ORF in der Kritik

Aufregung um TV-Auftritt von “Identitären”-Chef

Österreich
25.11.2015 16:12
Das ORF-"Bürgerforum" vom Dienstagabend lässt die Wogen hochgehen: Die Verantwortlichen der aus dem Ruder gelaufenen, äußerst emotionalen Diskussionsrunde, bei der die sechs Chefs der Parlamentsparteien zu den Themen Flüchtlinge und Terror mit Bürgern diskutierten, sehen sich nun mit dem Vorwurf der "rechtsextremen Propaganda" konfrontiert - weil sie ausgerechnet den Obmann der "Identitären Bewegung Österreich" zu Wort kommen ließen. Während die Grünen und die Sozialistische Jugend scharfe Kritik an der Vorgehensweise des ORF übten, verteidigte der Sender die Einladung mit dem Argument, man habe "das gesamte Meinungsspektrum" abbilden wollen.

Kanzler Werner Faymann, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Grünen-Chefin Eva Glawischnig, NEOS-Chef Matthias Strolz und Robert Lugar vom Team Stronach waren am Dienstagabend dazu aufgerufen, sich den Fragen der 300 geladenen Bürger zum Thema "Flüchtlinge - kein Ende in Sicht" zu stellen.

Auch wenn angesichts des Themas mit erhitzten Gemütern zu rechnen war, dürfte selbst Moderator Peter Resetarits von der Heftigkeit der Diskussion überrascht worden sein. Inhaltlich war von den sechs Parteichefs wenig Neues in der Flüchtlingsdebatte zu erfahren. Von Faymann und Mitterlehner wurden zum wiederholten Male europäische Solidarität und eine Verbesserung der Situation in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, eingefordert. Der Kanzler warnte zudem davor, die zahlreichen kursierenden Gerüchte über Flüchtlinge ernst zu nehmen.

FPÖ-Chef Strache warf der Regierung erneut ein "völliges Versagen" bei den Grenzkontrollen vor und nutzte die Sendung dazu, seine Sorge um eine mögliche Verbindung zwischen Flüchtlingen und der Terrormiliz Islamischer Staat zum Ausdruck zu bringen.

Grünen-Chefin Glawischnig und NEOS-Obmann Strolz kritisierten die Regierung wiederum für die Kürzungen der internationalen Hilfsgelder. Team-Stronach-Klubobmann Lugar stellte fest, dass sich viele junge Männer unter den Flüchtlingen befinden. Diese sollten "gefälligst dort unten bleiben und für ihr Land kämpfen", sagte er.

Buhs, Zwischenrufe und verärgerte Parteichefs
Eine seriöse Debatte über die Flüchtlingskrise schien allerdings streckenweise kaum möglich. In der Sendung herrschte eine angespannte Stimmung unter den anwesenden Bürgern, die auch Faymann und Co. zu spüren bekamen. Buhs, Zwischenrufe und ob der vom Publikum gestellten Fragen irritierte Parteichefs waren die Folge. Vizekanzler Mitterlehner sah sich gar gezwungen, "Diskussionskultur" vom Publikum einzufordern. "Es ufert ein wenig aus", musste schließlich auch ein verärgerter Moderator Resetarits eingestehen.

Kritik muss sich der ORF nun aber nicht nur wegen der aus dem Ruder gelaufenen Diskussion gefallen lassen, sondern vor allem wegen des Auftritts des Obmanns der vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes als rechtsextrem eingestuften "Identitären Bewegung Österreich", Alexander Markovics. Er gab der österreichischen Regierung "durch ihre Politik der offenen Grenzen" Mitschuld an den Terroranschlägen in Paris am 13. November und forderte (im Video ca. bei Minute 45) unter Applaus und Jubel von Teilen des Publikums zum Schließen der Grenzen auf.

ORF verteidigt Einladung von "Identitären"-Chef
Die Frage, die sich daraufhin viele Zuseher stellten, war, ob die Sendungsverantwortlichen wussten, wem sie da Redezeit einräumten bzw. ob Markovics gar in seiner Funktion als "Identitären"-Chef in die Sendung eingeladen wurde. Die Antwort darauf lieferte der ORF am Mittwochnachmittag: "Die Einladungen erfolgten, wie bei Diskussionssendungen dieser Art üblich, durch die zuständige Redaktion. Ziel der Redaktion war es, das gesamte Meinungsspektrum abzubilden", verteidigte sich der Sender. Von insgesamt 300 Menschen im Publikum sei eine Stimme die des Vertreters der "Identitären" gewesen.

"Der Eingeladene war Teil der angemeldeten und genehmigten Demonstration in Spielfeld. Auch das ist Teil der Realität", hieß es in einer Stellungsnahme weiter. Es seien alle Gruppen eingeladen gewesen, die sich mit dem Thema Flüchtlinge intensiv befassten bzw. die davon betroffen seien. Darunter seien beispielsweise auch eine Vertreterin der "Plattform Bleiberecht" oder Flüchtlinge selbst gewesen.

"Identitären"-Auftritt für SJ-Chefin ein "Skandal"
"Wenn der Obmann der 'Identitären', Alexander Markovics, widerspruchslos Werbung für seine Organisation machen kann, ist das ein Skandal!", kritisierte Julia Herr, die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Markovics' Auftritt. "Ein schlagender Burschenschafter spricht im ORF - da wäre wenigstens eine kritische Erklärung des Moderators angebracht", so Herr, die auch die Gestaltung der Sendung in die Kritik nahm, weil gleich zu Beginn "die schrecklichen Terroranschläge in Paris mit Flüchtenden" in Verbindung gebracht worden seien. Das sei "unsensibel und gefährlich".

Auch Grüne kritisieren Vorgehensweise des ORF
Der Mediensprecher der Grünen, Dieter Brosz, kritisierte Markovics' Einladung in die Diskussionssendung in einem offenen Brief, den er an ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz adressierte: "Mit Verwunderung mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass mit Alexander Markovics ein Vertreter der extremen Rechten zu Wort gebeten wurde." Markovics habe sich als Sprecher einer höchst umstrittenen extrem rechten Vereinigung zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor knapp einer Million Zusehern vorstellen dürfen, so Brosz.

Auch auf Twitter zog Markovics' Auftritt zahlreiche empörte Reaktionen nach sich, in denen "rechtsextreme Propaganda" und "Rechtsextreme im ORF" kritisiert wurden.

Aus dem Video-Archiv: Mehrere Zwischenfälle bei "Identitären"-Demo in Wien

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