„Krone“-Interview

Nickelback: „Wir waren eigentlich nie in Mode“

Musik
12.04.2024 09:00

Eine bekannte deutsche Rockband nannte eines ihrer Alben einst „Gehasst, verdammt, vergöttert...“ –  eigentlich wäre das der ideale Albumtitel für Nickelback. Die Kanadier gelten als meistgehasste Band der Welt, haben ihrer Karriere aber auch mehr als 50 Millionen Alben verkauft und sind die meistgespielte Rockband der 2000er-Jahre. Vor dem Wien-Konzert blickt Ryan Peake mit uns noch einmal zurück und auch nach vorne.

(Bild: kmm)

„Krone“: Ryan, diesen Frühling kehrt ihr das erste Mal seit sechs langen Jahren wieder für eine Europa-Tour zu uns zurück …
Ryan Peake:
Ja, die Zeit verging wirklich schnell. Vor Corona waren wir sehr aktiv, aber danach ging einiges nicht so, wie es sein sollte. Es ist auf jeden Fall schön, dass wir endlich wieder zu euch kommen.

Vor sechs Jahren war euer letzter Österreich-Gig auf der Burg Clam, in Wien wart ihr das letzte Mal 2016 vorstellig.
Diese Clam-Show werde ich nie vergessen. Das Setting dort war unglaublich. Man ist in einer unglaublich pittoresken Gegend, die mich fast ein bisschen an Kanada erinnerte. Es war ein großartiger Abend.

Ihr habt im Laufe eurer Karriere schon recht viel von der Welt gesehen. Gibt es noch immer Bereiche, die ihr gerne erforschen und entdecken möchtet?
Wir sind immer offen für alles und besonders für Plätze, die wir noch nie gesehen haben. Durch die Online-Welt kann man gut herausfiltern, wo die Menschen einen hören und dann kann man die Planung dementsprechend gut einteilen. Man muss bei seinen Wünschen aber auch ein bisschen vorsichtig sein, denn je mehr man von den üblichen Tourstationen ausschert, umso länger werden die Zeiten, bis man wieder dorthin zurückkehrt. Du hast es ja angesprochen: sechs Jahre ohne Österreich-Gig. Das ist schon eine immense Zeitspanne. Man möchte natürlich überall spielen, aber so leicht es dann am Ende nicht.

Metallica haben sogar in der Antarktis gespielt, um endlich auf allen Kontinenten präsent gewesen zu sein.
(lacht) Die Jungs sind da besonders motiviert. Ich vergönne es ihnen aber aus vollem Herzen.

Du kommst ja eigentlich aus dem Thrash Metal und hast in jüngeren Jahren sehr viel Metallica, Anthrax und dergleichen gehört. Bist du in dieser Szene noch immer sehr intensiv verwurzelt?
Wenn man einmal seinen großen Zeh in ein interessantes Gewässer hineinhält, dann verlässt einen dieses Interesse nie mehr. Über die Jahre habe ich meinen Geschmack natürlich erweitert und verbreitert, aber die Helden der frühen Tage bleiben immer präsent. Ich habe erst unlängst wieder Metallicas „Master Of Puppets“ gespielt, weil der Song so viel Spaß macht. Ich höre einmal Metallica, dann wieder Phoebe Bridgers und dann wieder „Among The Living“ von Anthrax. Zum Thrash Metal komme ich immer wieder zurück, ich liebe ihn. Wir haben auch ein paar Songs, die in ihrer Machart und Härte an die Klassiker von Testament oder Metallica heranreichen und spielen immer gerne damit herum.

Mike Kroeger hat bei euch in Interviews gesagt, hättet ihr nicht euer 2022er-Album „Get Rollin‘“ veröffentlicht, dann hätte er gerne ein Slayer-Coveralbum eingespielt.
Mike liebt es, mit solchen Signalbotschaften in die Öffentlichkeit zu gehen. (lacht) Es gibt immer noch eine Kluft zwischen Wünschen und Realität. Mike würde das sofort in die Hand nehmen, er hat von uns allen mit Abstand den härtesten Musikgeschmack. Er liebt Slayer über alles und würde am liebsten jeden Abend „Show No Mercy“ spielen. Wir haben ein paar sehr harte Songs geschrieben und wer weiß – vielleicht gibt es sogar einmal einen richtigen Thrash-Kracher von uns zu hören. (lacht)

Wird es mit den Jahren für euch schwieriger, mit Nickelback neue Alben aufzunehmen, neue Ausrichtungen zu erfinden und euch nicht ständig zu wiederholen?
Manchmal, aber eigentlich geht es uns ganz gut damit. Man hat manchmal gute Ideen, die man einspielt und danach bemerkt, dass es sie so ähnlich schon gibt, aber das ist normal und passiert immer wieder. Am Schönsten ist es natürlich, wenn man ein Konzept und einen Sound bereits im Kopf hat und man richtig loslegen kann, doch so leicht ist das meistens nicht. Sonst wäre es auch langweilig. Manchmal muss man für seine Ideen und Wünsche hart kämpfen, das gehört dazu.

Nachdem ihr sie seit 25 Jahren produziert, erwarten die Menschen von euch in erster Linie immer wieder Hits. Tut ihr euch mit dieser permanent vorhandenen Erwartungshaltung nicht auch manchmal schwer?
Um ehrlich zu sein, fühle ich dahingehend gar keinen Druck. Wir versuchen immer, das Beste aus uns herauszuholen, aber wir machen uns innerlich nicht fertig, wenn sich der große Radiohit einmal nicht einstellen sollte. Manche Songs bleiben länger liegen, weil das Gefühl nicht passt, andere sind sofort fertig. Am Ende des Tages muss die Musik nach uns klingen. Wir hatten immer viel Glück, dass uns nie eine Plattenfirma hineingeredet hat oder diktieren wollte, wie wir klingen sollen. Sie waren immer ganz auf unserer Seite, was nicht allen Bands vergönnt ist.

Weder wir noch unsere Fans würden damit glücklich werden, wenn wir externen Erwartungshaltungen folgen würden. Man kann es den Leuten auch nicht immer recht machen. Manche bekritteln, dass wir live nur die Singles spielen und nie die B-Seiten, aber der Großteil der Menschen will die Hits hören und diesem Wunsch folgen wir. Wenn ich viel Geld für eine Show ausgebe, will ich auch keine 20 Songs hören, die ich nicht kenne oder die sich irgendwo als Outtakes versteckt haben. (lacht) Wir haben schon einen so reichhaltigen Backkatalog, dass wir viel variieren können, aber ein paar Klassiker müssen immer sein. Das ist alles ein großes Luxusproblem.

Gibt es einen bestimmten Nickelback-Song, den du selbst nicht mehr hören oder spielen willst, weil er dir schon bis obendrüber steht?
Oh ja, auf jeden Fall, aber ich werde dir natürlich nicht sagen, welcher das ist. (lacht) Einen Song über so viele Jahre jeden Abend immer wieder zu spielen ist so, als würdest du täglich dasselbe Gedicht schreiben. Da stellen sich schon mal Ermüdungserscheinungen ein. Die Fans machen aber auch diese Songs spannend, denn wenn der Jubel aufbrandet und sie positiv darauf reagieren, ist jeder noch so tot gespielte Song ein neues Großereignis.

Wie viele Songs könntest du denn spontan auf Zuruf spielen? Sind dir noch viele, auch ältere, einfach so gegenwärtig?
Boah, das ist eine gute Frage. Mir fiel unlängst eine alte Kassette mit Aufnahmen von einer Liveshow von uns aus den späten 1990er-Jahren in die Hände. Als ich bei einer Nummer genauer hinhörte, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich völlig vergessen hatte, dass wir diesen Song je geschrieben haben. (lacht) Noch nicht einmal der Name hat mich da erweckt, das war sehr kurios. Manchmal pushen wir uns bei den Soundchecks und graben ein paar alte Kamellen aus. Einfach, um zu sehen, wie weit wir damit noch kommen. Wir haben Songs in unterschiedlichen Gitarrenstimmungen geschrieben, die wir uns auch nicht merken. Bitte ruf uns ja keine seltenen Demo-Tracks auf dem Konzert zu, das bringt uns nur in Verlegenheit. (lacht)

Habt ihr ein großes Archiv an Ideen, die ihr zur Seite stellt, wenn sie gerade nicht passen und auf das ihr dann immer wieder zurückgreifen könnt?
Das tun wir manchmal wirklich. Im Normalfall geben wir Ideen zur Seite und belassen es dabei. Es muss schon einen guten Grund geben, dass wir noch einmal ins Archiv greifen und dann daran weiterarbeiten. Es sind eher einzelne Riffs oder Textzeilen, die sich ansammeln und dann irgendwo aktuell einpassen lassen. Wir haben eine große externe Festplatte mit solchen Ideen und beim nächsten Studiobesuch werden wir sicher wieder schauen, was sich darauf so alles befindet.

Drei von euch sind im Gründungsjahr 1995 zusammengekommen, der vierte ist seit knapp 20 Jahren dabei. Was ist das Geheimnis eurer internen Stabilität und wie schafft ihr es, dass ihr so gut miteinander klarkommt?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten, weil ich in Wahrheit nicht weiß, warum das so ist. Es ist meine erste und einzige Erfahrung in einer richtigen Band. Ich würde sagen, seit ungefähr 2000 sind wir permanent auf Tour. Wir haben für die Hälfte der Band verschiedene Tourbusse, was die Beziehung entschieden verbessert hat. Es gibt eine Partyfraktion und eine, die das weniger will. Teilt man sich da richtig auf, ist allen geholfen. Als wir „How You Remind Me“ herausbrachten und sich alles veränderte, ließen wir uns von Anfang an genug Freiraum.

Mike und ich haben unsere Familien mit auf Tour genommen und es war uns möglich, ganz normal weiterzuleben. Die meisten Spannungen entstehen daraus, dass man sich zu wenig Freiraum lässt. Wir vier sind alle grundverschieden und tun das Bestmögliche, um als Band zu funktionieren und unsere Stärken zu bündeln. Wir sind keine Solokünstler und müssen Kompromisse eingehen. Diese Band ist wie eine lange Ehe und sie durchläuft Höhen und Tiefen. Der gegenseitige Respekt war aber immer vorhanden und ich glaube, das ist das Allerwichtigste, damit man so intakt bleibt wie wir.

Ihr wart jetzt keine Band, die über Nacht zu Superstars wurde, aber von „How You Remind Me“ weg ging es schon sehr schnell. War die gute Kameradschaft unter euch und damit einhergehend die Band selbst nie in Gefahr, da einmal zu implodieren?
Absolut. Es gab schon viele Momente, in denen wir getestet wurden, weil der Erfolg natürlich alle herausgefordert hat. Ein Grund, warum es uns noch immer gibt ist aber sicher, dass wir den Erfolg richtig einzuordnen wussten und lange hart dafür gearbeitet haben. Wenn eine deiner ersten Singles so großen Erfolg hat, schwimmst du auf einer Erfolgswelle, aber irgendwann wirst du von dort heruntergeholt und die Leute erwarten sich dasselbe noch einmal, nur besser. Eine Erwartung, die kein Künstler erfüllen kann. Wir haben immer das Beste aus uns herausgeholt und haben vielleicht gerade deshalb einen Zugang zu den Fans gefunden. Natürlich hatten wir Glück, denn das Timing muss auch passen. Es gab immer wieder mal Spannungen, aber das ist überall so und am Ende hatten wir stets das gemeinsame Ziel, die Band weiterzubringen. Heute verstehen wir uns gegenseitig wesentlich besser als früher und man weiß, bei wem man welche Knöpfe drücken darf und welche nicht. Das ist ein Vorteil des Alters.

Gibt es aus deiner Warte aus eigentlich einen Unterschied, ob eine Band wie eure den großen Erfolg wie früher in der Ära der physischen Produkte, also CDs, oder wie heute in der Streaming-Ära anders wahrnimmt und genießt?
Es ist ziemlich schwierig heute überhaupt eine erfolgreiche junge Rockband zu finden. (lacht) Ich will hier niemanden nicht respektieren, bei Gott nicht, aber selbst bei uns war es schon ziemlich schwierig, als Rockband Erfolg zu haben. Aus der Mode waren wir nämlich schon von Anfang an. (lacht) Heute erreichst du die Leute auf anderen Wegen und musst als Band anders agieren, als das vor 20-25 Jahren der Fall war. Ich weiß auch nicht, was besser ist. Damals in den Tagen der CD gab es viel strengere Gatekeeper. Die Plattenfirmen sortierten Bands aus, die überhaupt einen Vertrag bekamen. Dann sortieren Radios und Magazine streng aus, wen sie spielen bzw. über wen sie berichten wollen. Es war unheimlich schwierig, aufzufallen und bekannt zu werden. Heute kann jeder alles überall aufnehmen und veröffentlichen.

Du kannst heute die ganze Welt online hören, deine eigene Musik hochladen und auf Erfolg hoffen – andererseits sind die Leute damit überfordert, weil es von allem zu viel gibt. Es ist aber schön, dass man Musik entdecken kann, über die man damals niemals gestoßen wäre. Eine richtig gute Band wird sich immer durchsetzen. Sie wird gehört werden, auch wenn ich nicht mehr genau weiß, wie man das heute schafft. Die Langlebigkeit ist schwieriger und man kommt kaum noch zu Geld. Früher gab es mehrere Bereiche, in denen man als Band verdienen konnte. Heute geht das fast nur noch live, denn als Songwriter spielst du kaum Geld ein. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass Rockbands sich immer durchsetzen werden.

Ihr habt zuletzt die Dokumentation „Love To Hate: Nickelback“ abgedreht. Worauf lag beim Drehen der Hauptfokus?
Es gab keinen wirklichen Fokus, als wir damit begonnen haben. Ursprünglich ging es uns darum, dass wir für das 2017er-Album „Feed The Machine“ noch einen visuellen Zusatz machen wollten – mehr war anfangs nicht geplant. Die Umsetzung verlief dann aber so gut, dass wir intern darüber diskutiert haben, das Vorhaben auf eine ganze Dokumentation auszuweiten. Es ging in erster Linie darum, dass die Nickelback-Familie durch ein paar alte Fotos und Videoaufzeichnungen geordneter sein könnte. Dann kam uns der Gedanke, dass das auch den Fans gefallen könnte, aber dass wir damit mal ins Kino oder auf ein Filmfestival kommen würden, war nie das Ziel. Das hat mich selbst überrascht. Unsere Karriere wurde von viel Online-Hass begleitet und wir wollten unsere Perspektive auf all das zeigen. Wir haben nicht unsere gesamte Karriere in den Film verknüpft, aber in erster Linie wollten wir einmal uns selbst sprechen lassen. Schließlich haben wir die Reise am intensivsten begleitet und durchlebt. Vielleicht kommt dann auch noch irgendwann die Autobiografie zum Lesen. (lacht)

Live in Wien
Im Zuge ihrer großen „Get Rollin‘“-Welttournee kommen die kanadischen Top-Rocker Nickelback nach jahrelanger Abwesenheit endlich wieder zu uns. Unter www.oeticket.com gibt es sogar noch Karten, wenn Chad Kroeger, Ryan Peake und Co. am 4. Juni für Furore sorgen werden. 

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