Hemmschwelle hoch

Gewalt an Frauen: „Zahl der Beratungen steigt“

Tirol
03.09.2022 09:00

Das Mädchen- und Frauenberatungszentrum im Bezirk Kitzbühel stößt zusehends an seine Grenzen. Abhilfe wäre relativ einfach möglich. Ehrenamtliche Vereine haben mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Die Hemmschwelle, eine Gewalttat der Polizei zu melden, sei nach wie vor groß. 

Nicht nur in ganz Österreich, sondern auch im Bezirk Kitzbühel ist eine messbare Zunahme an psychischer und körperlicher Gewalt an Frauen zu verzeichnen. „Hinzu kommen existenzielle Belastungen aufgrund der Teuerungen. Viele Menschen wissen nicht mehr weiter, das spiegelt sich wiederum in Gewalt wider“, schlug Eva Pawlata, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Tirol, am Freitag Alarm.

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Würde jede Gemeinde im Bezirk das Mädchen- und Frauenberatungszentrum mit einem Euro pro Einwohner und Jahr unterstützen, wäre man finanziell besser abgesichert.

Renate Magerle, ehrenamtliche Obfrau

Im Bezirk Kitzbühel häufen sich die Probleme. Das Mädchen- und Frauenberatungszentrum stoße zusehends an seine Grenzen. „Der Beratungsaufwand steigt stetig. Außerdem herrscht im Bezirk Kitzbühel eine eklatante Minderversorgung im Bereich der psychosozialen Betreuung“, sagt Renate Magerle, ehrenamtliche Obfrau. 2021 wurden 2845 Beratungsgespräche verzeichnet. Die Übergangs- und Notwohnungen sind mehr als ausgelastet. 2021 gab es 2299 Nächtigungen und 775 Nächtigungen von Kindern.

Gemeinden könnten Abhilfe schaffen
Seit Anbeginn 2009 kämpft Magerle um Subventionen aus der öffentlichen Hand. „Würde jede Gemeinde im Bezirk das Mädchen- und Frauenberatungszentrum mit einem Euro pro Einwohner und Jahr unterstützen, wäre man finanziell besser abgesichert.“ Dann würde man auch vom Bundesministerium als Frauenservicestelle anerkannt werden, was zusätzliche Förderungen zur Folge hätte.

72 Betretungsverbote in acht Monaten
Seit 2007 ist das Gewaltschutzzentrum Tirol im Bezirk Kitzbühel mit einer Regionalstelle vertreten. „Wir verzeichnen eine massive Steigerung. Im letzten Jahr nicht nur von Klientinnen und Klienten, sondern vor allem von Betretungsverboten aufgrund von Gewalt“, veranschaulicht die Geschäftsführerin Pawlata. Bis dato seien im Bezirk Kitzbühel 72 Betretungs- und Annäherungsverbote gegen Gefährder ausgesprochen worden, im Vergleichszeitraum 2021 waren es 47. 

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Die Hemmschwelle die Polizei zu rufen, ist nach wie vor sehr hoch.

Martin Reisenzein, Bezirkspolizeikommandat

Gewaltschutzzentrum ausfinanziert
Tirolweit werde allgemein eine massive Zunahme an Gewalt in der Familie und an weiblichen Opfern verzeichnet. Die Beratungen und Betreuungen im Gewaltschutzzentrum steigen - linear wie jene im Mädchen- und Frauenberatungszentrum. „Wir sind im Gegensatz zum Mädchen- und Frauenberatungszentrum aber von der öffentlichen Hand gut ausfinanziert und können unsere Arbeit machen“, betont Pawlata. 

Erfahrungen der Polizei
Wenn die Polizei einschreiten muss, hat es bereits viel Gewalt im Vorfeld gegeben, veranschaulicht Bezirkspolizeikommandant Martin Reisenzein: „Die Hemmschwelle, die Polizei zu rufen, ist nach wie vor sehr hoch.“ Die Gewalt geschieht vorwiegend im Familien- oder Bekanntenkreis.

Suchtmittel spielen vermehrt Rolle
Eine größere Rolle spielen auch vermehrt Suchtmittel. Im Jahr 2021 waren Suchtmittel bei mehr als der Hälfte der Delikte im Spiel - meist Alkohol. Es ist Ziel, auf jeder Polizeidienststelle im Bezirk Kitzbühel einen ausgebildeten Präventionsmitarbeiter zu installieren, um den Opfern bestmöglich zu helfen.

Opfer fünfmal pro Jahr im Spital
Verena Elvira Hauser von der Opferschutzgruppe Bezirkskrankenhaus St. Johann verdeutlicht die Notwendigkeit der Einrichtung. 85 Prozent aller Gewalt-Betroffenen kommen im Schnitt fünfmal pro Jahr ins Krankenhaus, zeigt eine Studie. „Es sind nicht immer schwere Verletzungen, deshalb muss man genau hinschauen und den Opfern vermitteln, dass es niederschwellige Hilfe gibt, dass wir da sind“, so Hauser. Eine große Aufgabe ist auch die Sensibilisierung aller BKH-Mitarbeiter. Das fängt schon beim Empfang an.

Jugend leidet
Die ländliche Struktur im Bezirk Kitzbühel schützt keinesfalls vor häuslicher Gewalt und psychischen Problemen. Einen massiven Anstieg von Gefährdungsmeldungen verzeichnet die Kinder- und Jugendhilfe der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel. „Wir haben heuer bis Ende August bereits über 100 Gefährdungsmeldungen bearbeitet. 2018 waren es im ganzen Jahr rund 45“, veranschaulicht Marianne Hörl von der BH Kitzbühel.

Häusliche Gewalt und psychische Erkrankungen nehmen zu. 160 Kinder und Jugendliche werden derzeit im Bezirk ambulant in den Familien betreut. 46 Kinder und Jugendliche leben derzeit nicht bei ihren Eltern. „Es gibt auch eine eklatante Versorgungslücke von Kindern und Jugendlichen bei psychischen Erkrankungen“, berichtet Hörl.

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