Wenn bei den Salzburger Pfingstfestspielen heute, Sonntag, „La Traviata“ erklingt, hören die Zuschauer eigentlich die Urversion von „Pretty Woman“. Zufall? Keineswegs. Dahinter steckt System.
Julia Roberts in der Hotellobby, verwandelt von der Prostituierten zur strahlenden Dame. Richard Gere erkennt sie kaum wieder. Eine Kult-Filmszene, die Giuseppe Verdi bereits 1853 komponiert hat.
Seine Violetta durchlebt in „La Traviata“ genau dieselbe Metamorphose. Kurtisane liebt Mann aus gutem Haus, die Gesellschaft rümpft die Nase, am Ende siegt die große Geste – nur dass Violetta am Ende keinen Richard Gere in der Stretchlimo bekommt, sondern Tuberkulose.
Parallelen zwischen Opern und Hollywood-Filmen
Der Vergleich ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt: Opern und Hollywood funktionieren nach derselben Geschäftslogik. Sie brauchen Hits, die garantiert zünden. Also greifen beide zum Bewährten. Verdi wusste, was eine gute Geschichte ausmacht: Skandal plus Sentiment, Moral plus Melodie.
Auch Hollywood weiß das. Deshalb entstehen „Pretty Woman“, „Moulin Rouge“ und Dutzende Variationen derselben Geschichte. Was diese Stoffe so unverwüstlich macht? Es sind die großen Konflikte, die nie alt werden: Liebe gegen Gesellschaft. Arm gegen Reich. Traum gegen Realität. Verführung gegen Treue.
Schaut man bekannte Hollywood-Klassiker einmal durchs Opernglas, erscheinen verblüffende Parallelen. In „Moulin Rouge“ trifft eine gefeierte Frau mit Vergangenheit auf einen idealistischen Mann, beide kämpfen gegen Konventionen und eigene Lebenslügen. Wie bei Puccinis „La Bohème“ erkennt sie zu spät, dass Liebe allein nicht reicht.
Steckt Mozart in „Eiskalte Engel“?
Auch „Eiskalte Engel“ ist bei genauem Hinsehen eine Mozart-Oper mit 90er-Soundtrack. Zwei junge Menschen spielen mit der Liebe anderer, testen Treue, inszenieren Gefühl. Und merken zu spät, dass das Spiel längst echt geworden ist. Genau wie in „Così fan tutte“ endet es nicht mit Sieg, sondern mit Scherben – und der Frage, ob Gefühle planbar sind.
Mozart, Verdi und Puccini waren nicht nur Komponisten, sondern auch Produzenten mit Instinkt fürs Publikum. Sie wussten, was funktioniert, und haben es variiert, neu montiert und recycelt. Verdi nahm Dumas’ Kameliendame, Puccini bastelte aus Milieugeschichten Opern, Mozart vertonte die Liebesmanöver seiner Zeit.
Man muss das Rad nicht neu erfinden. Dass Mozart ein Händchen für gute Stoffe hatte, kann man übrigens auch im Sommer sehen, wenn in „Mitridate, re di Ponto“ ein König seinen Tod vortäuscht, um die Loyalität seiner Söhne zu testen und vom eigenen Misstrauen zerschmettert wird. Es ist das Muster vom zweiten Teil von Coppolas „Paten“.
Die meisten Klassiker sind keine wirklichen Originale, sondern perfekte Wiederholungen. Wer das einmal durchschaut hat, entdeckt zwischen Popcorn und Slow-Motion plötzlich ziemlich viel Oper.
Larissa Schütz
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