Neustart in Ägypten

“Revolution hat Kopten und Muslime verbrüdert”

Ausland
17.02.2011 10:44
Zwei Demonstranten strecken gemeinsam die Hände in die Höhe, ihre Finger berühren sich - und damit auch die Gegenstände, die sie in den Händen halten: ein Kreuz und einen Koran. Während der Proteste auf dem Kairoer Tahrir-Platz gab es derartige Bilder mehrmals zu sehen. Nach langem Zögern hat sich die koptische Kirche, die Gemeinschaft der seit Jahrzehnten unterdrückten und verfolgten Christenminderheit in Ägypten, jetzt offiziell auf die Seite der Revolution gestellt. In der Hoffnung auf einen Neustart zwischen Christen und Muslimen.

"Die koptische Kirche verneigt sich vor der ehrenhaften Jugend Ägyptens, der Jugend des 25. Jänner", die das Land in eine "starke Revolution geführt hat", erklärte der koptische Papst Shenouda III. in einem am Mittwoch veröffentlichten Kommunique. Nach anfänglicher Zurückhaltung in der Sorge um Sicherheit und Stabilität hat sich die koptische Kirche damit eindeutig auf die Seite der Revolution geschlagen.

Shenouda würdigte all jene, die in der Revolution als "Märtyrer" ihr Leben verloren haben, und versicherte ihren Familien sein Mitgefühl. Weiters dankte Shenouda der "tapferen ägyptischen Armee" und dem Obersten Gerichtshof der Streitkräfte, die Garanten der Sicherheit und Stabilität des Landes seien. Die koptische Kirche unterstütze die Auflösung von Ober- und Unterhaus des ägyptischen Parlaments und spreche sich für die Bildung eines "zivilen demokratischen Staats" aus, der seine Parlamentsmitglieder, die alle Teile der Bevölkerung repräsentieren sollten, "in freien und fairen Wahlen" bestimme. Die bestimmenden Prinzipien müssten Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und nationale Einheit sein, so Shenouda.

"Keine Kirche hat einen Kratzer abbekommen"
Die Erklärung ist bemerkenswert, zumal sich die koptische Kirche zu Beginn der Proteste, als eine Auflösung des Regimes noch in weiter Ferne stand, aus Furcht vor Repressalien hinter Mubarak gestellt hatte. Doch die Bilder von gemeinsam demonstrierenden jungen Muslimen und Christen hat vielen Kopten Hoffnung gegeben und Gründe zur Annahme, dass der Hass zwischen strenggläubigen Muslimen und Kopten stets durch das Regime geschürt wurde.

"Drei Tage lang gab es in Ägypten keine Polizisten und keinen Innenminister - und keine einzige Kirche hat auch nur einen Kratzer abbekommen, da haben wir gesehen, dass die Hetzerei durch das Regime geschürt worden war", sagte Kamal Abd El Nour vom Verein "Integration koptischer und österreichischer Freundschaften" bei einer Diskussionsrunde der Föderation für Weltfrieden in Wien.

Ermittlungen gegen Innenminister wegen Anschlag
Der Anschlag "angeblicher Terroristen" auf die koptische Al-Qiddissine-Kirche in Alexandria am Silvesterabend sei vom Innenminister geplant gewesen, erklärte der Koptenvertreter: "30 Jahre hatten wir diese Hetzerei gegeneinander und am 25. Jänner haben wir gemerkt, dass Christen und Muslime geeint sind und sich lieben." Daher werde der Tahrir-Platz, auf dem Christen und Muslime gemeinsam demonstrierten, als Bild bestehen bleiben.

Der ägyptische Generalstaatsanwalt hat am Mittwoch tatsächlich Ermittlungen gegen den früheren ägyptischen Innenminister Habib el-Adly aufgenommen. El-Adly soll Terrorkommandos gegen Kopten aufgebaut haben, sein Ziel war es, nach den Anschlägen die Regierung von Mubarak als Retter vor dem Islamismus darzustellen. Das Innenministerium hatte mehrfach geänderte Versionen des Tatgeschehens präsentiert und schnell ausländische Attentäter des Terrornetzwerks Al-Kaida verantwortlich gemacht. Die Planung des Anschlags schrieb Kairo der im Gaza-Streifen ansässigen "Armee des Islam" zu, die jedoch jede Beteiligung bestritt.

Dass bei der Revolution in vielerlei Hinsicht eine Verbrüderung der Religionen stattgefunden habe, konstatierte auch der Präsident der ägyptischen Gemeinde in Österreich, Soleiman Ali. Muslime hätten auf dem Tahrir-Platz die Kopten während ihres Gebets vor den Schlägen der Polizisten beschützt und umgekehrt, dies mache diese Revolution so einmalig, erklärte Ali.

Ordensschwester "mit gemischten Gefühlen"
Die aus Oberösterreich stammende Ordensfrau Juliana Baldinger, die seit 16 Jahren in Ägypten lebt und wirkt, hatte sich in einem Kirchenzeitungs-Interview, das allerdings vor dem Rücktritt Mubaraks geführt wurde, "mit gemischten Gefühlen" gezeigt. Und das vor allem wegen der Muslimbrüder. Die Christen in Ägypten hätten große Angst vor einer größeren Macht der Muslimbruderschaft, so die Ordensfrau. In dem Ort, in dem sie lebt, sehe sie kaum gemäßigte Kräfte unter ihnen. Sie befürchtet, dass dann, wenn sie entsprechend Einfluss haben sollten, ihr Ziel lautet: "Weg mit den Christen!" Die 55 Jahre alte Baldinger hofft, dass diese Befürchtungen nicht eintreffen, ihre Erfahrungen in Ägypten hätten sie aber gelehrt, in Bezug auf die Zukunft "eigentlich nicht optimistisch" zu sein.

Baldinger gehört zum Orden der Sionsschwestern ("Notre Dame de Sion") in El-Berba 250 Kilometer südlich von Kairo. Dort leitet sie eine Tagesheimstätte für behinderte Kinder. Bereits bei der Ablegung ihres Ewigen Ordensgelübdes im Jahr 1995 bekam sie die Probleme zu spüren: Die damit verbundene Feier musste abgesagt werden, weil es in den Nachbardörfern zu mehreren Terroranschlägen gekommen war. Die koptischen Christen in ihrer Region erlebten sich selbst als "Bürger zweiter Klasse", so Baldinger. Die Muslime seien aber gleichzeitig nicht abgeneigt, die Hilfe der katholischen Sionsschwestern anzunehmen, was sich auch an Baldingers Schützlingen zeigt: 15 der 18 von ihr betreuten Kinder sind Muslime.

"Wir haben die Jugend unterschätzt"
Auch bei der Diskussionsveranstaltung in Wien waren nicht alle Wortmeldungen von Euphorie geprägt. Der Koptenvertreter Soleiman Ali wies auf die Gefahr eines neuerlichen autoritären Regimes hin. Diese sei weiterhin sehr groß, erklärte Ali: "Ich als Bauingenieur vergleiche es mit einem Haus, mit Mubarak ist die Dachhaut weg, die übrigen Bestandteile des Gebäudes sind aber alle noch da." Er sei jedoch voller Hoffnung, weil die ägyptische Jugend allen gezeigt habe, dass eine demokratische Zukunft möglich sei.

Der Leiter des Instituts für Interkulturelle Islamforschung, Elsayed Elshahed, freute sich über die friedliche Revolution: "Ich bin vor allem sehr stolz auf unsere Jugend und unsere Kinder, denn sie haben getan, was wir Alten 30 Jahre lang nicht geschafft haben." Die ältere Generation habe der jungen viel Unrecht getan, indem sie die Jugend unterschätzt und mittlerweile aufgegeben hätte.

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