Interview & Album

Curtis Harding: Der Soul für das 21. Jahrhundert

Musik
29.03.2022 06:00

Im restlos ausverkauften Porgy & Bess spielte Curtis Harding letzte Woche eine der besten und fröhlichsten Shows des Jahres. Der talentierte Soul-Musiker aus Atlanta hat sich auf seinem neuen Werk „If Words Were Flowers“ musikalisch erweitert, ohne seine Liebe zum Gospel und Vintage-Sounds zu verleugnen. Im „Krone“-Interview erzählt er von seinen Helden und warum er das Album am Anfang der Pandemie noch einmal in die Tonne gekippt hat.

(Bild: kmm)

Soul der alten Schule, Motown-Vintage und Garage-Sounds - wenn es darum geht, die musikalische Kunst von Curtis Harding zu beschreiben, muss man weit über die Grenzen hinausschauen. Geboren in Michigan und aufgewachsen in unterschiedlichen Ecken wie Kalifornien und Texas, wurde Harding als Teenager in Atlanta sesshaft. Ein wichtiger Baustein für seine musikalische Früherziehung war die Frau Mama, die als Gospelsängerin in Kirchen begeisterte und dem Filius den christlichen Glauben samt einer kräftigen Portion Nächstenliebe vermittelte. In Georgia kam Harding über die Jahre mit den Musikern von OutKast und mit Cee-Lo Green in Verbindung und verdiente sich als Gitarrist und Backgroundsänger erste Meriten. Zum Zeitpunkt seines vor allem in Europa gefeierten Debütalbums „Soul Power“ war er bereits 35 Jahre alt, was man dem juvenilen Vollblutmusiker aber weder ansieht, noch anhört.

Generalüberholung
Der 2017 erschienene Nachfolger „Face Your Fear“ zeigte sich schon wesentlich eklektischer und ermöglichte dem gut vernetzten Sänger Supportshows bei Lenny Kravitz und Jack White. Gestählt von den guten Kritiken und dem Publikumszuspruch lag sein aktuelles Werk „If Words Were Flowers“ schon ein gutes Jahr fertig in der Schublade, doch in pandemischen Zeiten muss man gut taktieren, wann man mit neuer Musik an die Öffentlichkeit geht, ohne dass sie im Nirwana verpufft. Dabei war das Album sogar schon vor der Pandemie ziemlich fertig - doch viele Songs daraus warf Harding in die Tonne. „In den Lockdowns hatte ich Zeit, mir die Tracks noch mal anzuhören und genauer darüber nachzudenken. Ein Jahr hat viel verändert. Persönlich und musikalisch. Die Weltlage, Beobachtungen und Unterhaltungen und die Nachrichten haben mich neu inspiriert. Also musste ich neue Lieder schreiben.“

Wir treffen Harding wenige Stunden vor seinem Auftritt im randvollen und seit Wochen ausverkauften Jazzclub Porgy & Bess in Wien. Dass der Gig stattfinden konnte, ist aufgrund der auf Sommer verschobenen Tourtermine in Deutschland ein kleines Wunder. Die Fans danken es ihm und Harding zeigt sich in bester Spiellaune. „Es geht derzeit eine ganz besondere Energie von den Leuten aus, die auch ich spüre und in die Musik umsetze. Für viele Menschen war ich das erste Konzert nach zwei Jahren. Gerade bei der derzeitigen Weltlage sind die Leute froh, wenn sie abgelenkt werden und gute Musik hören können.“ Den warmen Vintage-Soul der Frühtage hat Harding auf „If Words Were Flowers“ längst expandiert. Garage-Rock, Autotune, Ausflüge in die Elektronik - alles ist erlaubt, nur die hemdsärmelige Grundform, der spezielle „American Sound“, ist unantastbar. „David Bowie hat gesagt, man müsse sich zumindest ein bisschen unwohl fühlen, sonst macht man etwas falsch. Deshalb suche ich nach neuen Klängen und Arten, um meine Musik zu erweitern.“

Manieren als oberstes Gebot
Den Albumtitel hat sich Harding von seiner Mutter entlehnt, die stets an ihn und seine fünf Geschwister appellierte, Worte mit bedacht zu wählen und damit Gutes zu tun. Das konnte Harding während der Lockdowns direkt umsetzen. „Ich habe meine Eltern und andere ältere Verwandte monatelang nicht gesehen. Wenn wir uns dann am Telefon unterhalten haben, habe ich sehr genau darauf geachtet, welche Worte ich wähle. Du weißt ja nie, ob es das letzte Mal ist. Gerade in Krisenzeiten ist ein verbal besonders vorsichtiger Umgang miteinander sehr wichtig.“ Vielarbeiter Harding sah die Krise als Chance. Er grub nicht nur sein Album noch einmal um, sondern schrieb auch fortan weiter an Songs und Songskizzen.

Die besten Lieder entstünden oft aus reinem Zufall. „Der Song ,Need Your Love‘ ist mein vielleicht größter Hit und den habe ich in Rekordschnelle geschrieben. Ich kann ihn bei keinem Konzert auslassen, er bringt den Menschen viel Freude. Manchmal ist das größte Geheimnis, die Musik nicht zu überdenken und sich einfach fallen zu lassen. Wenn sich etwas richtig anfühlt, dann ist es zu zumeist auch richtig.“ Jeder Song entsteht aus dem richtigen Groove und mit einer guten Bass-Linie. Obwohl er Gitarre spielt, erachtet der 42-Jährige das sechssaitige Instrument als nicht entscheidend für eine gute Nummer. „Es braucht eine starke Melodie und viel Diversität. Ich liebe Musiker, die keine Angst haben, mit beiden Händen in den Schmelztiegel der Musik zu greifen und Stile zu kreuzen. Das bringt die Welt der Musik einen Schritt nach vorne und animiert auch andere Musiker, selbst so mutige Schritte zu setzen.“

Den Kult erweitern
Trotz all der Experimente ist Hardings Sound in der Basis noch immer bei den afroamerikanischen Größen der 60er- und 70er-Jahre verankert. „Diese Mischung aus dem warmen Sound, den Interpreten und der Botschaft, die sie mitgeliefert haben, fasziniert mich noch heute. Die Songs waren so gut, die kannst du gar nicht konstruieren.“ Eine Revolution will Harding nicht starten, vielmehr möchte er das Erbe der Großen in die Zukunft tragen. Dafür verwendet der Autofreak und Besitzer eines 74er Chevrolet Nova eine motorisierte Metapher. „Es ist so, wie wenn du einen Oldtimer modifizierst. Du liebst das Original. Es ist solide und in seiner Form einzigartig, aber du findest trotzdem Wege, deinen Einfluss einzubringen und es in die Jetztzeit zu heben.“ Die nächsten Songs und Album Nummer vier sind schon in Planung, doch „If Words Were Flowers“ ist stark genug, um noch länger in den Gehörgängen nachzuhallen.

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