Seit BYD den Unter-4-Meter-Winzling Seagull vergangenes Jahr auf der Autoshow in Peking gezeigt hat, warten wir darauf, dass er zu uns kommt. Jetzt ist er da, allerdings unter anderem Namen, deutlich größer, viel besser ausgestattet bzw. motorisiert - und mehr als doppelt so teuer. Trotzdem nicht teuer. Wie bitte?
Ja, auch wenn viele jetzt aufschreien werden „die Chinesen, bei uns langen sie richtig hin und verkaufen ihre Billig-Schüsseln zu überteuerten Preisen“ – der BYD Dolphin Surf (so heißt die Europa-Version) ist sehr solide, wirkt nicht im Geringsten billig und bietet ein hervorragendes Preis-Leistungsverhältnis. Aber der Reihe nach.
Statt nur 3,78 Meter wie die China-Version misst der Dolphin Surf ganze 3,99 m in der Länge, 1,72 m ist er schmal und mit 1,59 m auch eine halbe Handbreit höher. Für Europa wurden der Rahmen gestreckt und die Knautschzonen vergrößert. Der 30-kWh-Akku lässt sich nur in Europa durch einen 43,2 kWh großen ersetzen, beide lassen sich auch schneller laden und schaffen 10 bis 80 Prozent in einer halben Stunde. Ladeleistung: 65 bzw. 85 kW. Wechselstrom nehmen sie mit bis zu 11 kW auf (statt 2,7 oder 6,6 kW in China). Dazu kommen sechs statt vier Airbags, eine ganze Menge exklusive Ausstattungsoptionen und die serienmäßig geteilt statt einteilig umklappbare Rücksitzlehne.
Während BYD für den Seagull in China einen Kampf-Basispreis von umgerechnet sehr weit unter 10.000 Euro aufruft, stehen bei uns 19.990 Euro als „Ab-Preis“ im Schaufenster, mit 30-kWh-Batterie und 65 kW/88 PS. Für ein eingeschränktes Nutzungsprofil mag das sogar eine gute Wahl sein, denn wer den Dolphin Surf tatsächlich als Stadtfloh verwendet, wird möglicherweise mit einer WLTP-Reichweite von 220 Kilometer auskommen.
Doch ein richtig ernsthaftes Auto wird der Kleine vor allem mit dem 115 kW/156 PS starken Top-Motor, der nur mit Vollausstattung und großer Batterie zu bekommen ist, ab 25.880 Euro.
Sportlich, auffällig und erstaunlich ausgereift
Der knallgelbe Lack des Testwagens ist aufpreisfrei, normale Farben (Schwarz, Weiß, Blau) kosten 650 Euro extra, doch „Lime Green“ passt perfekt zur Lamborghini-artigen Front. Und zum spritzigen Fahr(spaß)verhalten. Vor allem im Sportmodus reißen die 220 Nm Drehmoment aus dem Stand geradezu fulminant an, nach 9,1 Sekunden durchbricht der 1,4-Tonner schon die 100er-Mauer. Vmax: 150 km/h.
Doch viel Motorleistung macht noch kein gutes Auto, wie vor allem chinesische Fabrikate mit weich abgestimmten, teils unausgegorenen Fahrwerken schon oft gezeigt haben. Ganz anders der BYD Dolphin Surf: Sein Fahrwerk ist straff, aber nicht zu hart, die Federn/Dämpfer sprechen hervorragend an und das Auto liegt satt auf der Straße. Selbst heftige Temposchwellen verlieren ihren Schrecken, weil sie auch bei etwas erhöhtem Tempo weit weniger „reinknallen“ als in vielen doppelt und dreifach so teuren Fahrzeugen.
Lediglich die Lenkung ist kein Paradestück: Obschon zielgenau ist sie doch gefühllos und wirkt etwas teigig.
Im sommerlichen Alltag gehen sich locker 240 Kilometer Reichweite aus, 310 km sind es nach WLTP. Wer auf der Autobahn mit 130 oder mehr dahinzieht, muss früher an die Ladesäule. Im Winter wird man deutliche Abstriche machen müssen, vor allem da es keine Wärmepumpe gibt.
Platz für vier und ein bisschen Gepäck
Vier Erwachsene halten es locker auch auf längeren Strecken aus, dürfen aber nicht allzu viel Gepäck mitnehmen. Der Kofferraum fasst zwar nominell 308 Liter, das dürfte aber dachhoch gemessen sein, denn wirklich groß ist er nicht. Unter dem doppelten Boden finden die Ladekabel Platz.
Feiner Innenraum
Das Interieur ist sympathisch gestaltet, die Materialien wirken angemessen wertig. Vieles ist hartes Plastik, allerdings strukturiert und dadurch gut anzusehen und anzufassen, es gibt viel Kunstleder, dass sich neoprenartig anfühlt, auch am Armaturenbrett. All das schon in der Basisversion, denn beim Interieur gibt es nur eines für alle. Ein 7-Zoll-Tacho-Screen und ein drehbarer 10,1-Zoll-Touchscreen sorgen für Information.
Ausstattung wie die Großen
Zwar ist der kleine BYD als Stadtauto konzipiert, prinzipiell bringt er aber (außer einer wirklich großen Batterie) alles mit, was es für längere Strecken braucht. Dazu gehören nicht nur sämtliche Assistenzsysteme, die mitsamt Adaptivtempomat mit Spurführung serienmäßig sind, sondern auch die Navigation mit automatisch eingeplanten Ladestopps. Man kann sogar vorgeben, mit welchem Akkustand man am Ziel oder einer Ladesäule ankommen will. Das Ziel wird auch auf Zuruf (Hey BYD!) gefunden. Beim ersten Versuch ist oft die Antwort, dass das System auf das Ziel nicht zugreifen kann, beim zweiten Versuch hat es aber im Test immer zuverlässig funktioniert. Man kann aber auch jederzeit via Apple CarPlay oder AndroidAuto (drahtlos) navigieren.
Der „Autopilot“ funktioniert prinzipiell gut und erkennt durch reine Berührung des Lenkrades, dass der Fahrer anwesend ist. Allerdings regelt er etwas unharmonisch, also er regelt gefühlt zu oft nach. Insbesondere wenn man auf der Autobahn über Bodenwellen fährt, ruckelt er spürbar.
Gerade Assistenzsysteme sind (nicht nur) bei chinesischen Autos oft ein lästiges Ärgernis. BYD hat hier dazugelernt: Um den Tempolimitwarner abzuschalten, muss man sich nicht mehr durchs Menü quälen, sondern kann in einem Drop-down-Menü am Touchscreen eine Schaltfläche antippen. Fertig. Einzig die unfassbar empfindliche Aufmerksamkeitsassistentin lässt sich nur umständlich abschalten. Ein Trick löst das Problem: einfach mit einem Klebstreifen die Kamera abkleben – dann bleibt die Stimme dauerhaft stumm, auch nach dem nächsten Neustart.
Lediglich die lauten Windgeräusche machen Autobahnfahrten etwas anstrengend. Vielleicht liegt es am Geräuschpegel, dass die Handy-Freisprecheinrichtung völlig unbrauchbar ist.
Das Handy-Problem hat auch manch teureres Auto, aber eine Ausstattungsungewöhnlichkeit hat der BYD ziemlich exklusiv: Auch in der Topausstattung gibt es keine Klimaautomatik, sondern nur eine manuelle Klimaanlage, die übers Display bedient wird. Da wurde genauso gespart wie am fehlenden Heckscheibenwischer oder an den elektrischen Fensterhebern, die beim Schließen gehalten werden wollen, bis die Scheibe ganz zu ist. Nur am Fahrerfenster gibt es die Automatik in beide Richtungen, und auch hier nur in der Topausstattung namens Comfort.
Interessante Preispolitik
Das war nur ein Beispiel für die Aufpreispolitik des Herstellers, die voraussichtlich dafür sorgen wird, dass hauptsächlich topausgestattete Exemplare ausgeliefert werden. Denn nur da sind z.B. LED-Scheinwerfer, die tadellose 360-Grad-Kamera (mit „durchsichtiger Karosserie), Sitzheizung vorn und die kabellose Handyladestation an Bord. Einzeloptionen werden nicht angeboten. Der starke Motor gehört auch zu Comfort.
Die große Batterie bekommt man auch in der Boost genannten mittleren Ausstattungsstufe, allerdings mit dem 88-PS-Motor, der für den Standardsprint 12,1 Sekunden braucht. Die Variante mit dem dynamischsten Namen geht als am gemächlichsten zu Werke. Beheizte elektrische Außenspiegel und 16-Zoll-Alu- statt 15-Zoll-Stahlfelgen sind auch mit dabei.
Generell inkludiert sind sechs Jahre (auf 150.000 km) Werksgarantie und acht Jahre (auf 200.000 km) Batteriegarantie.
Fahrzit
Kein Billigheimer, weder beim Preis noch im Umgang: Der BYD Dolphin Surf ist ein durch und durch gelungenes kleines, aber vollwertiges Auto, das richtig viel für relativ wenig Geld bietet (im Herbst – spätestens wenn die Produktion ins neue BYD-Werk in Ungarn verlegt wird – dürften aber die Preise spürbar anziehen). Die paar Kritikpunkte lassen sich locker verschmerzen und wenn man einen Klebstreifen bei der Hand hat, dann nervt auch nichts. Das ist mehr, als man von vielen deutlich teureren Autos sagen kann.
Warum?
Fährt richtig gut
Klein und erschwinglich
Ausgereift und solide
Warum nicht?
Weil er aus China kommt
Oder vielleicht …
… Hyundai Inster, Citroen e-C3
Kommentare
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