„Krone“-Interview

Heaven Shall Burn holen sich die „Heimat“ zurück

Musik
27.06.2025 08:00

Heaven Shall Burn waren schon immer das linkspolitische Gewissen in der deutschen Metalszene. Mit ihrem neuen Album „Heimat“ machen sie nicht nur Jagd auf die Chartsspitze, sondern wollen auch einen schwer belegten Begriff ent-problematisieren. Gitarrist und Songwriter Maik Weichert spracht mit uns beim Nova Rock über das neue Album, die Bedeutungsebenen von Heimat und die Kraft von Thüringer Klößen.

kmm

Wer sich nicht die ganze Zeit in den sozialen Medien bewegt, der hat am diesjährigen Nova Rock bei der Show von Heaven Shall Burn ein Überraschungsmoment erlebt. Anstatt des etatmäßigen Sängers Marcus Bischoff röhrte Britta Görtz von der Bühne, wurde von den Fans aber genauso liebevoll abgefeiert wie ihr Liebling. Bischoff zog sich ein paar Tage zuvor während des „Rock am Ring“-Festivals am Nürburgring eine schlimme Halsinfektion zu und wurde erst einmal zur Pause gezwungen. „Das war eine krasse Erfahrung“, erinnert sich Gitarrist und Songwriter Maik Weichert beim Nova-Rock-Talk mit der „Krone“ zurück, „wenn dir in so einem Rahmen der Sänger ausfällt, du aber so viel Liebe von den Fans zurückbekommst. In diesen Momenten spürt man, dass eine Gemeinschaft da ist.“ Eine Gemeinschaft, die den Musiker im Kontext von Social Media aber auch ein wenig verstörte.

Zeuge einer perversen Dynamik
„Man kann 1000 aktivistische Empowerment-Beiträge teilen und es passiert überhaupt nichts. Muss aber jemand eine Show abbrechen und erzählt das den Leuten unter Tränen, geht der Beitrag viral und die Followerzahlen reichen in die Höhe. Das ist irgendwie eine perverse Dynamik, obwohl sie nur Solidarität ausgelöst hat. Ich bin auf eine negative Weise überwältigt, obwohl es nur positives Feedback gab.“ Heaven Shall Burn sind seit 30 Jahren ein erfolgreich durch die Heavy-Metal-Meere stechendes Flaggschiff mit klarer politischer Couleur. Seit jeher engagieren sich die Musiker für Organisationen wie Sea Shepherd, machen aktiv aufmerksam auf Themen wie Umweltzerstörung und den austreibenden Rechtsextremismus und lassen keine Möglichkeit aus, sich in ihren Texten zu positionieren. Musikalisch lässt man sich von den 90er-Jahre-Größen des schwedischen Melodic Death Metal inspirieren und würzt diesen Grundsound mit Metalcore-, klassischen Death Metal- und vereinzelten Black-Metal-Zitaten.

Damit feiern sie große Erfolge. 2004 gelang mit „Antigone“ der flächendeckende Durchbruch, das letzte Studioalbum „Of Truth And Sacrifice“ setzte sich in Deutschland sogar auf Platz eins der Charts und erreichte in Österreich einen respektablen vierten Rang. Dieser Tage veröffentlichen die Thüringer ihr zehntes Werk und nennen es bewusst provokant „Heimat“. Doch warum ist ein allen so vertrauter Begriff denn überhaupt provokant? „Es ist besonders interessant, wenn linke Zecken wie wir diesen Begriff verwenden“, schmunzelt Weichert, „dazu stellen sich viele Fragen. Warum ist es ein Problem, dass populistische Schwachköpfe diesen Begriff nehmen, auf einen Thron setzen und mit irgendwelchen identitären Schwachsinn ausfüllen? Was bedeutet mir Heimat eigentlich? Kann man diesen Begriff überhaupt noch ent-problematisieren? Der Titel eines Albums muss natürlich herausstechen und ist auf jeden Fall eine schöne, gedankliche Fingerübung.“

Heimat als Zeitform
Dass sich bei weitem nicht alle Songs um das Thema Heimat drehen, ist dabei nebensächlich. In erster Linie geht es Heaven Shall Burn schon auch darum, ein belastetes Wort durch ihre Verwendung zu einem gewissen Teil wieder zu entlasten. „Man muss auch nicht wie Heinrich Heine an diesem Begriff leiden und zerbrechen. Für mich ist immens interessant, dass man Heimat ganz oft in der Vergangenheit denkt. Das Wort ist kein Gegenwartszustand und wird noch seltener für die Zukunft benützt. Würden Menschen Heimat zukünftig denken, dann würden sie auch über Artensterben, den Klimawandel oder die Entsolidarisierung der Gesellschaft nachdenken.“ Was den Begriff Heimat überhaupt ausmacht, ist natürlich eine oft gestellte, aber legitime Frage, auf die jeder eine andere Antwort findet – natürlich auch Weichert.

„Für mich ist das gar nicht so Raum und Zeit. Ich bin in der DDR geboren und aufgewachsen. Ein Land, das es noch nicht einmal mehr gibt. Meine Mutter ist noch in Königsberg, in Ostpreußen, in ganz finsteren Kriegszeiten geboren worden. Für mich ist Heimat eher ein Mindset aus grundständigen Werten, der Herkunft und wer meine Freunde sind – und nicht ein blumenumranktes Haus im Thüringer Wald. Wenn eine Band wie wir eine Platte ,Heimat‘ nennt, dann sucht man von außen automatisch die Haken, das Widerborstige und die Stacheln, die sich da verbergen. Da wird das Thema auf allen Metaebenen gleich viel ambivalenter.“ Für das Cover-Artwork hat man – auch bewusst – einen röhrenden, maskulin wirkenden Hirsch in Szene gesetzt. „Wir wissen, dass der Begriff und das Drumherum gerade in unserer Blase viel Halskratzen verursacht und wollten da mit Klischees brechen. Man kocht heutzutage so oft im eigenen Saft, dass man gar keine Verbindung mehr hat zu anderen Denkmodellen. Es muss wieder mehr Raum für Diskurs geben und man muss auch Dinge aushalten können.“

Wilder Schrei nach Liebe
Das Thema Heimat kann man auch nicht von der Tagespolitik lösen, das ist der politisch bewussten Metal-Band ganz klar. „Diese Hochmobilität, dass du jetzt hier mit mir beim Nova Rock sitzt und theoretisch morgen ein persönliches Interview in San Francisco führen kannst, die gibt es noch nicht so lange. Für kosmopolitische Menschen ist Heimat links unten in der Milchstraße, für andere ist es die Stiege im eigenen Wohnblock. Für meinen Sohn war Heimat zuletzt, als er in einen Thüringer Kloß gebissen hat. Warum hat jemandes Heimat weniger Bedeutung als die von jemand anderem? Unsere Heimat wird nicht von Menschen bedroht, die von woanders herkommen und arme Schweine sind. Sie wird bedroht vom Klimawandel, dem Artensterben und den Kriegen, von denen jetzt schon wieder ein neuer ausgebrochen ist.“ Heaven Shall Burn mögen nicht die feine Klinge für ihre Botschaften verwenden, sie kämpfen mit ihren musikalischen Waffen aber unermüdlich. Vielleicht nicht direkt für eine bessere Welt, aber für mehr Verständnis, Toleranz und Liebe. Manchmal muss man sich Liebe eben radikal aus dem Hals schreien.

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