"Krone"-Interview

“Das Christkind ist wie Gott, nur ist es ein Mädchen”

Wien
24.12.2011 14:55
Das Fest der Stille. Für die neunjährige Christine (Bild) bedeutet Weihnachten auch Geborgenheit, obwohl ihre Familie in Untermiete lebt, nachdem ihre Wohnung zu teuer geworden war. Im "Krone"-Interview mit Conny Bischofberger nimmt sie uns mit in ihre Welt.

Ein kleines Mädchen in einem goldenen Anorak bahnt sich seinen Weg durch die Menschenlawine, die langsam über den Wiener Stephansplatz rollt. Shopping-Endspurt, drei Tage vor dem Heiligen Abend.

Christine schließt das große, schwere Tor des Doms hinter sich und atmet auf. Der Stephansdom ist ihr zweites Zuhause, hier ministriert die Neunjährige jeden Tag. "Kommen Sie!" Flüsternd lotst sie uns zu den Seitenaltären, vorbei am Kerzenlichtermeer und Hunderten betenden Menschen. Wir sprechen aber nicht nur über Religion, sondern auch über die Missbrauchs- und Wirtschaftskrise, über Österreichs Politiker und worum es in Christines Leben geht.

"Krone": Ist das ein besonderes Kleid, das du heute angezogen hast?
Christine: Ja, das ist mein Weihnachtskleid. Ich habe es bekommen, als ich mit dem Chor ein Weihnachtskonzert gesungen habe. Seither trage ich es immer an den Festtagen. Es macht mich irgendwie froh. Wenn es mir nicht mehr passt, möchte ich genau dasselbe wieder haben, nur größer.

"Krone": Wie ist Weihnachten bei euch?
Christine: Ganz still. Überall brennen Kerzen. Wir haben eine selbst gebastelte Krippe zum Christbaum. Heuer hängen rote Weihnachtssterne am Baum und ein Schneemann aus Filz. Am Heiligen Abend kocht mein Papa gebackenen Fisch mit Erdäpfelsalat und Reis, dazu gibt es Ketchup. Die Mama deckt dafür den Tisch. Um 22 Uhr gehen wir in die Kirche. Weil ja in dieser Nacht das Jesukind geboren ist. Die Geschenke gibt es erst danach, so um Mitternacht, und ich darf bis ein Uhr aufbleiben.

"Krone": Wie wichtig sind die Geschenke?
Christine: Am viertwichtigsten. Nach Zusammensein, Christbaum und Freude.

"Krone": Glaubst du ans Christkind?
Christine: Ja! (Sie wirft mir einen vorwurfsvollen Blick zu.) Das Christkind hat auf jeden Fall ganz große Flügel und einen Heiligenschein und auch Flügelschuhe. Sie ist wie Gott, nur ist es ein Mädchen.

"Krone": Und Gott?
Christine: Gott hat auch große weiße Flügel und eine sanfte schöne Stimme. Er spricht manchmal mit mir.

"Krone": Wann?
Christine: Wenn ich glücklich bin.

"Krone": Wann warst du am glücklichsten?
Christine: 2005. Da ist der Christian auf die Welt gekommen. Aber er war schon tot. Wir wussten, dass er schon tot ist. Ich habe manchmal gebetet: "Mach ihn wieder lebendig, lieber Gott." Deshalb war es der schönste und der traurigste Moment in meinem Leben, als mein kleiner Bruder geboren wurde.

"Krone": Denkst du oft an deinen Bruder?
Christine: Meistens. Ich besuche ihn auch am Zentralfriedhof.

"Krone": Ist er in deinen Gedanken das Baby, das nicht mehr gelebt hat, oder dein sechsjähriger kleiner Bruder?
Christine: Er ist gewachsen, sehr gut in der Schule, nur in Mathe nicht so.

"Krone": Wie bist du denn so gläubig geworden?
Christine: Durch meine Omi in Mistelbach. Sie hat mir immer Apostelgeschichten erzählt. Sie hat den Pfarrer gekannt und durfte nach der Messe immer die Kirche zusperren. Dann ist die Omi leider gestorben. Mein Opa auch. Durch sie bin ich vor vier Jahren auch Ministrantin geworden, in Essling und hier im Stephansdom. Ich mache Altardienst, lese Fürbitten und die Lesung.

"Krone": Wie oft ministrierst du?
Christine: Jeden Nachmittag. Ich komme mit dem 26er und der U1 zum Stephansplatz. Bei normalen Messen gibt's solche Erdbeer- oder Safarizuckerln, für besondere Messen gibt's sogar Geld. Taufen und Hochzeiten gibt's vier Euro, für Begräbnisse fünf.

"Krone": Besserst du dir so dein Taschengeld auf?
Christine: Ja, ich verdiene damit 50 Euro im Monat. Meine Eltern haben nicht so viel Geld. Sie müssen mit 8.000 Euro pro Jahr auskommen. Davon zahlen sie auch noch meine Schule.

"Krone": Träumst Du manchmal, im Lotto zu gewinnen?
Christine: Nein, meine Mama sagt, dass man da eh nix gewinnt und dass sie lieber ihrem Kind was kauft. Also mir! (Grinst.) Ich träume davon, dass wir in einem Haus leben. Wir leben momentan in Untermiete. Die Wohnung, die wir hatten, ist zu teuer geworden.

"Krone": Was ist wichtig im Leben?
Christine: Familie, Freunde und Weihnachten. Dass mein Papa Hausaufgaben mit mir macht und dass meine Mama mich zum Lachen bringt. Sie spielen auch Brettspiele mit mir.

"Krone": Was war schwer in diesem Jahr?
Christine: Eigentlich gar nichts. Höchstens für die anderen. Schwer war's für die hungernden Kinder in Afrika, denen habe ich 10 Euro gespendet, für die Leute in Japan wegen dem Atomkraftwerk. Das hab ich wirklich blöd gefunden. Und ich hatte auch Angst.

"Krone": Weltfinanzkrise?
Christine: Hm. Ich hab' noch nicht gelebt, als es den Schilling noch gab. Aber vielleicht hätten sie ihn lassen sollen.

"Krone": Und die Krise in der Katholischen Kirche?
Christine: Ich weiß davon. Aber es ist nicht wichtig. Die, die ich kenne, machen so was nicht.

"Krone": Wie findest du unsere Politiker?
Christine: Den Herrn Fischer hab' ich einmal bei der Nordsee getroffen, da hat er sich einen Polardorsch gekauft. Ich hab' ihn begrüßt und er war sehr nett zu mir. Der Faymann hat ein lustiges Gesicht. Der Herr Häupl ist unser Bürgermeister. Den Strache mag ich nicht. Weil der ist so oberschlau.

"Krone": Kennst du auch den Herrn Kardinal?
Christine: Selbstverständlich. Auch den Herrn Dompfarrer Faber. Sie sind beide gleich, nur der Herr Faber ist noch viel lustiger.

"Krone": Und der Papst?
Christine: Der ist uncool.

"Krone": Dein Wunsch für 2012, Christine?
Christine: Dass wir eine Wohnung finden. Ein gutes Zeugnis und einen größeren Christbaum.

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