"Krone"-Interview

Julia Timoschenkos Tochter: “Sie gibt Kampf nicht auf”

Ausland
17.12.2011 18:06
Eugenia Timoschenko (im Bild mit ihrer Mutter), Tochter der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin der Ukraine, spricht exklusiv im "Krone"-Interview: "Falls mich meine Mutter bittet, werde ich an ihrer Stelle bei den Parlamentswahlen 2012 antreten."

Die blonden Haare sind nicht wie bei ihrer Mutter Julia Timoschenko zur Haar-Krone geflochten, die Ähnlichkeit ist dennoch frappierend. Eugenia, 31 Jahre alt, einzige Tochter der einst mächtigen Politikerin, hat im Europäischen Parlament in Brüssel zwischen Delegierten Platz genommen. Sie ist der Einladung der Europäischen Volkspartei gefolgt. Es wird ihr jedoch nicht gestattet, das Wort im Plenum zu ergreifen, um über "ihre Sache" zu berichten.

Versteckt aufgenommene Video-Clips kursieren plötzlich im Internet, die beweisen sollen, dass die erkrankte Ex-Regierungschefin in einer "Nobel"-Zelle untergebracht ist. Seit dem 5. August 2011 sitzt Julia Timoschenko bereits ein, zu sieben Jahren Haft und der Zahlung von 137 Millionen Euro wurde sie wegen des Vorwurfes des Amtsmissbrauchs verurteilt. Für Eugenia Timoschenko ist die Verurteilung Teil des Rachefeldzuges des größten politischen Feindes ihrer Mutter, dem Präsidenten Viktor Janukowitsch: "Seine Angst vor ihr ist so groß, dass er nicht mehr rational handelt. Er will sie vernichten."

"Krone": Frau Timoschenko, es herrscht Rätselraten über den tatsächlichen gesundheitlichen Zustand Ihrer Mutter. Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?
Eugenia Timoschenko: Ich war gestern bei ihr im Gefängnis. Sie kann nicht gehen, hat sehr starke Rückenschmerzen und ihre Arme sind von einem seltsamen Hautausschlag überzogen, den wir uns nicht erklären können. Sie bekommt keine medizinische Betreuung, daher haben wir keine Diagnose. Stattdessen wird sie in der Zelle, im Bett liegend, verhört. Das ist auch in der Ukraine illegal. Doch trotz allem ist meine Mutter stark, sie wird ihren Kampf nicht aufgeben.

"Krone": Sie meinen, dass Ihre Mutter das Urteil weiterhin bekämpfen wird?
Timoschenko: Was jetzt vor sich geht, ist eine systematische und zynische Aktion, um meine Mutter als Galionsfigur der Oppositionsbewegung zu zerstören. Dabei wird gegen jede Moral und Gesetzmäßigkeit gehandelt, so wurden gestern, mitten im Berufungsverfahren, plötzlich alle drei Richter ausgetauscht. Das heißt, sie hatten keine Zeit, sich in den Fall einzuarbeiten, und haben nur das Urteil abgeliefert, das ihnen Präsident Janukowitsch vorgegeben hat. Die Ukraine hat sich verändert, sie ist nicht mehr das gleiche Land wie nach der Orangen Revolution vor fünf Jahren. Durch das neue Regime ist die Demokratie Schritt für Schritt abgebaut worden, es herrscht Unterdrückung und Angst. Meine Mutter lässt sich davon aber nicht kleinkriegen. Sie beweist, dass sie auch im Gefängnis frei im Geist ist, weil sie an die Ukraine glaubt.

"Krone": Dennoch kann sie im Gefängnis nicht bei den Parlamentswahlen 2012 antreten. Werden Sie an ihre Stelle treten?
Timoschenko: Es ist wichtig, dass der Name Timoschenko jetzt nicht aus der Politik verschwindet. Ich kämpfe ja jetzt schon für die Freiheit meiner Mutter und bin somit politisch aktiv. Oberste Priorität ist aber nun, sie aus dem Gefängnis zu bekommen, denn sie ist die große Führungsperson, die gerade durch dieses Urteil heute in der Ukraine mehr Zuspruch hat als je zuvor. Sollte es aber notwendig sein und mich meine Mutter darum bitten, werde ich natürlich an ihrer Stelle bei den Wahlen kandidieren. Es steht nichts weniger als die Zukunft der Ukraine als demokratischer Staat auf dem Spiel.

"Krone": Die Russische Föderation hat den Prozess gegen Julia Timoschenko kritisiert, und auch die Verhandlungen mit der EU könnten dadurch ins Stocken geraten. Kann sich die ukrainische Regierung eine Isolation leisten?
Timoschenko: Wenn Rache und Angst einen Menschen antreiben, handelt er nicht mehr rational. Präsident Janukowitsch fürchtet meine Mutter so sehr, dass er alles tut, damit sie eingesperrt bleibt. Es geht vor allem um persönliche Mittel und Machterhalt. Er weiß, in dem Moment, in dem sie wieder in Freiheit ist, wird sie das ganze Land zum Aufstehen bringen.

"Krone": Meinen Sie damit eine zweite Orange Revolution?
Timoschenko: Falls sich die Dinge im Land nicht verändern, wächst der Wunsch nach Veränderung dramatisch an. Ich halte es für möglich, dass die Menschen im Frühling für ihre Rechte auf die Straße gehen.

"Krone": Sie waren ein Teenager, als Ihre Mutter in die Politik gegangen ist. Hatten Sie Verständnis für diese für die ganze Familie weitreichende Entscheidung?
Timoschenko: Wir wussten, dass sie nicht leben kann, ohne für ihr Land zu kämpfen. Daher unterstütze ich ihre Entscheidung. Aber natürlich waren wir geschockt, wie sie vor zehn Jahren zum ersten Mal inhaftiert wurde. Ich habe damals in England gelebt, und es war für mich eine schreckliche Tragödie. Heute jedoch erscheinen mir die Umstände ihrer Haft weitaus gefährlicher als damals, vom Regime gibt es keine Gnade und keinerlei demokratisches Verständnis.

"Krone": Haben Sie Hoffnung, dass das Urteil aufgehoben wird?
Timoschenko: Bei allem, was bisher geschehen ist, brauchen wir ein Wunder, damit sie wieder in Freiheit kommt. Von der Logik her glaube ich nicht, dass sie vor den Parlamentswahlen rauskommt. Aber als Tochter hoffe ich immer, dass es doch noch anders kommt und ich sie bald nach Hause bringen kann.

"Krone": Fühlen Sie sich in Kiew sicher?
Timoschenko: Seit Viktor Janukowitsch im Vorjahr zum Präsidenten gewählt wurde, ist die Unsicherheit für unsere Familie gestiegen. Teile des Vermögens wurden beschlagnahmt und unsere Geschäftstätigkeit eingeschränkt. Die Ukraine ist ein derart schönes Land, aber jetzt fällt es leider in seiner Entwicklung um zwanzig Jahre zurück.

"Krone": Wie wollen Sie den Wahlkampf finanzieren?
Timoschenko: Es gab immer Menschen, die uns unterstützt haben, weil "Mom" da war. Jetzt, wo sie im Gefängnis ist, reagieren sie natürlich zurückhaltender, und zum Teil sind auch die Geschäfte unserer Förderer bewusst geschädigt worden.

"Krone": Ihre Mutter wurde 2005 vom "Forbes"-Magazin zur drittmächtigsten Frau der Welt gewählt. Gibt es jetzt auch Unterstützung von der internationalen Führungsschicht?
Timoschenko: Ja, sie bekommt unglaublich viele Solidaritätsbekundungen, sei es von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als auch in Form eines Briefes vom Büro des US-Präsidenten Obama. Diese Unterstützung erhält meine Mutter am Leben, dies und die Hoffnung auf Freiheit.

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