Alles hat ein Ende...

Frequency: Zwischen Gemeinschaft und Nihilismus

Musik
21.08.2022 01:30

Noch einmal tief durchatmen und alles geben - zum Abschluss des Frequency Festivals wurde den rund 150.000 Fans ein besonders buntes Programm geboten. Eine psychedelische Pop-Top-Show von Bilderbuch, düsterer Nihilismus von Ghostemane, zukunftsträchtiger Rock von Baby Queen und eine ganze Phalanx an Rappern dominierten das Bild. Die Stimmung war ein letztes Mal am Siedepunkt.

(Bild: kmm)

Am dritten (für manche sogar vierten) Festivaltag muss man schon ganz tief in die Schublade der Energiereserven greifen, um noch einmal richtig Gas geben zu können. Das Frequency gibt den Fans mit drei fast dauerbespielten Bühnen auch wenig Atempause, doch nach dem eher mediokren Freitag gibt es zum Abschluss am Samstag noch einmal große Highlights aus allen Genres zu bejubeln - wenn auch anfangs mit schweren Problemen. Bei seiner Österreich-Premiere eröffnet der amerikanische Emo-Punk-Rapper Sueco die Green Stage und hat mit dermaßen schweren Sound- und Technikproblemen zu kämpfen, dass die ersten drei Songs im dünnen Klang verwehen und dann 20 Minuten gar nichts geht. Sueco macht daraus das Beste und signiert Merchandise, wirft sich in die Menge und holt den jungen Michael auf die Bühne, um sich eine Zigarette zu schnorren. Dafür muss natürlich ein Selfie zurückgegeben werden.

Bühne voller Rapper
Dazu werden ihm schmackhafte Shirts mit Aufdrucken wie „On my bucket list: your mum“ hochgeworfen, bevor sich am Ende doch noch zwei Songs ausgehen. Die Fans danken es ihm mit Moshpits und guter Laune, der Künstler selbst zeigt sich nach dem Gig im „Krone“-Talk trotz aller Schwierigkeiten glücklich. „Es war meine erste Show hier und so viele Leute waren da. Ich lebe den Traum.“ Während sich auf der Green Stage danach mit Symba, LX & Maxwell, Pashanim und Skepta eine ganze Phalanx an Rappern ein Stelldichein geben, wechselt die Space Stage zwischen feinen Pop-Klängen der Tirolerin Florence Arman und elektronischen Hits des belgischen DJs Lost Frequencies.

Danach verzaubert das schottische Stimmwunder Lewis Capaldi seine Anhänger mit Songs wie „Headspace“, „Bruises“ oder der sanften Ballade „Before You Go“. Während der Pandemie hat er es sich zuhause sichtlich gutgehen lassen, auf das neue Album müssen die Fans schon seit geraumer Zeit warten. Er schiebt es auf Faulheit. Festivals liebt er, wie er der „Krone“ erzählt: „Beim Rock Werchter in Belgien stand plötzlich James Hetfield von Metallica neben mir. Ich bin fast durchgedreht. Sowas erlebt man ja sonst überhaupt nie.“ Fanboy und Star zu sein: es geht sich offenbar beides aus. Bevor Capaldi sein Set mit dem eindringlichen „Someone You Loved“ beendet, streift er sich noch einen auf die Bühne geworfenen String über seine schwarze Jeans. Die Linie zwischen Selbstironie und Klamauk ist eine schmale - wünschen wir ihm, dass er mit Fortdauer auf die richtige Seite springt.

Versteckte Perlen
Die wahren Perlen des Festivals verstecken sich schon seit jeher im VAZ - am Abschlusstag sorgt die geborene Südafrikanerin Baby Queen für ein musikalisches Highlight, dass viel zu wenige Menschen mitverfolgen. Mit ihren Songs spricht sie nicht nur einer ganzen Generation aus dem Herzen, sie hat es unlängst auch auf die prestigeträchtige BBC-„Sound Of…“-Liste geschafft. „Internet Religion“, das an eigene Drogenerfahrungen erinnernde „Raw Thoughts“ oder „Wannabe“ schnellen im Stakkato durch die Halle, ein paar wenige, aber umso treuere Fans singen in der ersten Reihe jedes einzelne Wort detailgetreu mit. Baby Queen ist nach Geburtstagsfeierlichkeiten anfangs noch etwas müde, findet aber schnell in die Spur und changiert geschickt zwischen 00er-Jahre Gitarrenrock, partiellen Pop-Elementen und viel Charisma. Die Internet-Senkrechtstarterin spielt seit ihrem Durchbruch während der Pandemie ihre erste große Tour und ist sichtlich begeistert. Da wächst definitiv Großes heran.

Im düsteren Segment ist der Amerikaner Ghostemane längst etabliert. Das nach einfachen Beats und knalligen Melodien dürstende Frequency-Publikum tut sich mit der dunklen Kunst des Kaliforniers anfangs schwer, wächst aber mit Fortdauer in das dunkelschwarze Set des 31-Jährigen hinein. Wie kein zweiter vermischt er die industrielle Kühle von Nine Inch Nails mit US-Trap-Rap, einer verletzlichen Emo-Schlagseite und brachialem Hardcore. Das Bandlogo leuchtet im Black-Metal-Stil, Death-Metal-artige Growls geben den dissonanten, dystopischen Klangkaskaden ein gewisses Unwohlsein. Mit seiner artifiziellen Herangehensweise, dem fehlenden Bühnenlicht und dem nihilistischen Gebaren ist der kurze, aber wirkungsvolle Auftritt des Vollblutkünstlers intensiv, auf einem Partyfestival wie diesem aber auch verschenkt. Harsche Songs der Marke „Bonesaw“, „Flesh“ oder „Carbomb“ rütteln das Gelände ordentlich durch, aber bei der nächsten Hallen-Headlinershow ist Ghostemane definitiv besser aufgehoben.

Psychedelischer Pop
Auf der Haupttribüne versammeln sich die Massen derweil zwar nicht so wie bei RAF Camora oder Apache 207, aber wenn die heimischen Vorzeigepopper von Bilderbuch die Bühne betreten, dann herrscht immer sehr viel Andrang. Gestählt von zwei Shows im Happel-Stadion und drei ausverkauften Arena-Open-Airs brennt natürlich auch in St. Pölten nichts an. Wie bei den letzten großen Konzerten bereits spürbar, drehen sich Maurice Ernst und Co. zunehmend in die Psychedelic-Rock-Richtung und lassen das nicht nur in die neuen Songs des Albums „Gelb ist das Feld“, sondern auch in die Kleidung und visuelle Aufmachung einfließen. Ein eineinhalbstündiger Trip in träumerische Welten, zwischen „Spliff“, „Auf und ab“ oder dem Megahit „Maschin“, aber vor allem voll musikalischer Qualität.

Zeremonienmeister Ernst leitet gewohnt humorig durch das Set und empfiehlt, freie und ungezwungene Tage wie diese am besten immer zu erleben. Der Jubel bei „Schick Schock“ beweist zudem, dass die Fans den Song noch öfter hören wollen - die Band überlegt aber schon des Längeren, ihn aus dem Liveset herauszustreichen. Bilderbuch sind mit ihren universellen Botschaften, nostalgischen Bühnenuniformen und hymnischen Popsongs der Feelgood-Express des Festivals, das auf den Headlinerpositionen ansonsten doch lieber kratzt, spuckt und beißt. So wie am Ende auf der Green Stage, wo Yung Hurn mit kantigen Sprüchen, politisch unkorrekten Liedern und enorm viel Zuspruch beweist, dass die sogenannte „Woke-Generation“ wohl doch nicht nur auf Cancel Culture und politische Korrektheit setzt, sondern zwischendurch gerne in den groben Schmähkübel greift.

In einem Jahr geht‘s weiter
Nach dem Festival ist vor dem Festival - von 17. bis 19. August 2023 findet die nächste Ausgabe des Frequency im St. Pöltner Green Park statt. Bis dahin heißt es Wunden lecken, Energien aufbauen und wieder in Feierstimmung kommen.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele