Irisch/Wiener Musiker

Dylan Goff: Zwischen Waldboden und Konzertbühne

Musik
20.01.2023 09:00

Exakt die Hälfte seines 40-jährigen Lebens verbringt der studierte Forstwissenschaftler Dylan Goff nun in Wien. Seiner alten Heimat Irland ist der ewig Zerrissene aber mindestens genau so ergeben wie der österreichischen Bundeshauptstadt. In seiner Musik ergründet Goff sein Seelenleben, gräbt in der Vergangenheit und zieht sich aus dunklen Phasen. Ein Gespräch über Wälder, Pullover und den Kampf mit sich selbst.

(Bild: kmm)

In der nasskalten Gegend der irischen Hafenstadt Drogheda, ziemlich genau zwischen Dublin und Nordirland gelegen, verbrachte Dylan Goff seine Kindheit und Adoleszenz. Schon im frühen Kindesalter schrieb er Gedichte. Musik und Kultur waren essenzielle Bestandteile seines Aufwachsens. „Vor ein paar Wochen war ich zu Weihnachten wieder zu Hause bei meiner Mutter“, erzählt uns Goff im „Krone“-Gespräch, „sie musste umziehen und hatte eine Kiste voll mit meinen alten Texten. Meine Frau hat sie gelesen und war ganz stolz darauf, was für mein junges Alter damals aus mir rauskam.“ Goff ist 40 Jahre alt und verbrachte sein halbes Leben in Österreich. Der Liebe zu einer Bad Goiserin wegen kam er im Februar 2003 erstmals hierher. Die Beziehung hielt nicht, seine enge Bindung zu Wien dafür schon. Mittlerweile ist er glücklich verheiratet mit einer Nordirin - kennengelernt haben sich die beiden in der österreichischen Bundeshauptstadt.

Eine lange Wegstrecke
Unsicherheiten, innere Kämpfe und eine gewisse geografische Zerrissenheit sind Stützpfeiler von Goffs Songwriting. Der studierte Forstwissenschaftler veröffentlichte mit der EP „Untethered (Side One)“ erst im Frühling 2021 seine ersten Lieder, Teil zwei der spannenden Persönlichkeitswerkschau folgt dieser Tage. „Ich wusste sehr lange nicht, wie man richtige Lieder schreibt. Ich hatte die Melodien im Kopf, aber dann blieb ich bei den Texten hängen.“ Goff arbeitete - Klischee olé - zuerst in irischen Pubs, erkundigte sich aufgrund seines lebenslangen Interesses an Wald- und Bodenkultur an der BOKU, was man dort alles machen könnte und begann zu studieren. Mittlerweile macht er sein Doktorrat und hat beruflich die halbe Welt bereist. „Als ich studierte, hatte ich keinen Kopf für Kreativität. Dann war ich damit fertig, 35 Jahre alt und hatte plötzlich Ideen. Wahrscheinlich musste ich älter werden, um richtige Songs schreiben zu können.“

Dass die beiden EPs nicht gleich zu einem Album zusammengefasst wurden, hat einerseits finanzielle, andererseits auch künstlerische Gründe. Auf „Side One“ geht Goff mit viel Folk und Singer/Songwritertum an die Sache ran, was nicht zuletzt die vermehrt eingesetzten Streicher bezeugen, auf dem brandneuen zweiten Teil lässt er seiner Liebe für Indie-Sounds freien Lauf. „Es geht mir mit den beiden Produkten vor allem darum, den Menschen eine Unterlage für Livekonzerte zu geben, sodass sie sich reinhören und meinen Sound schon vorher verstehen können.“ Goff durchlebte über die Jahre diverse musikalische Phasen. Er spielte in Thrash- und Nu-Metal-Bands, schätzte den frühen Grunge und kann sich auch im Prog-Metal verorten. „Ich liebe Slayer und Opeth, aber auch Frightened Rabbit und The National. Wenn ich mich in eine Band stürze, dann Hals über Kopf. Dann will ich die Band komplett kennenlernen und höre ihre ganze Diskografie durch.“

Musikalische Selbstfindung
Mit diesem akribisch anmutenden Nerdtum geht Goff auch an seine eigenen, stark von seinen Helden inspirierten Songs. Die persönlichen und teilweise sehr tiefgründigen Inhalte entstehen dabei meist in seinem Unterbewusstsein. „Ich weiß oft erst Jahre später, was ein Text von mir überhaupt aussagen will. Das ist eine ganz sonderbare Sache.“ Der Tod von Frightened-Rabbit-Sänger Scott Hutchison wurde 2018 zum Katalysator von Goffs Kreativität. „Ich war der Band damals total verfallen und die letzten beiden Lieder der alten EP, ,Sycamores‘ und ,Romance At Russborough‘, stammen aus dieser Phase.“ Goff hält es wie David Bowie: durchs Musikmachen lernt man sich in erster Linie selbst besser kennen. Seine mehrheitlich ruhigen Lieder drehen sich um depressive Schübe oder den Ausbruch aus toxischen Männlichkeitsbildern, die ihm in den Kindheitstagen oktroyiert wurden.

Als Signature-Song für Goffs Seelenleben kann „Old Argyle Sweater“ herangezogen werden. „In diesem Lied geht es um meine zwei Heimaten. Ich lebe schon so lange in Wien, dass ich mich von Irland entfernt habe. Andererseits bleibe ich mit den Menschen in Wien immer unverbunden, weil ich meine Kindheit in Irland verbrachte. Als ich klein war, hatte ich immer das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden und fremd zu sein. Es war nicht so, fühlte sich aber so an. In Wien geht es den Menschen gleich, weil sie aus allen Richtungen Österreichs kommen. Die Stadt hat definitiv eine Sonderdynamik und deshalb können sich auch viele Menschen mit diesem Lied identifizieren.“ Der titelgebende Sweater reicht dann aber doch in die eigene Kindheit zu den Scheidungswirren der Eltern zurück und hält als weitere Botschaft dazu an, es in gewissen Dingen besser zu machen, als es die Eltern taten. „Ich denke sehr viel über meine Gefühle und Verhaltensmuster nach. Das ist wohl auch der Grund, warum viele Songs in der Vergangenheit stattfinden.“ Apropos Familie: Goff wurde im selben Krankenhaus geboren wie Droghedas berühmtester Sohn, Pierce Brosnan.

Große Liebe Wald
Mit „Digging“ und „Behold Our Smiles“ hat Goff zwei Tracks, die aus dem üblichen Schreibschema hinausreichen. „Digging“ hat seinen Ursprung sogar direkt in seiner Tätigkeit als Forstwirt. „2019 war ich für das Bundesforschungszentrum bei einem Projekt in der Steiermark. Es wurde eine gesamte Waldaufnahme gemacht und ich war als Bodenkundler dabei. Wir haben dort irrsinnig viel gegraben und mir kam der Song in den Sinn. Allerdings habe ich dann auch in mir selbst gegraben, weshalb das Lied mehrere Deutungen besitzt.“ Nur Musiker zu sein wäre Goff zu wenig, selbst wenn es sich ausgehen würde. „Dafür liebe ich den Wald zu sehr. Einer meiner größten musikalischen Helden ist Gregory Alan Isakov. Er hat einen eigenen Bauernhof, wo er sein Biogemüse anbaut und im Winter geht er auf Tour. Er hat einen ähnlichen Hintergrund wie ich und sein Lebens-Setup idealisiert.“

Goffs Liebe zu den Wäldern begann erst so richtig in Österreich. „In Irland bestehen die meisten Forste aus Fichtenplantagen, aber es herrscht kaum Biodiversität. Das beobachte ich leider auch in Österreich, aber hier ist die Vielfalt noch viel größer und gesünder.“ Dass Goff trotz dieser Passion noch keine naturbezogenen Lieder geschrieben hat, liege eben daran, wie er erklärt. „Ich habe dieses Thema in meinem Beruf, deshalb schreibe ich wahrscheinlich auch keine Lieder über die Klimakrise, wie es etwa meine gute Freundin Amelie Tobien macht.“ Die freiesten und reinsten Momente erlebt der Outdoor-Liebhaber beim Wandern über der Baumgrenze. „Dort und an der Küste in Irland sind die beiden Plätze, wo ich das Gefühl habe, ich kann richtig durchatmen und habe genug Platz auf dieser Welt.“

Zweimal live in Wien
Seine neue EP „Untethered (Side Two)“ stellt Dylan Goff demnächst auch zweimal live vor. Am 3. Februar spielt er beim „Poetry Society Vienna“ im Café Siebenstern, am 18. Februar ist er (bei freiem Eintritt!) Teil des „International Winter Market“ bei der Wiener Marx Halle. Unter www.dylangoff.net findet man alle Auftritte, Musik und weitere Informationen über den Künstler.

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