Weihnachts-Engpass?

Historiker: „Luxus wurde selbstverständlich“

Österreich
16.11.2021 06:01

Weihnachten ohne Geschenke? Für viele ein Albtraum. „Weil uns Mangelerfahrungen völlig fremd sind!“, weiß der Historiker Walter Iber.

„Krone“:Die moderne Geschichte ist durchzogen von Kriegen und Mangelerfahrungen. Warum aber empfinden wir gerade die jetzige Situation als so dramatisch?
Walter Iber:
Weil unsere Gesellschaft nicht mehr in der Lage ist, Krisen richtig einzuordnen und mit ihnen angemessen umzugehen. Freilich, besorgniserregende Entwicklungen gibt es derzeit zur Genüge - aber sie sind nichts im Vergleich zu dem, was etwa die Kriegsgeneration an Leid und Entbehrungen erdulden musste.

Warum brauchen wir das Gefühl, dass alles (im Überfluss) vorhanden sein muss?
Wir leben heute in übermäßigem Wohlstand. Den meisten von uns sind Mangelerfahrungen völlig fremd. In den westlichen Industriestaaten hat sich nach 1945 eine moderne Konsumgesellschaft herausgebildet und sich über die Jahrzehnte sukzessive weiterentwickelt. Ob Elektro-Küchengerät, eigenes Auto oder Computer und Internetanschluss - die Dinge wurden vom Luxus einfach zur Selbstverständlichkeit. Wir haben längst eine Stufe erreicht, in der wir über weit mehr verfügen als notwendig wäre. Daran haben sich die Menschen nun einmal gewöhnt.

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Wir haben längst eine Stufe erreicht, in der wir über weit mehr verfügen als notwendig wäre.

Wirtschaftshistoriker Walter Iber

Nur weil vieles nicht lieferbar ist, ist es ja nicht „verschwunden“. Und trotzdem beschäftigt der Gedanke, dass es etwa Probleme mit den Weihnachtsgeschenken geben könnte, die Bevölkerung enorm.
Wenn sich die Diskussion um mögliche Engpässe bei Weihnachtsgeschenken dreht, dann ist das doch bezeichnend und unterstreicht nur das vorhin Gesagte. Da spielen auch jene Medien, die in ihrer Berichterstattung stark auf Emotionen setzen, eine wenig ruhmreiche Rolle. Sorgen sollten eher andere Entwicklungen bereiten, die tatsächlich Grundbedürfnisse tangieren: die stark steigenden Energiepreise zum Beispiel.

Wie bedrohlich ist die Situation tatsächlich verglichen mit der Vergangenheit? Gibt es Beispiele, was die größten Mängel waren?
Es war absehbar, dass die weltweiten Lockdowns und problematische Lieferkettenunterbrechungen massive Ungleichgewichte hinterlassen würden. Wie wir gesehen haben, kann man eine Wirtschaft auf Knopfdruck einfrieren. Sie aber auf Knopfdruck auch wieder aufzutauen, das funktioniert vor dem Hintergrund eines fragilen globalen Systems so nicht. Die Situation, die sich jetzt anbahnt, erinnert in den Grundzügen an die Wirtschaftskrisen der 1970er-Jahre. Hohe Inflation bei gleichzeitiger Stagnation des Wirtschaftswachstums. Denn die explodierenden Material- und Energiepreise können das konjunkturelle Wachstum massiv bremsen. Jene Probleme, mit denen die Menschen nach den beiden Weltkriegen konfrontiert waren, bewegten sich aber in einer ganz anderen Dimension. Vor allem in den Städten fehlte es am Allernotwendigsten. Es gab ja weder Heizmaterial noch ausreichend Nahrung.

Wäre die Pandemie nicht eine Möglichkeit, sich wieder mehr einschränken zu lernen? Unsere Großeltern kamen ja auch mit viel schlimmeren Situationen klar und mussten dramatisch daraus lernen.
Eine Frage der Mentalität. Die Großeltern-Generation war durch negative Einflüsse von außen - durch die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre wie auch durch den Zweiten Weltkrieg und seine Auswirkungen - zu entsprechender Genügsamkeit gezwungen. Sie machte diese Erfahrungen in jungem Alter und blieb im Grunde ihr Leben lang davon geprägt. Einen mentalen Wandel in diese Richtung sehe ich derzeit noch nicht. Im Gegenteil: Die Urlaubsreise, der Restaurant- und Kinobesuch, all das genießt einen hohen Stellenwert. So, als sei nie etwas gewesen.

Also täuscht der Eindruck? Wurde in der Pandemie gar nicht weniger konsumiert?
Das lässt sich schwer verallgemeinern. Klar, die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung hatten für viele negative Auswirkungen auf ihre persönlichen Finanzen. Ausgaben für Gasthaus- oder Friseurbesuche fielen aufgrund der Lockdowns erst einmal weg. Umgekehrt boomten der Lebensmittelhandel und das Geschäft mit Hygiene- und Sicherheitsprodukten. Auch „flüchteten“ viele in den Onlinehandel. Und es gab eine schnelle Aufholbewegung. Denken wir nur an die langen Menschenschlangen vor den wiedereröffneten Baumärkten.

Vielleicht sollten wir uns wirklich ein wenig besinnen.
Dass Krisen auch Chancen bergen, ist eine alte Weisheit. Wenn ich an die gestörten Lieferketten denke, würde ich anderswo ansetzen. Nämlich bei der Frage, warum Europa etwa im Elektronikbereich oder in der chemischen Industrie dermaßen stark von Zulieferern abhängig ist. Wir sind eine Konsumgesellschaft, haben aber wesentliche Teile der Produktion abgestoßen. Hier wäre langfristig wieder ein höheres Maß an Autarkie nötig. Von der Politik hört man dazu leider wenig.

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