Erdbeeren, TV & Co.

Ratko Mladic: Kriegsverbrecher mit Starallüren

Ausland
28.05.2011 10:57
Knapp 48 Stunden nach seiner Festnahme benimmt sich der einstige Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, wie ein Medienstar mit einigen Allüren. Neben Erdbeeren und einem Fernseher, die ihm promt in die Zelle geliefert wurden, verlangt der mutmaßliche Kriegsverbrecher auch seine Offizierspension zurück. Diese war nämlich 2005 eingestellt worden. Immer lauter wird indes die Frage nach den Helfern des "Schlächters von Bosnien", die ihn auf seiner 16 Jahre andauernden Flucht deckten.

Während die Familie behauptet, dass Mladic Redeschwierigkeiten habe und seine rechte Körperhälfte infolge frühere Gehirnschläge gelähmt sei, legte der Haager Angeklagte im Sondergericht seine bekannten Charakterzüge an den Tag. So sickerte durch, dass er sogar im Gerichtssaal noch Befehle erteilte: "Gebt mir einen Stuhl!", soll er laut der Tageszeitung "Blic" forsch gefordert haben. Dem Wachdienst galt auch die Bemerkung "Wie meine Truppen". Während der Anhörung bemerkte er: "Ihr habt Milosevic gewählt, nicht ich. Wer hat also die Schuld?"

Mladic' Familienangehörige versuchen inzwischen, unter Berufung auf seine angeblich angeschlagene Gesundheit die Auslieferung an das UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen im einstigen Jugoslawien hinauszuzögern. Bisher hat sich Mladic bei der Anhörung im Belgrader Sondergericht für Kriegsverbrechen offenbar geweigert, die Anklage entgegenzunehmen.

Erdbeeren und Fernseher in der Zelle
Auch Spezialwünsche des Ex-Generals sind nicht ausgeblieben. Mladic orderte Erdbeeren, Bücher und ein Fernsehgerät für die Gefängniszelle. Besonders russische Autoren wie Nikolaj Gogol und Leo Tolstoj soll er bevorzugen. Der Vize-Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrecher, Bruno Vekaric, sorgte für prompte Erfüllung der Wünsche.

Außerdem wolle er seine Pension zurückbekommen, erklärte Mladic am Freitag. Die Auszahlung der Rente an seine Frau Bosiljka in der Höhe von 900 Euro wurde Ende 2005 eingestellt. Auf einem Sonderkonto der Pensionskasse liegen derzeit rund 47.000 Euro, in Serbien ein kleines Vermögen. Der Offizier in Ruhe habe den Anspruch auf die Pension, auch wenn er vor dem UNO-Tribunal verurteilt werde, versicherte Staatspräsident Boris Tadic am Freitag.

Ein weiterer Wunsch von Mladic ist es auch, das Grab seiner Tochter Ana auf einem Belgrader Friedhof besuchen zu können, bevor er ausgeliefert wird. Die erfolgreiche Medizinstudentin hatte sich im Frühjahr 1994 erst 23-jährig das Leben genommen. Sie soll kurz zuvor von Studienkollegen mit den Gräueltaten von Srebrenica konfrontiert worden sein. Ein Wunsch des mutmaßlichen Kriegsverbrechers, einen Besuch des Gesundheitsministers Zoran Stankovic zu erhalten, ging ebenfalls prompt in Erfüllung. Mladic' alter Bekannter machte ihm am Freitagnachmittag die Aufwartung.

Wer versteckte den "Schlächter von Bosnien"?
In Anbetracht des jahrelangen Versteckspiels wird auch die Frage nach den Helfern des Ex-Generals immer lauter. Ratko Mladic besaß keine neue Identität mit echtem Personalausweis wie sein politischer Partner Radovan Karadzic. Der war vor drei Jahren in Belgrad als Wunderheiler im indischen Guru-Stil gefasst worden. Ein schlichter Deckname, ja. Doch Mladics Militärausweis und sein Personalausweis waren echt, allerdings längst abgelaufen, sagt Innenminister Ivica Dacic. Wer hat den Mann versteckt, der leicht zu identifizieren gewesen wäre?

Staatspräsident Tadic bezeichnete die Darstellung vieler heimischer Kommentatoren als "Blödsinn", die Behörden hätten die ganze Zeit genau gewusst, wo sich Mladic aufgehalten habe. Doch die Fakten zeigen ein anderes Bild: Bis 2001 lebte der Ex-General unbehelligt in Belgrad, wo ihm im Stadtteil Banovo Brdo ein Haus gehört. Er wurde bei Familienfeiern gesichtet und im Sportstadion. Seitdem fand er in verschiedenen Armeekasernen Zuflucht, wie sich später herausstellte. Bis 2006 hatten Zeitungen mit exakten Adressen seinen Fluchtweg kreuz und quer durch Neu-Belgrad nachgezeichnet.

Hinweise auf den Geheimdienst
Doch dann verlor sich angeblich seine Spur. Die Staatsanwaltschaft bezichtigte später den Geheimdienstchef Rade Bulatovic öffentlich, die Suche und Verhaftung von Mladic torpediert zu haben. Bulatovic ist einer der engsten Vertrauten von Vojislav Kostunica, des früheren serbischen Präsidenten und Regierungschefs. Der mächtige, aber inzwischen pensionierte Chef des Militärgeheimdienstes, Aco Tomic, soll in dieser Zeit der Beschützer von Mladic gewesen sein, vermuten viele Analysten. Tomic ist ebenso ein enger Vertrauter von Kostunica.

Kostunica hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich großserbischen Ideen verpflichtet fühle. Ebenso hatte er offen seine Abneigung gegenüber der EU ausgedrückt, die somit nicht als Bedingung für einen Beitritt Serbiens die Auslieferung von Mladic fordern konnte. Zur Seite stand Kostunica die Serbisch-Orthodoxe Kirche, deren führende Vertreter sich immer wieder für Mladic und Karadzic eingesetzt hatten. Kostunica pflegt bis heute ein auf verwandtschaftlichen Banden aufgebautes enges Verhältnis zu hohen Geistlichen.

Für den Ex-Präsidenten könnte es aufgrund dieser Tatsachen jetzt ungemütlich werden. Zumal seit Monaten eine Strafanzeige eines der bekanntesten Anwälte, Srdja Popovic, im Zusammenhang mit der Ermordung des ersten freigewählten Regierungschefs Zoran Djindjic im März 2003 anhängig ist. Dazu soll Kostunica befragt werden, verlangt der Anwalt.

Brammertz: "Niemand kann sich alleine verstecken"
Auch der Chefankläger des UNO-Tribunals, Serge Brammertz, bezweifelt, dass sich Mladic jahrelang ohne fremde Hilfe verstecken konnte. "Es ist klar, dass sich niemand 16 Jahre lang ohne Unterstützung von irgendjemandem und ohne ein Netz von Helfern verstecken kann", wurde Brammertz am Freitag von der privaten Belgrader Presseagentur Beta zitiert.

Die Haager Ankläger hätten in der Vergangenheit stark darauf beharrt, strafrechtlich gegen die Helfer der flüchtigen Angeklagten vorzugehen, präzisierte Brammertz. Derzeit sei es verfrüht, zu sagen, wer genau zuletzt zum Helfernetz von Mladic gehört habe, meinte der UNO-Chefankläger. Die Festnahme des früheren Militärchefs der bosnischen Serben bezeichnete Brammertz als ein "Ergebnis der langjährigen Untersuchungen der serbischen Behörden, teilweise auch in Zusammenarbeit mit meinem Team vor Ort". Brammertz schloss am Freitag auch die Möglichkeit nicht aus, dass es nun zu einer Zusammenlegung der Prozesse gegen den früheren bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic und Mladic kommt.

Belgrad will Termin für Auslieferung Mladics geheim halten
Die serbischen Behörden wollen den genauen Termin für die Auslieferung des ehemaligen Militärchefs der bosnischen Serben nach Den Haag geheim halten. Arbeitsminister Rasim Ljajic begründete Medien gegenüber die Entscheidung mit dem Sicherheitsrisiko. Eine Destabilisierung des Landes wegen der Festnahme von Mladic würde allerdings nicht drohen, versicherte er laut der staatlichen Presseagentur Tanjug.

Die ultranationalistische Serbische Radikale Partei von Vojislav Seselj rief für Sonntagabend im Belgrader Stadtzentrum zu einer Protestkundgebung auf. Eine Protestserie hatte am Freitagnachmittag in der bosnischen Serbischen Republik begonnen. Protestkundgebungen wurden in Pale, der ehemaligen Kriegshochburg der bosnischen Serben, Visegrad und einem von Serben bewohnten Stadtviertel von Sarajevo, Lukavica, abgehalten. Für Sonntag wurden Proteste in Kalinovik, dem Heimatort Mladics, angekündigt, am Dienstag soll auch ein Protest in Banja Luka, dem Verwaltungszentrum der Serbischen Republik, folgen. Proteste werden vom bosnisch-serbischen Altkämpferverband organisiert, der Belgrad vorwirft, Mladic und die Serbische Republik verraten zu haben.

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