Politisches Erdbeben

Türkei: Generalstab tritt nach Streit mit Regierung zurück

Ausland
30.07.2011 08:54
In der Türkei haben die ranghöchsten Militärs des Landes ihre Ämter niedergelegt. Generalstabschef Kosaner, Heereskommandant Ceylanoglu, Marinekommandant Yigit und Luftwaffenchef Aksay baten am Freitag um die Versetzung in den Ruhestand. Der in der Geschichte der Türkei einzigartige Massenrücktritt der Armeespitze ist Folge anhaltender Spannungen zwischen den Militärs und der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.

Die Generäle reichten ihre Pensionierungsanträge drei Tage vor der halbjährlichen Sitzung des Hohen Militärrats (YAS) ein, bei dem es um die Beförderung hoher Offiziere gehen sollte. Erdogan, der das Gremium zusammen mit dem Generalstabschef leitet, hatte laut Pressemeldungen in Vorgesprächen mit den Militärs klargemacht, dass er keine Beförderung von Offizieren abzeichnen werde, denen die Verwicklung in Putschpläne gegen seine Regierung vorgeworfen wird.

Armeeangehörige wegen Putschvorwürfen vor Gericht
Derzeit müssen sich fast 200 aktive und pensionierte Armeeangehörige wegen Putschvorwürfen vor Gericht verantworten, 43 Generäle befinden sich in Untersuchungshaft. Obwohl noch niemand verurteilt wurde und die Offiziere demnach offiziell als unschuldig gelten, wollte Erdogan, dass die YAS ein politisches Signal gegen illegale Umtriebe in der Armee setzt. Erst am Donnerstag hatte er gegenüber Journalisten gesagt, er erwarte keine Probleme bei der YAS.

Die Rücktritte werden deshalb als Protestaktion der Militärs gesehen, die seit 1960 vier Regierungen in der Türkei von der Macht verdrängt haben - aber auch als Eingeständnis einer Niederlage im Machtkampf gegen die Regierung.

Am Freitagabend konferierten Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül mit dem einzigen noch verbliebenen Mitglied des Generalstabs, dem Gendarmerie-Kommandant Necdet Özel. Möglicherweise soll Özel nun zum neuen Generalstabschef ernannt werden. 

"Es ist ein politisches Erdbeben"
Anders als in den Streitkräften der USA oder Westeuropas hatten die Militärs in der Türkei lange Zeit selbst und ohne Einmischung der gewählten Regierungen über die Postenverteilungen in der Armee entschieden. Erst Erdogans Regierung machte damit Schluss: Im vergangenen Jahr endete ein Streit über Beförderungen bei der YAS mit einem Rückzug der Generäle.

Doch das damalige Treffen war nichts im Vergleich zum derzeitigen Drama: "Es ist ein politisches Erdbeben", meinte die Kolumnistin Asli Aydintasbas. Die erfahrene politische Beobachterin Nazli Ilicak spekulierte, der Massenrücktritt sei möglicherweise auch eine Reaktion auf Pläne der Regierung zur Neuordnung des Kampfes gegen die kurdischen PKK-Rebellen: Seit dem Tod von 13 Soldaten bei einem PKK-Gefecht Mitte Juli, nach dem die Armee taktische Fehler einräumen musste, denkt die Regierung laut über eine Verlagerung der PKK-Bekämpfung von der Armee auf die Polizei nach.

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