Metal-Chartstürmer

Lacuna Coil: Welterfolg trotz Genre-Brachland

Musik
13.07.2021 06:00

Seit mehr als 20 Jahren füllt die italienische Gothic-Metalband Lacuna Coil weltweit die Hallen und erobert die Charts - und das, obwohl man in der Heimat gar nicht so viel von diesem Musikstil hält. Die beiden Gründungsmitglieder Cristina Scabbia und Andrea Ferro erzählen uns, wie man mit harter Arbeit auch unter widrigen Umständen zum Erfolg kommen kann.

(Bild: kmm)

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen und in solchen Fällen muss man auch einmal über den Tellerrand hinausblicken. Das hat sich im September 2020 etwa die italienische Gothic-Band Lacuna Coil gedacht, die zwar nicht wie gewohnt vor einer Heerschar an Fans performen durfte, aber dafür ein üppiges Konzert im Mailänder Alcatraz Club mitfilmten und dieser Tage als „Live From The Apocalypse“-Scheibe für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Darauf hört man sämtliche Songs der erfolgreichen, aber doch schon sehr operettenhaften 2019er-Scheibe „Black Anima“ und diverse Klassiker aus dem reichhaltigen Fundus der mittlerweile fast schon 25-jährigen Bandkarriere. In Mailand hat 1997 auch alles begonnen, als Andrea Ferro und Marco Zelati die junge Sängerin Cristina Scabbia zuerst für Background-Vocals verpflichteten, aber schnell gemerkt haben, dass hier eine geborene Frontfrau am Start wäre. Scabbia, die sich früher im Italo-Pop versuchte und persönlich nie ganz dem Metal zuordnen ließ, verhalf der Band und ihrem Label zu ungeahnten Höhenflügen.

Unüblicher Vertrag
Heute sind Lacuna Coil die mit Abstand größte und bekannteste Metalband aus Italien, werden auch außerhalb des eigenen Genres toleriert und respektiert und haben mit dem Drittwerk „Comalies“, das sich rund 500.000 Mal verkaufte, das erfolgreichste Album ihres Labels Century Media Records in der Hinterhand. Eine reife Leistung für eine Band, die ursprünglich unüblich zu einem Plattenvertrag kam. „Wir haben unser erstes Demo auf Kassette aufgenommen und einfach ungefragt an verschiedene Firmen geschickt“, erinnert sich der Ur-Sänger und heutige Gitarrist Ferro zurück, „Century Media hatten schon damals nur Bands ins Boot geholt, die sie selbst im Fadenkreuz hatten oder mit denen sie befreundet waren. Wir waren die einzigen, die ungefragt etwas losschickten, wurden für gut befunden und dann unter Vertrag genommen.“ Das Erfolgsrezept: der Wechselgesang zwischen dem gutturalen Timbre Ferros und Scabbias Alt-Frauenstimme vermischt sich mit opulenten und orchestralen Metalklängen, die zwischen Gothic, Melodic-Black-Metal und Alternative einzuordnen sind.

Beeinflusst von Bands wie Type O Negative, Depeche Mode oder Paradise Lost scheuten sich Lacuna Coil nie davor zurück, ihre Songs und Alben mit einer kräftigen Dosis Pop anzureichern und somit auch für Fans außerhalb des Metalgenres zugänglich zu machen - und das, obwohl Scabbia niemals in den glockenhohen Soprangesang verfiel, den man von sogenannten „Female Fronted Metalbands“ wie Nightwish, The Gathering und Co. sonst gewohnt war. Dass die drei angesprochenen Gründungsmitglieder noch immer an einem Strang ziehen (Scabbia und Zelati waren bis 2004 sogar in einer Beziehung), ist keine Selbstverständlichkeit. „Es gibt so viele Bands, die sich noch nicht einmal einen Bus teilen können. Für uns käme das überhaupt nicht in Frage“, erzählt uns Scabbia im Gespräch, „wenn du auf Tour bist, lässt du dein Zuhause, deine Familie und deine Freunde zurück. Wenn man sich unterwegs nicht versteht, hätte doch alles keinen Sinn. Wir sind eine gut geölte Maschine, bei dir alles klappt. Ein Auto kann doch auch nicht auf drei Rädern fahren.“

Gut geölte Maschine
Lacuna Coil sehen sich nicht nur als Musiker, sondern wissen genau, dass zu einer professionellen Karriere mehr dazu gehört, als Party und der Gedanke an das nächste Bier. „Wenn man jung und naiv ist, denkt man nur ans nächste Konzert, die Aftershowparty und die Mädels, die auf einen warten“, erinnert sich Ferro zurück, „aber das Booking, die Gagenverhandlungen und die Finanzen sind ungemein wichtig. Du kannst nur verdienen und gut überleben, wenn du über alles Bescheid weißt. Marco kümmert sich bei uns um die Grafiken und das Merchandise, Cristina übernimmt die meisten Interviews und die PR und ich sorge für die internen Dinge und kümmere mich um die finanziellen Belange. Bei uns hat jeder seinen Platz in der Band und wir arbeiten professionell und mit Freude. Anders wäre es auch gar nicht möglich, denn die Band ist unser Job und einen Job nimmt man ernst.“

Italien ist nicht unbedingt ein El Dorado für den Metal, umso verwunderlicher ist der jahrelang Welterfolg Lacuna Coils, die auch in den USA auf eine erkleckliche Fanbase bauen können. „Eigentlich kommen wir aus einem metalfernen Land und mussten härter arbeiten als andere“, resümiert Scabbia die Bandgeschichte, „natürlich haben wir auch Partys gefeiert, aber am Ende führt nur harte Arbeit zum Erfolg. Wir sehen unser Schicksal ambivalent. Einerseits sind wir natürlich stolz über unseren Erfolg und dass wir Italien in diesem Genre international so gut repräsentieren. Andererseits ist es auch irrsinnig traurig, dass sich bei uns daheim kaum was tut. In den USA kann es dir passieren, dass du einen Slayer-Song in einem Lebensmittelladen hörst. In Deutschland erobern harte Bands wie die Scorpions oder Helloween die Charts. In Italien füllen sich die Arenen nur, wenn internationale Größen kommen. Als Prophet im eigenen Land bist du nichts wert.“

Gegen den Käfig
Ein Umzug nach Amerika stand nur ganz zu Beginn kurz zur Debatte. „Im Endeffekt ist unsere Herkunft ein großer Vorteil. In den USA sind wir eine italienische Band, die ihre Kultur in die Welt trägt und dadurch als etwas Besonderes wahrgenommen wird. Hätten wir von Kalifornien aus unsere Karriere gestartet, wären wir nur eine Band unter vielen. Wenn wir in L.A. auftreten, glauben die Leute sowieso, dass wir aus New York kommen würden“, lacht die Sängerin. Außerdem vermischen sich die einzelnen Genres in der heutigen Zeit ohnehin. Ein Vorteil der Streaming-Welt. „Lady Gaga und Post Malone laufen mit Metalshirts herum, ich habe in Italien mal einen Song mit Franco Battiato komponiert, der Lichtjahre von unserem Genre entfernt ist und war Jurorin bei ,The Voice‘, wo ich den Leuten Manowar oder Judas Priest nähergebracht habe. Eine tolle Plattform, um Metal mehr Raum zu geben. Sich in einen Käfig zu stecken ist das letzte, was die Kunst will.“ So werden Lacuna Coil auch weiterhin die heimischen Charts erobern und ihren eigenen Stil weiterfahren. Wohl auch bald wieder mit einem neuen Album und vor echten Fans, anstatt vor Kameras.

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