Gewalt als Sabotage?

Straßenschlacht vor brennender Kirche in Kairo

Ausland
08.05.2011 16:34
Eine neuer Ausbruch der Gewalt hat in der Nacht auf Sonntag die ägyptische Hauptstadt Kairo heimgesucht. Bei einer Straßenschlacht zwischen Muslimen und Christen vor einer in Brand gesteckten Kopten-Kirche im Armenviertel Imbaba sind zwölf Menschen getötet und 230 weitere verletzt worden. Auslöser waren offenbar Gerüchte, dass in der Kirche eine zum Islam konvertierte junge Frau festgehalten worden sein soll. Säkuläre Blogger verdächtigen Anhänger des gestürzten Machthabers Hosni Mubarak als Anstifter, die mit der Gewalt die Bemühungen um ein demokratisches Ägypten sabotieren wollen.

Dutzende Soldaten blockierten in der Nacht auf Sonntag mit gepanzerten Fahrzeugen den Zugang zur Kirche und schossen in die Luft, um die beiden Parteien auseinanderzuhalten. Die beiden Gruppen warfen Steine aufeinander, während Moslems eine Wohnung nahe der Kirche durch einen Molotowcocktail in Brand setzten. Auch Schusswaffen seien zu sehen gewesen, heißt es.

Einige der Christen warfen den Soldaten vor, sie nicht ausreichend zu beschützen. Später gingen Sondereinsatzkräfte vor der Kirche in Stellung. Das Gotteshaus ging in Flammen auf und wurde schwer beschädigt. Unter den Toten seien auch zwei Muslime gewesen.

Der ägyptische Mufti Ali Gomaa verurteilte die Zusammenstöße. Sie könnten nicht von "gläubigen Menschen, die ihre Religion verstehen, ob Muslimen oder Christen" verursacht worden sein, sagte der vom Staat ernannte oberste Geistliche des Landes. Ein General sagte im Fernsehsender ON-TV, die Armee werde nicht zulassen, dass eine Gruppe ihre Hegemonie in Ägypten durchsetze. Jeder am Ort der Zusammenstöße könne verhaftet werden, warnte er.

Kurz nach den Zusammenstößen in Imbaba zogen koptische Christen vor die US-Botschaft in Kairo. Sie kündigten an, so lange dort ausharren zu wollen, bis der US-Botschafter mit ihnen über die "Ungerechtigkeiten gegen die christliche Minderheit" spricht.

"Versuch, das Schicksal der Nation aufs Spiel zu setzen"
Der Militärrat gab am Sonntag bekannt, dass 190 Menschen am Schauplatz festgenommen wurden. Sie würden vor ein Militärgericht gestellt und "wegen des Versuchs, das Schicksal der Nation aufs Spiel zu setzen, exemplarisch bestraft", hieß es in einer Erklärung. Über die konfessionelle Zuordnung der Festgenommenen wurden keine Angaben gemacht. Der Militärrat lenkt das Land seit dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak am 11. Februar.

Die ägyptische Regierung kündigte am Sonntag an, die Sicherheit im Land "mit eiserner Hand" zu garantieren. Alle, die der Sicherheit schaden wollten, müssten mit einem harten Vorgehen rechnen, sagte Justizminister Abdel Aziz al-Gindi nach einer Krisensitzung des Kabinetts in Kairo. Die Regierung werde "umgehend und streng" jene Gesetze anwenden, die Angriffe gegen religiöse Stätten und die Glaubensfreiheit unter Strafe stellten. Dabei kämen auch Anti-Terror-Gesetze gegen Unruhestifter zur Anwendung.

Die Frau, die in der St.-Mina-Kirche angeblich gegen ihren Willen festgehalten wurde, sei zum Islam konvertiert, um einen muslimischen Mann heiraten zu können, hieß es. Der Wahrheitsgehalt dieser Vermutungen ließ sich allerdings nicht überprüfen bzw. deutet vieles darauf hin, dass in der Kirche keine Person festgehalten wurde. Liebesbeziehungen gemischt-religiöser Paare sind in Ägypten immer wieder Auslöser von Gewalt. Oft spielen dabei aber auch aus der Luft gegriffene Gerüchte eine Rolle, die von Fundamentalisten oder nach Chaos trachtenden Kräften in Umlauf gebracht werden.

Blogger orten Schlägertrupps als Anstifter
Unklar blieb zunächst, inwieweit die zunächst verdächtigte Bewegung der Salafisten - besonders fundamentalistische und zur Gewalt neigende Muslime - die Zusammenstöße provoziert haben. Tatsächlich leben in Imbaba fromme Muslime und Christen weitgehend friedlich nebeneinander. Muslimische Nachbarn der angegriffenen Kirche und säkulare Blogger, die zum Schauplatz geeilt waren, behaupteten, dass sie keine Salafisten gesehen hätten. Stattdessen seien Schläger und Kriminelle, wie sie oft vom Geheimdienst des Mubarak-Regimes gedungen und eingesetzt worden waren, die Rädelsführer der Ausschreitungen gewesen.

"Nur Leute auf der Straße, nichts, was sie als irgendjemand Konkreten auswiese", twitterte der Blogger David Botti. Ähnliches beobachtete sein ägyptischer Kollege Mahmoud Salem, der unter dem Namen "Sandmonkey" Prominenz erlangte: "Augenzeugen sagen, es waren keine Salafisten, sondern Kriminelle, die wegliefen, nachdem sie das Feuer gelegt hatten." Der Begriff "Kriminelle" ist in diesem Zusammenhang klar umrissen: Er steht für Schläger und Kleinverbrecher, die das Mubarak-Regime für derartige schmutzige Aufgaben anzuwerben pflegte. Nach dem Umsturz wurde der Geheimdienst, der dies besorgte, formell aufgelöst.

Kopten und Muslime bei interreligiösen Ehen konservativ
Die Geschichte der angeblichen Christen-Konvertitin erinnert an frühere Fälle, die viele muslimische Gemüter erregten. So soll die mit einem koptischen Priester verheiratete Camille Schehata im Vorjahr ihrem Mann davongelaufen und zum Islam konvertiert sein. Die Kirche habe sie aber aufgespürt und halte sie nun in einem Kloster gefangen, lautet die Fama. Die koptische Kirche dementierte: Schehata sei nie konvertiert, sondern nach einem Ehestreit aus freien Stücken zu ihrem Mann zurückgekehrt.

In Ägypten werden Ehestands- und Familienangelegenheiten hauptsächlich von den Religionsgemeinschaften selbst geregelt. Da aber im Land der Islam die Staatsreligion ist und die Muslims mit 90 Prozent die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellen, sind die Rechte nicht gleich verteilt. Nicht-muslimische Männer, die eine muslimische Frau heiraten wollen, müssen zum Islam konvertieren. Die Christen können dagegen eine umgekehrte Regelung für die "Einheirat" nicht-christlicher Männer nicht durchsetzen. Denn eine Konvertierung vom Islam zum Christentum ist im Islam schlicht nicht vorgesehen und wird als "Häresie" betrachtet.

Christinnen brauchen zwar bei der Ehelichung eines muslimischen Mannes nicht zu konvertieren. Bei derartigen Konflikten stehen aber oft schon verheiratete Christinnen im Mittelpunkt, die eine neue Ehe mit einem muslimischen Mann eingehen wollen. Da bei den orthodoxen und äußerst konservativen Kopten eine Scheidung praktisch nicht möglich ist, konvertieren sie zum Islam.

Religiöse Eiferer beider Konfessionen kämpfen deshalb verbissen um jede einzelne Seele. Oft reicht das abstruseste Gerücht, um in einem gemischt-konfessionellen Dorf oder Großstadt-Viertel einen blutigen Religionskrieg vom Zaun zu brechen. Viele in Ägypten glauben, dass das gestürzte Mubarak-Regime diese Konflikte durch seine Agenten bewusst schürte, um sich selbst als das einzige Bollwerk gegen den islamistischen Extremismus darzustellen.

Immer wieder Gewalt gegen Kopten
Zuletzt waren Anfang März in Kairo bei Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Kopten 13 Menschen getötet und rund 100 weitere verletzt worden. Auslöser der Gewalt im Vorort Mokattam waren Proteste gegen die Zerstörung einer Kirche südlich der ägyptischen Hauptstadt durch extremistische Muslime.

Die Kopten gehören zu einer der ältesten christlichen Gemeinden der Welt und sind die größte christliche Glaubensgemeinschaft im Nahen Osten. In Ägypten stellen sie bis zu zehn Prozent der 80 Millionen Einwohner. Sie sehen sich im Alltag Diskriminierungen und Benachteiligungen durch die muslimische Mehrheit ausgesetzt. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Religionsgemeinschaften. In der Neujahrsnacht waren bei einem Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in der Hafenstadt Alexandria wenige Tage vor dem koptischen Weihnachtsfest 21 Menschen ums Leben gekommen.

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