Berüchtigte Sekte

Berlin gibt Akten über “Colonia Dignidad” frei

Ausland
27.04.2016 06:45

Das deutsche Auswärtige Amt in Berlin gibt seine Akten über die berüchtigte frühere Deutschen-Siedlung "Colonia Dignidad" in Chile vorzeitig für die Öffentlichkeit frei. Normalerweise wäre das Material noch bis zu zehn Jahre unter Verschluss geblieben, nun soll es schon früher zugänglich werden, kündigte Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstagabend an. Zugleich gab Steinmeier zu, dass die deutsche Diplomatie zu wenig unternommen habe, um den Opfern der "Colonia Dignidad" zu helfen.

Die etwa 350 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago gelegene Siedlung war Anfang der 1960er-Jahre von deutschen Auswanderern gegründet worden. Ihr Anführer Paul Schäfer schuf dort eine Art Sekte. Ohne seine Erlaubnis durfte niemand das mit Stacheldraht abgeriegelte Gelände verlassen. Während der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) wurde dort auch gefoltert.

Schäfer tauchte 1997 unter und setzte sich nach Argentinien ab. Nach seiner Festnahme wurde er wegen Kindesmissbrauchs und anderer Delikte zu 33 Jahren Haft verurteilt. Er starb 2010 in einem chilenischen Gefängnis. Die Geschehnisse aus den 1970er-Jahren sind jetzt Grundlage für den Kinofilm "Colonia Dignidad", der am Dienstag im Auswärtigen Amt gezeigt wurde.

"Deutsche Diplomaten haben weggeschaut"
Steinmeier äußerte sich nach der Vorführung kritisch über die damalige Diplomatie. Der Umgang mit der "Colonia Dignidad" sei "kein Ruhmesblatt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes", sagte er. "Über viele Jahre hinweg haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut - jedenfalls zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan."

"Im Spannungsfeld zwischen dem Interesse an guten Beziehungen zum Gastland und dem Interesse an der Wahrung von Menschenrechten ging Amt und Botschaft offenbar die Orientierung verloren", so Steinmeier weiter. Der Minister kündigte an, dass die "Colonia Dignidad"-Akten bis 1996 vorzeitig für Medien und Wissenschaft geöffnet werden.

Chile will "Verbrechen aufklären"
Chiles Außenminister Heraldo Munoz begrüßte die Entscheidung und sprach der Bundesregierung seine Anerkennung aus. "Wir hoffen, dass diese Informationen dazu beitragen, die dort begangenen Verbrechen aufzuklären", sagte Munoz am Dienstagabend in Santiago de Chile.

Zu der Vorführung im Auswärtigen Amt waren auch mehrere Opfer der "Colonia Dignidad" geladen. Aus ihren Reihen gibt es immer wieder auch die Forderung nach Entschädigung. Der Fall war schon in den 1980er-Jahren bekannt - auch in Deutschland -, ohne dass von der Bundesregierung viel unternommen worden wäre. Auf dem Gelände gibt es heute noch eine Siedlung, die mittlerweile den Namen "Villa Baviera" trägt.

Ehemaliger Sektenarzt wieder in Deutschland
Der ehemalige Sektenarzt Hartmut Hopp - früher Schäfers rechte Hand - lebt heute im deutschen Krefeld. Hopp war 2011 in Chile wegen Kindesmissbrauchs zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Bevor er die Strafe antreten musste, setzte er sich nach Deutschland ab. Die deutsche Justiz will demnächst entscheiden, ob er nun hier ins Gefängnis kommt.

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