„Voltimer“

E-Motor für alte VWs: Rotwein vs. Reichweitenangst

Motor
13.04.2019 14:13

David Benado und seine Firma Zelectric sind damit in den USA zu Stars unter den Stromern geworden. Doch jetzt gibt es auch bei uns, bzw. in Deutschland alte VW-Modelle, die auf einen neuen Antrieb umgerüstet werden. Johannes Boddien macht Käfer & Co zu Voltimern.

(Bild: kmm)

Ohne eine Flasche Rotwein setzt sich Johannes Boddien nicht hinter das Steuer. Schließlich muss er ja irgendwie seine Reichweiten-Ängste bekämpfen. Denn Boddien fährt ein Elektroauto und viel mehr als 70 Kilometer sind aus dessen Akku nicht herauszuholen. Weil der Wagen in der aktuellen Konfiguration zudem nicht schnellladen kann und bei ihm auf dem Land die Ladesäulen rar sind, muss er bisweilen bei wildfremden Menschen klingeln und um eine Stromspende bitten. Da hat sich die Flasche Rotwein schon oft als probater Türöffner erwiesen - erst recht, wenn man danach für 2,5 Stunden im Wohnzimmer oder auf der Terrasse sitzen bleibt, bis der Akku wieder voll ist.

Genauso unkonventionell wie Boddiens Hausmittel gegen die Lücken im Ladenetzwerk ist auch sein Auto. Denn der studierte Jurist und Internet-Berater aus Blaustein vor den Toren Ulms am Rand von Baden-Württemberg fährt keinen Tesla oder e-tron und auch keinen vernünftigen Zoe oder Leaf. Der Mittfünfziger ist in einem elektrischen VW Käfer unterwegs, der nach seinen Plänen umgerüstet wurde.

„Moderne Elektroautos haben doch keine Seele“, sagt Boddien. „Aber Oldtimer passen auch nicht mehr in die Zeit“. Sie sind schließlich nicht nur umständlich zu warten und bisweilen schwer zu fahren, vor allem sind sie nicht gut für die Umwelt. Deshalb hat Boddien eins und eins zusammengezählt, und das Beste aus beiden Zeiten kombiniert: Frei nach dem Motto „Zurück in die Zukunft“ schickt er Klassiker mit einem Akku-Antrieb auf Zeitreise ins Hier und Heute.

Inspiriert haben ihn dazu ein paar englische TV-Dokumentationen und der Frust über die Skepsis, mit der viele die Elektromobilität betrachten. „Ich war das Gejammer und Gezeter leid und wollte beweisen, dass man ein bezahlbares Elektroauto mit Charakter bauen kann, das zumindest für den jeweiligen Einsatzzweck voll tauglich ist.“

Das ist jetzt zwei, drei Jahre her und seitdem hat er fünf Oldtimer umgerüstet. Dabei konzentriert er sich vor allem auf den VW Käfer und den Bulli aus den Generationen T1 und T2. Erstens, weil die besonders leicht umzubauen sind. Zweitens, weil beide VW-Modelle große Sympathieträger sind. Und drittens, weil die in Südamerika noch bis in die Achtziger gebaut worden sind und deshalb in guter Qualität und großer Stückzahl zu kleinen Preisen beschafft werden können.

Dafür hat Boddien in Brasilien und Mexiko ein Netz an Einkäufern aufgezogen, die auf Bestellung den passenden Wagen suchen und ihn nach Deutschland verschiffen. Dort wird er bei drei Partnerwerkstätten in Bayern binnen 100 Stunden vom Brummer zum Summer. Der Boxer-Motor im Heck wird gegen einen Industrieantrieb getauscht, der sonst Rolltreppen und Tore bewegt. Wo früher der Tank war, bekommen die Voltimer das Ladegerät und in den Schacht zwischen Rückbank und Rückwand der Käfer schrauben die Mechaniker den Akkupack, der in einer mit Wasser temperierten Alukiste steckt. Die Batterien selbst sind entweder Lithium-Eisen-Phosphat-Zellen oder selbst nach dem Vorbild von Tesla entwickelte Lithium-Zellen. Und für all jene, die sich um den hohen Energieaufwand bei der Batterieproduktion sorgen, baut Boddien auch gebrauchte Tesla-Akkus ein, die er zumeist aus Unfallwagen übernimmt.

Angeboten werden Käfer und Bulli in drei Varianten. Los geht es mit dem „City“, der ab 30.000 Euro zu haben ist und mit seinen 10,6 kWh Akkuleistung rund 70 Kilometer weit kommt. Der „Country-Voltimer“ bietet für 38.500 Euro dann schon 21,2 kWh und schafft bis zu 140 Kilometer, und wer knapp 60.000 Euro zahlt, bekommt T1 oder T2 als „Hobby“ mit der 42,4 kWh Akku-Kapazität und einer Reichweite von bis zu 200 Kilometern; wer mindestens 75.000 Euro investiert, kann bis zu 400 Kilometer stromern.

Perfekt in der alten Hülle integriert sieht man den Voltimern die Organspende von außen nicht an. Wären da nicht der Schriftzug auf dem Heck und das E auf dem Kennzeichen, würden sie einfach als gut gepflegte Oldtimer durchgehen. Zumindest solange sie stehen. Sobald sie mal fahren, sieht das natürlich anders aus. Und zwar nicht nur, weil das typische Knattern der Boxer-Motoren fehlt und im Cockpit ein Tablet-Computer klemmt, der den aktuellen Batteriestatus, die Restreichweite und jede Menge andere Daten aus dem Antriebssystem anzeigt. Sondern vor allem, weil man mit den Voltimern auch flotter unterwegs ist.

Zwar hat auch der E-Motor nur 28 kW/38 PS und liegt damit auf dem Niveau später Käfer-Modelle. Doch wuchtet er von der ersten Umdrehung an ein Drehmoment auf die Hinterachse, von dem Käfer-Kenner nur träumen können: 220 Nm machen den Ampelspurt zum Vergnügen und nehmen den Bergen im Ulmer Umland den Schrecken. Immer wieder schaut Boddien bei seinen Ausfahrten in die verdutzen Gesichter der Passagiere und anderen Verkehrsteilnehmer, wenn er im dritten Gang anfährt oder im vierten durchbeschleunigt und sich der Käfer fast ein bisschen nach Porsche anfühlt. Da bedauert man fast, dass Boddien das Spitzentempo mit Blick auf die Zulassung auf die originalen Werte limitiert hat. Technisch wären locker 150 Sachen drin, freut sich der Elon Musk der deutschen Oldtimer-Szene.

Neben dem guten Gewissen, dem Charme der guten alten Zeit und den besseren Fahrleistungen hat Boddien an seinen Voltimern übrigens noch einen Vorteil entdeckt. Sie brauchen nicht nur weniger Wartung und Pflege als konventionelle Klassiker, es gibt auch keine Ölflecken mehr auf dem Garagenboden. Dafür allerdings kleckert jetzt bisweilen der Rotwein.

SP-X/Benjamin Bessinger

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(Bild: kmm)



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