Heftig kritisiert

Ungarns Präsident unterzeichnet neue Verfassung

Ausland
25.04.2011 14:23
Der ungarische Staatspräsident Pal Schmitt hat am Montag im Sandor-Palast in Budapest die neue Verfassung unterzeichnet. Die Ungarn sind hinsichtlich ihres neuen Grundgesetzes gespalten. Die Anhänger der mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament ausgestatteten, rechtskonservativen Regierungspartei Fidesz-MPSZ feuern die Verfassung, die Gott, die Stephanskrone und das Vaterland, das Christentum, die Familie, Treue, Glaube, Liebe und Nationalstolz beschwört.

Schmitt, ein Vertrauter von Premier Viktor Orban, sagte bei der Unterzeichnung zur Mittagsstunde, die neue Verfassung sei "wie der in die Erde gesetzte Samen, der darauf wartet, dass er zur dafür bestimmten Zeit zum Stängel hinaufsprießen und dabei das alte Selbst, mit dem ihm innewohnenden Geist vergangener Zeiten, der Vergangenheit übergeben kann".

Die sorgfältig und mit Pomp inszenierte Unterzeichnungszeremonie im Budapester Sandor-Palast, dem Sitz des Staatspräsidenten, wurde von den staatlichen Fernsehkanälen und mehreren privaten TV-Sendern zeitgleich gezeigt. Danach nahm Schmitt vor dem Palast eine feierliche Wachablösung ab, Fanfarenstöße ertönten. Für den Abend war ein Festkonzert im Budapester Palast der Künste geplant, bei dem Schmitt ebenfalls eine Rede halten wollte.

Das ungarische Parlament hatte die Verfassung, die von der regierenden rechtsnationalen Partei Fidesz entworfen worden war, vor genau einer Woche beschlossen. Fidesz hat im Parlament die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit. Das neue Grundgesetz wurde im In- und Ausland kritisiert, weil es nationalistisches Pathos zur Rechtsnorm erhebt, Grundrechte nicht ausreichend schütze und es möglich macht, dass Fidesz jede Nachfolgeregierung handlungsunfähig machen kann.

Zweifel an Live-Übertragung
Nach Angaben des Staatsfernsehens MTV wurde die Unterzeichnung live aus Schmitts Büro übertragen. Zu der Zeremonie waren keine unabhängigen Journalisten zugelassen, nur Kameraleute des Staatsfernsehens waren dabei. Alle Sender zeigten dieselben Bilder in derselben Schnittfolge. Bei professionellen Betrachtern kamen Zweifel auf, ob es tatsächlich eine Liveübertragung war.

Neben der umstrittenen Verfassung hat Ungarn seit dem 1. Jänner dieses Jahres ein Mediengesetz, in dem Kritiker ein Instrument der Zensur sehen. Privaten Medien drohen ruinöse Strafen für redaktionelle Inhalte, die ein parteipolitisch einseitig besetztes Gremium verhängen kann. Die öffentlich-rechtlichen Medien wurden unter das Dach einer einheitlichen Institution gebracht, die die Nachrichtensendungen zentral produziert.

Opposition: Verfassung "illegitim"
Die Gegner des Grundgesetzes kritisieren demgegenüber, Premier Orban wolle mit der neuen Verfassung nur seine Macht "einzementieren". Heftige Kritik kam jedoch auch aus dem rechten, enttäuschten Lager. Forderungen von dieser Seite, wie ein Zwei-Kammer-Parlament und die direkte Wahl des Staatspräsidenten, sind nicht in das Grundgesetz eingeflossen. Für die oppositionellen Sozialisten (MSZP) ist die neue Verfassung "illegitim" und nur "vorübergehend". Wenn die Sozialisten die nächsten Wahlen gewinnen, wollen sie sie wieder "rückgängig machen". Das neue Grundgesetz wird am 1. Jänner 2012 in Kraft treten.

Angesichts ihrer unter einem Drittel liegenden Präsenz im Parlament habe die Opposition, die der Abstimmung am 18. April teils fernblieb, teils mit Nein stimmte, keine Verantwortung bezüglich der neuen Verfassung, konstatierte der Verfassungsrechtler Peter Tölgyessy im Radio. Ungarn komme mit dem neuen Grundgesetz nicht zur Ruhe, sondern der "politische Kampf" werde auf einem anderen Gebiet fortgesetzt.

Orban: "Dokument der Wiedergeburt"
Viktor Orban selbst bezeichnete die neue Verfassung als "Dokument der Wiedergeburt", da ihre Unterzeichnung auf den Ostermontag fiel. Parlamentspräsident Laszlo Köver hatte das neue Grundgesetz am vergangenen Dienstag unterzeichnet, das allein von den Abgeordneten der Regierungsparteien Fidesz-MPSZ und Christdemokraten (KDNP) sowie einem unabhängigen Abgeordneten mit 262 Ja- und 44-Nein-Stimmen sowie einer Stimmenthaltung verabschiedet wurde.

Mit Nein hatte auch die rechtsradikale Jobbik-Partei gestimmt. Die oppositionellen Sozialisten (MSZP) und die Grünen (LMP) blieben der Abstimmung fern. Sie hatten das Grundgesetz als "Orban-Verfassung" kritisiert, mit der der rechtskonservative Regierungschef nur seine Macht "einbetonieren" wolle. Die Sozialisten hatten Schmitt in einem offenen Brief aufgefordert, die Verfassung nicht zu unterzeichnen. Nichtregierungsorganisationen hatten sich diesem Ersuchen angeschlossen.

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