Malis zu beeinflussen, vielleicht sogar zu spalten: "Es gibt auch im Norden moderate Kräfte."

"Multi-Krise" im Sahel
Denn die Lage der Menschen im Norden Malis hat sich drastisch verschlechtert. Schulen seien geschlossen worden, viele Menschen hungerten, berichtete Simonovic. Drogen- und Menschenhandel blühten. Seit dem Frühjahr sind über 300.000 Menschen aus dem Norden des Landes geflohen. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach angesichts dieser Umstände samt der anhaltenden Dürre im Sahel von einer "Multi-Krise".

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