In letztem Interview

Nemzow: “Krieg mit der Ukraine sofort stoppen!”

Ausland
28.02.2015 18:22
Das letzte Interview des ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow ist zu seinem politischen Vermächtnis geworden - und ihm selbst womöglich zum tödlichen Verhängnis. Knapp drei Stunden vor der Bluttat hatte sich Nemzow am Freitagabend ein letztes Mal mit heftiger Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin zu Wort gemeldet. In dem Interview griff Nemzow vor allem Putins Ukraine-Politik scharf an.

45 Minuten lang entwarf der prominente Oppositionelle im Gespräch mit dem Radiosender Moskauer Echo seine Vorschläge, "um Russland zu verändern". Mehrfach schnitt er den Journalisten das Wort ab, um seine Sicht der Dinge ausbreiten zu können - als hätte er geahnt, dass seine Zeit abläuft. Zuletzt war Nemzow gar mit den Worten zitiert worden, Putin würde ihn wegen seiner Opposition gegen die russische Ukraine-Politik womöglich gerne tot sehen.

Anlass für das letzte Interview war der Anti-Krisen-Marsch, zu dem der 55-Jährige zusammen mit oppositionellen Weggefährten für Sonntag aufgerufen hatte. "Dieser Marsch fordert den sofortigen Stopp des Krieges mit der Ukraine, er fordert, dass Putin seine Aggression einstellt", sagte Nemzow ins Mikrofon des Radiosenders.

Sanktionen und Krise wegen "unsinniger Aggression"
Putins Vorgehen im Konflikt mit dem Nachbarland sei auch für die schwere Wirtschaftskrise in Russland verantwortlich. "Die Sanktionen, dann die Kapitalflucht: all das wegen Putins unsinniger Aggression gegen die Ukraine." In dem Interview wiederholte Nemzow auch den Vorwurf, Moskau unterstütze die prorussischen Separatisten in der Ostukraine mit eigenen Truppen, was der Kreml stets zurückgewiesen hat.

Eine Journalistin erwähnte auch die Krim und sagte, eine Mehrheit der Bewohner habe gewollt, dass die Schwarzmeerhalbinsel in die russische Föderation eintrete. "Die Bevölkerung wollte in Russland leben, zugegeben", erwiderte Nemzow. "Aber die Frage ist eine andere: Man darf sich nicht nach dem Willen richten, sondern nach dem Gesetz. Und man muss die internationale Gemeinschaft respektieren."

Macht in Händen eines Einzigen führt zur "totalen Katastrophe"
Nemzow zeigte sich freilich wenig optimistisch, dass er Gehör finden würde: "Die Opposition hat zur Zeit nicht viel Einfluss auf die Russen." Dagegen hatte er allerdings ein Rezept parat: Den Wortführern müsse jede Woche in einem der Hauptfernsehsender eine Stunde Zeit eingeräumt werden. "Denn wenn man die Macht in den Händen eines einzigen Menschen konzentriert, dann kann das nur zur Katastrophe führen - zu einer totalen Katastrophe."

Durch das tödliche Attentat auf Nemzow am späten Freitagabend hat das Lager derjenigen, die ihre Stimme gegen Putin erheben, nun einen ihrer wichtigsten Vertreter verloren. Der Anti-Krisen-Protestmarsch, der am Sonntag durch einen Moskauer Vorort ziehen sollte, wurde als Reaktion auf die tödlichen Schüsse abgesagt und zu einem Gedenkmarsch für Nemzow umfunktioniert.

Ermittler: Mord "minutiös geplant"
Der Mord an Nemzow war nach ersten Angaben der Ermittler von Samstagmittag "minutiös geplant". Auch der Tatort sei sehr genau ausgewählt worden, erklärte das Ermittlungskomitee. Es sei "offensichtlich", dass die "Organisatoren und Ausführenden des Verbrechens" wussten, welchen Heimweg Nemzow Freitagnacht nehmen würde.

Nemzow wurde mehrmals in den Rücken geschossen. Der oder die Täter nutzten den Angaben der Ermittler zufolge offenbar eine Makarow-Pistole, wie sie vom russischen Militär und der Polizei verwendet wird. Am Tatort seien sechs Patronenhülsen verschiedener Hersteller gefunden worden, was die Fahndungsarbeit erschwere.

Nemzow fühlte sich bedroht
Nemzow hatte sich vor seiner Ermordung bedroht gefühlt. Vor allem seine Mutter mache sich große Sorgen um seine Sicherheit, sagte Nemzow vor zwei Wochen in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Sobesednik". "Immer wenn ich sie anrufe, fragt sie mich: 'Wann wirst du aufhören, Putin zu kritisieren? Er wird dich töten.'" Auf die Frage, ob er um sein Leben fürchte, antwortete Nemzow: "Ja, ein bisschen." Die Angst vor der Rache des russischen Präsidenten sei aber nicht so groß, dass sie ihn davon abhalten könne, weiter gegen die Regierung zu kämpfen.

Von den Tätern fehlt jede Spur
Am Tag nach dem Mord haben die Ermittler möglicherweise das Fluchtauto der Täter gefunden. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weiße Fahrzeug mit einem Nummernschild der russischen Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt. Von den Tätern fehlte demnach allerdings jede Spur.

Am Sonntag wird im Zentrum Moskaus eine Trauerkundgebung stattfinden, bei der bis zu 50.000 Menschen erwartet werden. Die Initiative für den Trauerzug ging vom Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Michail Kasjanow aus. Kasjanow, früher Ministerpräsident unter Putin, sagte Reportern, es könne nur eine Deutung der Tat geben: "Er wurde erschossen, weil er die Wahrheit gesagt hat."

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