Baldiges Referendum

Schotten wollen Unabhängigkeit – London wird nervös

Ausland
11.01.2012 11:12
Großbritannien droht ein Zacken aus der Krone zu brechen - und zwar ein gewaltiger. Schottland, seit über 300 Jahren mit England zwangsvereinigt, strebt immer stärker nach Unabhängigkeit. Was in London lange als Ego-Trip von Nationalisten unterschätzt wurde, macht jetzt die Politiker in Westminster nervös. Wie die schottische Regionalregierung am Dienstag mitteilte, soll im Herbst 2014 über die Unabhängigkeit abgestimmt werden. Und die Chancen für einen positiven Ausgang des Referendums steigen.

Seit die linksliberale Schottische Nationalpartei (SNP) im Mai 2011 die Regionalwahlen klar für sich entschied und mit absoluter Mehrheit ins Regionalparlament einzog, hat auch London erkannt: Es wird ernst. Spitzenbeamte aus dem Umfeld von Premierminister David Cameron warnen schon seit Monaten.

Die Umfragewerte in Schottland, lange Zeit eine Beruhigungspille für das Londoner Polit-Establishment, klettern langsam aber sicher in Richtung Unabhängigkeit. Seit der Wahl im vergangenen Mai machte die SNP, die massiv für die Unabhängigkeit Schottlands eintritt, zwischen sechs und neun Prozentpunkte gut. Inzwischen sind bis zu 40 Prozent der fünf Millionen Schotten für die komplette Abspaltung von Großbritannien.

Cameron drängt aus Kalkül auf schnelles Referendum
Cameron hat nun die prekäre Lage erkannt - zu spät, wie viele Beobachter meinen. Am vergangenen Wochenende versuchte er, das Heft in die Hand zu nehmen: Eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands solle bereits innerhalb der nächsten 18 Monate über die Bühne gehen. Laut Cameron brauche man damit nicht bis zum Jahr 2014 zu warten, wie es die schottische Regionalregierung plane. Sollte seine Forderung erfüllt werden, werde er das Ergebnis auch als bindend anerkennen. Offenbar setzt Cameron darauf, den Nationalisten möglichst wenig Zeit zur Mobilisierung bis zu einem Referendum zu geben.

Die britischen Medien sprachen von einer Verzweiflungstat. Cameron wolle nicht als der Regierungschef in die Geschichte eingehen, unter dessen Führung das Vereinigte Königreich auseinanderbricht. Denn wie der Premierminister erst am Wochenende erklärte, sei die britische Union aus England, Nordirland, Wales und Schottland "eine der erfolgreichsten Partnerschaften der Weltgeschichte".

Schottlands Regionalregierung: "Diese Zeiten sind vorbei"
"Nördlich der Grenze", wie es in einigen britischen Zeitungen schon heißt, wird Camerons Schritt als Affront empfunden. Der schottische Ministerpräsident Alex Salmond wies die Forderung am Dienstag im britischen TV-Sender BBC entschieden zurück. Schottland werde sich nicht von London aus die Bedingungen diktieren lassen. "Diese Zeiten sind vorbei." Die Frage der Unabhängigkeit sei "für Schottland als Nation" eine der wichtigsten Fragen der zurückliegenden Jahrhunderte. Vize-Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon nannte Camerons Ankündigung einen "unverhohlenen Versuch, sich in Angelegenheiten einzumischen, die den schottischen Bürgern vorbehalten sind".

Die Taktiker in Edinburgh möchten nämlich lieber noch ein wenig warten mit der Volksabstimmung. 2014, wenn die Schotten den 700. Jahrestag der Unabhängigkeitsschlacht von Bannockburn feiern, erhofft sich die SNP den entscheidenden Impuls, der ihr zum Sieg über die Engländer reichen könnte - diesmal nicht auf dem Schlachtfeld, sondern an den Wahlurnen. Am Dienstag gab Salmond dann offiziell den Herbst 2014 als Termin für das Referendum bekannt.

Daraufhin signalisierte Cameron am Mittwoch Verhandlungsbereitschaft. Die Zentralregierung in Westminister wolle in direkte Gespräche mit der Regionalregierung in Edinburgh eintreten, um sich über den Zeitpunkt und die Modalitäten des Referendums zu verständigen, sagte Cameron im Parlament in London. Es werde "zu bestimmter Zeit" auch ein Treffen zwischen ihm und seinem schottischen Gegenspieler Salmond geben.

Streit über Wirtschafts-, Europa- und Verteidigungspolitik
Die Westminster-Parteien haben Schottlands Identitätsfrage lange Zeit vernachlässigt - obwohl Edinburgh zu großen Teilen von Quersubventionierungen profitiert. So können sich die Schotten beispielsweise im Gesundheitssystem oder in der Bildung Geschenke an die Bürger leisten, die im Rest Großbritanniens undenkbar wären. Freie Arzneimittel etwa, oder kostenlose Zahnarztbesuche. Doch vor allem über die Wirtschafts-, Europa- und Verteidigungspolitik gibt es ständigen Streit mit London.

Für den SNP-Fraktionschef in Westminster, Angus Robertson, der mit viel Herzblut den erfolgreichen SNP-Wahlkampf 2011 geleitet hat, ist die schottische Unabhängigkeit eine Lebensaufgabe. "Wir wollen entscheiden, ob wir weiterhin der Müllplatz für alle britischen Atomwaffen sein wollen", sagte er am Dienstag. Und: Schottische Soldaten würden in "illegale Kriege" wie im Irak gehetzt.

Was die Wirtschaft betrifft, erklärte Robertson: "Warum haben wir nicht dasselbe Maß an wirtschaftlichem Wohlstand wie unsere Nachbarn in Skandinavien? Wir sind der größte Erdöl-Förderer in der EU." Das schottische Öl bringt London im Jahr umgerechnet rund 7,2 Milliarden Euro allein an Steuereinnahmen. Zudem habe Schottland laut Robertson enorme Ressourcen bei den erneuerbaren Energien.

"Wollen im Gegensatz zu London positive Rolle in EU spielen"
Zu guter Letzt spielte der SNP-Politiker auch noch auf Großbritanniens angespanntes Verhältnis zu den anderen Staaten der Europäischen Union an: "Wir wollen eine positive Rolle in der EU spielen - das, was London derzeit nicht tut."

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