"Krone"-Interview

Emigrate: “Ich muss beweisen, etwas wert zu sein”

Musik
17.11.2014 16:00
Richard Kruspe, weltbekannter Gitarrist von Rammstein, hat sich mit Emigrate einen Lebenstraum erfüllt. "Silent So Long" nennt sich das zweite Album, auf dem er unter anderem Lemmy Kilmister, Marilyn Manson und Jonathan Davis als Gastsänger integriert hat. Im Talk mit der "Krone" erweist sich Kruspe nicht nur als reflektierter, sondern auch sympathischer und redseliger Gesprächspartner. Dabei erzählte er nicht nur vom neuen Album, sondern auch von seinen privaten Problemen, dem immerwährenden Erfolgsdruck, der Applaussucht und der vagen Zukunft von Rammstein.
(Bild: kmm)

"Krone": Richard, im April 2013 hast du erstmals angekündigt, dass du das zweite Emigrate-Album "Silent So Long" veröffentlichen wirst. Warum hat es schlussendlich doch noch so lange gedauert, bis es wirklich rauskommt?
Richard Kruspe: Hast du schon einmal ein Haus gebaut?

"Krone": Bislang noch nicht.
Kruspe: Okay, da brauchst du meist auch die doppelte Zeit als geplant, das ist beim Musikmachen nicht anders. (lacht) Ich kam im März zurück aus L.A. und hatte die Musik fertig, aber ich hatte eine bestimmte Idee, was das Artwork betraf, und das konnte lange nicht so umgesetzt werden, wie ich mir das vorstellte. Meist sagt man bei einem Album am Ende, dass man es einfach fertigkriegen will. Da macht man aber die meisten Fehler und ich bin es von der Arbeit mit Rammstein gewohnt, auch am Ende nicht nachzulassen und jede Kleinigkeit zu beachten. Das kann sich dann halt auch noch lange rausziehen. Ich arbeite zudem extrem ungern unter Druck und finde es sehr angenehm, dass ich mir immer alle Zeit der Welt lassen kann. Deshalb habe ich wohl auch sieben Jahre gewartet. Ich bin sehr kreativ und arbeite jeden Tag dahin, da sammelt sich dann einiges zusammen und vor etwa drei Jahren, direkt nach einer Rammstein-Tour, habe ich mich da mal durchgehört. Ich habe dann die "Emigrate-Familie" nach Berlin geholt und schnell gemerkt, dass das Material auf große Begeisterung stößt. Nur den Drummer wollte ich wechseln und da kam ich auf Mikko Sirén. Den kannte ich wohl schon von Apocalyptica, habe ihn aber nie so ganz als Drummer wahrgenommen, weil dort eben vier Cellisten die Hauptrolle spielen. Er kann dort auch nicht alles geben und ich war extrem positiv überrascht, wie stark er war.

"Krone": Ich dachte eher, die Verzögerung lag an den unzähligen Gästen, die Songs auf dem Album eingesungen haben?
Kruspe: Ich habe gar nicht so wirklich auf die gewartet und ich hatte auch keine Liste. Wir haben auf die Songs gehört und die haben dann mehr oder weniger die Sänger diktiert. Beim Song von Lemmy Kilmister von Motörhead hatte ich so eine Pop-Ausrichtung mit Akustikgitarre. Das klang wie eine Mischung aus Motörhead und Depeche Mode. Sollte ich also Lemmy oder Dave Gahan fragen? Lemmy habe ich gefragt und er war damals ziemlich krank, musste sogar die Tour absagen. Aber ein paar Tage später kam der Song mit seinem Gesang drauf plötzlich zu mir. Ich hatte bei allen anderen Songs auch immer eine Kruspe-Version, weil wir eben keine Gastsänger suchten. Manches funktionierte einfach, manches fast gar nicht. Jonathan Davis von Korn wäre gerne dabei gewesen, aber das war unheimlich schwierig. Er hatte kein E-Mail und kein Telefon – alles ging nur über Dritte. Er ließ auch nur über Dritte antworten und irgendwann wollte ich nicht mehr. Ich habe den Song dann schon im Studio gemixt, als er plötzlich eine E-Mail schickte. Ich gab ihm dann zwei Stunden und er hat ihn tatsächlich eingesungen. Das war letzte Sekunde.

Peaches war im Studio in Berlin. Der war das Einsingen gar nicht so wichtig, die wollte anfangs nur sehen, wer dahintersteckt. Dann haben wir erst einmal zwei Stunden lang über Smoothies und Rohkost geredet und dann wollte sie auch den Track machen. (lacht) Bei Marilyn Manson wusste ich vom Song her als Erstes, dass es zusammenpassen würde. Ich habe ihn aus Kalifornien losgelöst und wir haben acht Stunden lang an dem Song geschraubt. Emigrate habe ich ja als Projektcharakter erfunden, weil ich das in der Arbeit mit Rammstein vermisst habe, aber ich war unsicher, wie das mit mir als Sänger funktionieren würde. Dass die Erwartungen größer sein werden als das, was ich liefern kann. Ich habe dann am richtigen Knopf gedreht und plötzlich war alles klar und einfach. Ich war dann auch selbstsicher genug, dieses Album zu machen. Weiter war es mir als Produzent wichtig, trotz der vielen Gäste ein Emigrate-Gefühl zu haben und nicht ein Karaoke-Album mit vielen Sängern rauszubringen. Ich habe erstmals überhaupt in meinem Leben das Gefühl, dass ich jetzt ein Album habe, das ich nicht ändern möchte. Dieses Gefühl ist sehr schön.

"Krone": Inwiefern muss sich für dich Emigrate von Rammstein unterscheiden?
Kruspe: In erster Linie einmal durch die Kollaborationen – durch die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. An zweiter Stelle habe ich gemerkt, dass ich ein Mensch bin, der schon gerne das letzte Wort hat, dadurch aber auch zu einem besseren Teamplayer wird. Es geht nicht um Egos, sondern um Musik. Bei Rammstein werden manchmal Entscheidungen aus Ego-Gründen gefällt. Ich will die Verantwortung gerne übernehmen, es herrscht aber bei Emigrate Demokratie. Bei Rammstein herrscht eine Demokratie, die diktiert. Damit habe ich aber meinen Frieden gemacht und deshalb gibt es Emigrate. Rammstein ist zudem schon eine Band, die sich gerne mal auf die visuellen Effekte beschränkt wird und wo das Musikalische manchmal zu kurz kommt. Ich wollte auch zeigen, dass ich mehr kann, als einen Flammenwerfer anzünden.

"Krone": Songtitel wie "Eat You Alive", "Giving Up" oder "Born On My Own" klingen alle sehr persönlich. Ist Emigrate eine gute Plattform für deine persönlichen Befindlichkeiten, Ängste und Sorgen?
Kruspe: "Born On My Own" ist einer der persönlichsten Songs, die ich je geschrieben habe, und er kommt aus einem Gedanken, den ich mein Leben lang nicht loswurde. Ich hatte immer das Gefühl, ein König ohne Volk zu sein. Das war immer in meinem Kopf und ich habe dann einmal eine Reinkarnationstherapie gemacht und dieses Leben erlebt. Das war total interessant und daraus entstand dieser Song.

"Krone": Der Song "Rainbow" ist noch privater, denn er dreht sich um deine Tochter.
Kruspe: Genau, da geht es um meine kleine Maxim. Lustigerweise passte der Song nie ganz in das Repertoire, aber ganz zum Schluss war sie im Studio und wir hatten die passende Version in einem Take. Ich bin wirklich ein großer Gläubiger in Bezug auf Menschen und Städte, die einen Teil in einer Musik widerspiegeln. Das erste Album war mein New-York-Album, das hier ist jetzt das Berlin-Album.

"Krone": Du warst schon immer jemand, der sich in Interviews und Gesprächen sehr stark geöffnet hat. Hat dich das in die Richtung therapiert, dass du dem nicht immer einfachen Musikbusiness wohlwollender gegenüberstehst?
Kruspe: Wir hatten bei Rammstein immer die Freiheit machen zu können, was wir wollen. Die Industrie hat uns nie diktiert, was wir tun sollen, und das liegt wohl daran, dass wir jahrelang im Osten groß wurden und extrem zensiert wurden. Wir konnten bestimmte Dinge stark ausleben, so wie wir wollten. Mir was diktieren zu wollen, würde auch nicht funktionieren. Ich habe das Gefühl, dass die Qualität der Musik immer schlechter geworden ist. Das liegt auch daran, dass es immer stärker Promotion-getrieben ist. Album machen, Interviews, Videos machen, auf Tour gehen – das ist viel Arbeit, aber wovon sollen die Jungs sonst auch leben? Darunter leidet die Qualität des Albummachens. Ich habe natürlich das Privileg, dass ich mit Rammstein eine Band habe, die mir Emigrate finanziert, aber ich stelle mich ein bisschen gegen den Trend. Ich sehe Emigrate auch nicht als Liveband, sondern als Studioband, die versucht, große Alben zu machen. Ich hoffe, die Leute merken, dass wir viel Qualität haben und das auch motivierend für andere ist. Es ist heute auch viel einfacher, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten, denn früher waren oft schon zweiseitige Verträge nötig, um überhaupt in Kontakt zu kommen. Es geht wieder mehr um Musikmachen und ich denke, die nächste Generation wird die Musikwelt retten. Sie will dann nicht mehr besitzen, sondern nur mehr an Dinge rankommen. Das Schlüsselwort heißt "Stream". Es gibt ja schon Modelle, wie man da Geld einnimmt, und das wird sich weiterentwickeln. Ich denke, die Leute werden auch wieder auf eine gewisse Qualität achten.

"Krphase noch länger andauern?
Kruspe: Anscheinend schon. Wir treffen uns einmal jährlich und bereden, wie es jedem geht. Wir legen viel Wert darauf, dass es allen gut geht. Ich bin der Auffassung, wenn nicht wirklich eine Idee oder Vision für ein Album da ist, dann muss man das auch nicht machen. Es gibt so viel Musik da draußen, man muss nicht zwingend immer dem Rhythmus der Industrie folgen. Ich kann mir schon vorstellen, mit Rammstein zu touren und Festivals zu spielen. Für das Studio fehlt es aber an einer Vision. Wir treffen uns wieder im September 2015 und schauen dann, wie es uns geht, aber bis dorthin wird nicht viel passieren. Wir sind auch in der Situation, ohne neues Album Festivals anführen zu können.

"Krone": Du selbst hattest nicht immer die einfachste Zeit in der Band, da gab es immer wieder Groll. Wie ist der Status quo?
Kruspe: Für mich gut. Ich denke, die Jungs bei Rammstein sind begeistert, dass ich mit Emigrate etwas anderes gefunden habe, weil ich dann nicht ständig nerve und nicht jeden Tag mit fünf neuen Ideen ankomme. Ich habe hier mein Gleichgewicht gefunden. Viele dachten ja, es wäre nur eine Art Abspaltung von Rammstein, aber es ist genau das Gegenteil passiert. Ohne Emigrate wäre ich wohl nicht mehr bei Rammstein. Die Jungs und ich sind einfach entspannter als früher. Ob das wiederum gut ist, um Musik zu machen, weiß ich aber nicht. Manchmal braucht man dafür ja ein bisschen Anspannung. (lacht)

"Krone": Verspürst du in dir selbst immer noch diesen kreativen Druck, möglichst täglich Songs schreiben zu müssen?
Kruspe: Ja, leider. Ich glaube auch, dass das ein Kreislauf ist, den sich jeder selbst bildet. Wir sind auf dieser Welt, um Dinge zu lernen, und ich denke, dass Künstler sich generell unbewusst in eine Situation des Leidens bringen, um wieder schreiben zu können. Wäre ich ganz glücklich, würde ich wohl aufhören zu schreiben. Ein Teil von mir bringt mich aber immer in eine Art Wahnsinn, um Kreativität zu erzeugen. Es ist eine unendliche Geschichte und ich muss mir immer wieder selbst beweisen, dass ich was wert bin. Wir reden da jetzt rein tiefenpsychologisch. Das ist die Sucht, die ich habe. Ich arbeite an mir selbst, etwas wert zu sein.

"Krone": Wobei du in deiner Rolle bei Rammstein vor Zigtausenden Menschen spielst, weltweit abgefeiert wirst und von Applaus umgeben bist.
Kruspe: Ich weiß, aber das hilft nichts. Das ist wie eine Droge. Du willst immer mehr und mehr. Das ist ja das große Problem. Wer weiß, wie weit ich das noch betreiben möchte? Es gibt auch andere Bereiche, in denen ich kreativ sein kann. Ich baue zum Beispiel gerade ein Haus, was unheimlich kreativ sein kann, und möchte vielleicht mal ein Buch schreiben, eine andere Band produzieren oder bei Filmarbeiten mitmachen. Es gibt noch viele Bereiche, wo ich gerne etwas beitragen möchte. Ich mag es, wenn Dinge entstehen. Das einzige Problem an mir ist, dass ich mich in eine Art Leidensprozess begebe, um die bestmögliche Kreativität rauszuholen. Das ist auch körperlich mitunter anstrengend.

"Krone": Verspürst du in anderen Kunstformen oder auch beim Hausbau mehr Befriedigung?
Kruspe: Ich weiß es nicht. Es gibt so viele Geschichten, die ich schon erlebt habe. Meine Reise von Schwerin, über Ostberlin und Westberlin bis nach New York und wieder zurück. Ich möchte das gerne für meine Nachwelt aufschreiben. Vielleicht für meine Kinder. Wobei die diese Geschichten eh schon tausendmal gehört haben, also wahrscheinlich doch nicht. (lacht) Ich bin vor drei Jahren aufgrund der Geburt meiner Tochter wieder fix nach Berlin gezogen. Ich vermisse New York, weil die Stadt für mich rein kreativ das Beste aus mir rausgeholt hat. In Berlin bin ich immer von so vielen Kleinigkeiten abgelenkt und finde extrem selten Ruhe. Ich habe hier auch so viel Verantwortung in meiner Familie und so weiter. Da wünsche ich mich manchmal schon nach New York zurück. Sie ist eine wunderschöne Stadt als Single, aber für eine Familie ist sie eine fuckin' Bitch.

"Krone": Hast du in Berlin Probleme, dich in der Öffentlichkeit zu zeigen?
Kruspe: Nicht wirklich, die Leute sind hier relativ entspannt und wir machten ja auch niemals die bunte Presse. Das ist schon sehr angenehm.

"Krone": Auch wenn du mit Emigrate nicht live spielen möchtest, gibt es trotzdem Hoffnung, dass es passieren wird?
Kruspe: Es gibt eine kleine Pflanze in meinem Kopf, die jeden Tag wächst. Die Leute wollen das sehen und es kommen viele Anfragen, aber natürlich habe ich automatisch diesen Vergleich zur Rammstein-Welt, wovon ich mich loslösen muss. Rammstein-Shows sind so einzigartig, dass man sie nicht kopieren kann. Ich hatte im Prinzip nur die Sehnsucht, im Studio zu sein, zu schreiben und mit Leuten zusammenzuarbeiten. Sachen, die ich mit Rammstein nicht mache. Das habe ich eben jetzt abgearbeitet und es kommt dann noch ein drittes Album von Emigrate. Das ist schon fast fertig, es fehlen noch drei Songs und ich will es nächstes Jahr finalisieren. Dann bin ich wahrscheinlich wieder mal mit Rammstein unterwegs, wo ich dann ohnehin die Live-Schiene habe, die ich nicht umbringen will.

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