Truppen abgezogen

Die blutige Bilanz der Operation “Iraqi Freedom”

Ausland
19.08.2010 13:23
Nach fast siebeneinhalb Jahren haben die USA den Einsatz ihrer Kampfbrigaden im Irak beendet. Seit Beginn des Einmarsches im März 2003, der zum Sturz des Machthabers Saddam Hussein führte, verloren laut der unabhängigen Website icasualties.org 4.733 Soldaten der internationalen Truppen ihr Leben. Hinzu kommen mindestens 12.000 getötete irakische Sicherheitskräfte. Die meisten Opfer forderte der Krieg aber wie so oft bei der Zivilbevölkerung: Bis Mitte Juli starben zumindest 106.071 Zivilisten. Auf jeden getöteten ausländischen Soldaten kommen also mehr als 22 Zivilisten, die der Gewalt im Irak zum Opfer fielen.

Unter den getöteten Soldaten des Krieges, der insgesamt eine Billion Dollar (776 Milliarden Euro) kostete, befinden sich überwiegend US-Amerikaner (4.415). Großbritannien verzeichnete mit 139 Toten die zweitmeisten Opfer. Rund 40 Prozent der getöteten Soldaten kamen durch Anschläge ums Leben, oft durch am Straßenrand versteckte Sprengsätze. Das tödlichste Jahr für die US-Soldaten war 2007 mit 901 Toten, gefolgt von den Jahren 2004 und 2005 mit 849 und 846 Todesopfern. Im laufenden Jahr starben bisher 45 Soldaten der US-Armee. Beim Einsatz der US-Armee in Vietnam (1964-1973) waren seinerzeit insgesamt 58.000 US-Soldaten ums Leben gekommen.

Abzug der Kampftruppen "historisch"
Der Abzug der Kampftruppen markiere nach siebeneinhalb Jahren das Ende der "Operation Iraqi Freedom" ("Operation Irakische Freiheit"), zitierte der Sender MSNBC den Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Crowley. Es handle sich um einen "historischen Moment". US-Präsident Barack Obama hatte am Mittwochnachmittag vor Bekanntwerden der Nachricht im US-Bundesstaat Ohio gesagt: "Wir halten das Versprechen, das wir gemacht haben. Unsere Kampfmission drüben im Irak wird vorbei sein." Ein hochrangiger US-Regierungsvertreter betonte jedoch, dass der Kampfeinsatz formell erst am 31. August enden werde, "wenn die Brigaden, die noch im Irak sind, umgewidmet werden zu Brigaden, die beraten und assistieren".

Der Rückzug des rund 14.000 Soldaten umfassenden Brigadeteils aus der irakischen Hauptstadt Bagdad hatte nach Angaben der "Washington Post" am Samstag begonnen. Die Truppen hätten den 580 Kilometer langen Weg über Land statt in Flugzeugen zurücklegen müssen. In die Armee eingebettete Reporter sollten der Zeitung zufolge bis Donnerstag Früh Stillschweigen über den Rückzug bewahren, um die Truppen nicht in Gefahr zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt sollten die letzten Soldaten Kuwait erreichen. Nur einige Hundert Soldaten der Brigade seien noch im Irak, um letzte logistische Arbeiten und Verwaltungsaufgaben zu erledigen. Sie würden im Laufe des Tages ausgeflogen. Abweichend von anderen US-Medien berichtete die "Los Angeles Times", der Abzug könnte noch drei Tage dauern.

50.000 US-Soldaten bleiben weiter im Land
Nach Informationen des Fernsehsenders CNN sind nun noch 56.000 US-Soldaten im Land. 6.000 Mitglieder von Spezialeinheiten sollen bis Ende des Monats den Irak verlassen. Am 1. September beginnt die Operation "New Dawn" (Neubeginn). Sie sieht vor, dass die verbleibenden 50.000 Soldaten irakische Sicherheitskräfte ausbilden und ihnen bei der Terrorbekämpfung helfen. Diese restlichen Truppen sollen nach dem Willen Obamas den Irak bis Ende 2011 verlassen. Der Präsident hatte den kompletten Rückzug damit begründet, sich verstärkt auf den Anti-Terror-Kampf in Afghanistan konzentrieren zu wollen.

Das Ende der Kampfoperation gilt als großer Einschnitt für die irakische Regierung, da sie größere Verantwortung für die Sicherheit in dem Land übernehmen muss. Vor dem für Ende August geplanten Abzug der US-Kampftruppen haben die Aufständischen ihre Angriffe auf die irakischen Sicherheitskräfte verstärkt. So kamen erst am Dienstag bei einem Attentat auf Armee-Rekruten in Bagdad 58 Menschen ums Leben. Obama beharrte trotz Warnungen hochrangiger irakischer Politiker und Armeevertreter auf einem pünktlichen Abzug der Kampftruppen.

Machthaber Saddam Hussein gestürzt
Zu Beginn des Irak-Krieges im Jahr 2003 hatte die internationale "Koalition der Willigen", die den Angriff der USA politisch und militärisch untertützte, 269.000 Soldaten im Einsatz. Bereits nach wenigen Wochen konnte der irakische Machthaber Saddam Hussein gestürzt werden, und der damalige US-Präsident George W. Bush verkündete am 1. Mai von einem Flugzeugträger aus öffentlichkeitswirksam das Ende der großen Kampfhandlungen im Irak-Krieg.

Eine Gewaltwelle, die sich zu einem Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten auszuwachsen drohte, bewog Bush im Jahr 2007 zu einer Truppenaufstockung ("Surge") auf bis zu 170.000 Soldaten aus den USA. Sein Nachfolger Barack Obama verkündete im Februar 2009, die Truppenstärke im Irak schrittweise bis auf 50.000 Soldaten mit Ende August 2010 abbauen zu wollen. Ein erster großer Schritt erfolgte im Juli 2009, als sich die US-Truppen dann aus den Dörfern und Städten des Landes zurückzogen und den irakischen Sicherheitskräften die Verantwortung übertrugen.

Viele Menschen leben in ständiger Angst
So richtig glücklich macht der Abzug im Irak aber niemanden. Denn das Land ist heute - mehr als sieben Jahre nach dem Sturz von Präsident Saddam Hussein - immer noch eine Republik der Angst. War es früher die Angst vor den Schergen des Regimes und der Kriegslust des Diktators, so ist es heute die Angst vor Al-Kaida-Terroristen und kriminellen Milizen, die sich nach dem Einmarsch der Amerikaner im Zweistromland einnisten konnten. Diese Angst bestimmt den Alltag und verhindert, dass die Menschen ihre neue politische Freiheit genießen können.

"Ich glaube, dass es im Irak inzwischen viele Menschen gibt, die so leben wie ich - in ständiger Panik", sagt etwa die Lehrerin Ibtihaj Saadi aus Bagdad. Die Mutter von vier Kindern lässt sich daher jeden Morgen von ihrem Ehemann zur Arbeit bringen. Nach Unterrichtsende wartet die 39-Jährige im Schulgebäude, bis er kommt, um sie wieder abzuholen. Seitdem einer ihrer Brüder im Dezember 2003 entführt wurde, geht die Sunnitin praktisch nicht mehr alleine vor die Tür. Der Bruder blieb verschwunden. Ihre anderen Brüder flohen nach Jordanien.

Der US-Truppenabzug macht der gläubigen Muslimin jetzt zusätzlich Angst: "Dass die Gewalt in den vergangenen Monaten wieder zugenommen hat, ist ein Warnsignal. Es zeigt uns, dass jeder Abzug der Amerikaner für unser Land große Gefahren birgt." Saddam und seinem Regime trauert Ibtihaj Saadi nicht nach. Doch auch die neue Politikerklasse flößt ihr kein Vertrauen ein. Ihr Fazit: "Hier im Irak war die Demokratie eine Totgeburt."

"Obama ist ein Heuchler, er überlässt Irak den Wölfen"
Sogar Saddams ehemaliger Außenminister Tarik Aziz, der in Bagdad im Gefängnis sitzt, ist jetzt gegen den Abzug der Amerikaner, die ihn 2003 gefangen genommen hatten. Vor einigen Tagen kritisierte er in einem Interview US-Präsident Obama dafür, dass er an den von seinem Vorgänger George W. Bush ausgehandelten Abzugsplänen festhält: "Obama ist ein Heuchler, er überlässt den Irak den Wölfen."

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