Einen schönen Mittwochabend.
Heutzutage kann man keinen Streaming-Anbieter mehr aufrufen, ohne von einem Serienmörder angelächelt zu werden. Das inflationäre Plündern menschlicher Körper ist diesem True-Crime-Trend geschuldet, dem Nachhecheln echter Verbrechen - da werden längst geschlossene Fälle wieder aufgewärmt, weil in der Welt aktuell ja sonst nichts los ist. Besonders beliebt bei den Jungen ist der US-Kannibale Jeffrey Dahmer, der 28 Jahre nach seinem Tod auf Netflix wieder Homosexuelle in Säure auflösen darf. Da landen Dinge in der Pfanne, sag ich Ihnen, die werden so nicht einmal im Wiener Rathauskeller serviert. Und das Publikum ist begeistert: Dahmer als Halloweenverkleidung, Dahmers Originalbrille wird versteigert, die schönsten Dahmer-Szenen auf TikTiok, fehlt nur noch das Dahmer-Kochbuch mit der Antwort auf die Frage, die sich derzeit offenbar erschreckend viele stellen: Welcher Wein passt am besten zu Herz? Nun könnte es aber passieren, dass von diesem True-Crime-Trend früher oder später auch die ÖVP erfasst wird. Und nein, aufgepasst, ich vergleiche die Volkspartei selbstverständlich nicht mit einem geisteskranken Menschenfresser, der in seinem Kühlschrank Schädel sammelte, zudem beweist die Causa rund um Thomas Schmid ganz klar, dass bei der Volkspartei in diesem Fall offenbar niemand Köpfchen hatte.
Jedenfalls ist die aktuelle Affäre Netflix-würdig. Es geht um einen Kronzeugen, einen Kurzzeitkanzler, einen Nationalratspräsidenten, Meinungsforscher, einen angeblichen Milliardär, einen Millionär, einen cholerischen Zeitungsmacher, und um eine Menge Korruption, Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit, Untreue usw. Mutmaßlich natürlich. Es gilt die Unschuldsvermutung. Diese Beschreibung wird allmählich zu einer statistischen Größe in diesem Land. Immerhin leben in Österreich vermutlich bereits mehr ÖVPler mit Unschuldsvermutung als zum Beispiel Finnen. Ex-Finanzminister Gernot Blümel verriet einmal in einem Interview, er wolle sich im Falle eine Verfilmung von Schauspieler Joseph Gordon-Levitt spielen lassen. Eine Ähnlichkeit ist da. Sagen wir so: Blümel kommt der Erfüllung seines Wunsches immer näher.
Wenn es die Netflix-Serie rund um die ÖVP-Affäre dann rauf und runter spielt, was sehen wir da? Wir sehen, dass es sich die da oben immer richten können, dass sie sogar Steuerverfahren verschwinden lassen können in einer Dimension, die David Copperfield vor Neid erblassen lässt, weil es ihm nur mit der Freiheitsstatue gelungen ist - während das Finanzamt jeden Würstelstandbesitzer oft bis aufs Blut quält wegen ein paar Euro zu wenig für die Käsekrainer. Wir sehen, wie mit Top-Jobs gedealt wird und Immobilien hin- und hergeschoben werden wie bei Monopoly, während die immer Gleichen immer reicher werden. Wir sehen, wie dünn die Luft an der Politspitze ist, wenn man es durch heiße Luft nach oben schafft. Und dank der ein oder anderen aufgemascherlten Umfrage. Wir sehen aber auch einen grünen Koalitionspartner, der mit seinem Krümmungsgrad den EU-Gurken alle Ehre macht, der sich verzweifelt an der Macht festklammert, weil die Büros so hübsch sind. Wie gesagt: Es gilt die Unschuldsvermutung. Wie immer. Außerhalb Österreichs werden die Netflix-Zuseher die Serie für erfunden halten - wie „House of Cards“ oder „Marseille“. Unsere einzige Chance.
Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.
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