Herz für die Ukraine

„Die Leute sind froh über jede überlebte Nacht“

Oberösterreich
19.03.2022 18:00

Katharina Bauer (52) ist in der ukrainischen Diaspora in Polen geboren. Mit ihrem Verein „Ein Herz für die Ukraine“ setzt sie sich von Marchtrenk aus derzeit beinahe rund um die Uhr für dortige Kriegsopfer und Flüchtlinge ein. Sie organisiert Hilfstransporte, begleitet Schutzsuchende telefonisch am Weg über die Grenze und tröstet bei Bombenangriffen.

Bei Ihnen klingelt fortwährend das Telefon. Sie werden ständig um Rat und Unterstützung gebeten - sowohl von Einzelpersonen als auch von Behörden und Organisationen. Wie belastend ist die aktuelle Situation für Sie?
Meine Familie und ich durchleben tatsächlich gerade eine extrem intensive Zeit. Doch es ist unglaublich wichtig, jetzt rasch und effektiv zu helfen. Ich habe mir im Lauf der Jahre ein seriöses Netzwerk in der Ukraine aufgebaut, auf das ich in der aktuellen Katastrophe zählen kann. Das hat sich herumgesprochen, sodass selbst internationale Organisationen wie Apotheker ohne Grenzen bei uns anfragen und um Mithilfe bzw. um Einschätzung ersuchen.


Sie besitzen etwas, das Ihnen in der Ukraine offenbar bis in die höchsten Ebenen automatisch Türen öffnet. Nämlich einen Orden, der Sie als „Nationale Heldin der Ukraine“ auszeichnet.
Den hab’ ich im Oktober 2016 bekommen, er ist die höchste Auszeichnung des Landes, die neben irgendwelchen Armeevorsitzenden eben auch ich habe. Die Verleihung war sehr bewegend.

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Der Orden ,Nationale Heldin der Ukraine‘ ist die höchste Auszeichnung. Den haben irgendwelche Armeevorsitzenden und eben auch ich gekriegt.

Katharina Bauer

Sie haben sich in der Vergangenheit vor allem um krebskranke ukrainische Kinder, um Krankenhäuser und um Waisen gekümmert.
Speziell bei den Waisenkindern hat sich gezeigt, dass sie durch unseren Einsatz auch öffentlich mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung bekommen haben. Besonders gut angekommen sind die Spenden-Patenschaften, für die wir Menschen in Österreich gewinnen konnten. Dabei erhalten die Kinder mindestens dreimal jährlich – am Geburtstag, zu Weihnachten und am Schulanfang – von Spenden-Paten persönlich zusammengestellte Hilfspakete. Sie sind dann darauf extrem stolz, wenn sie eine Paten-Tante haben, die an sie denkt und etwas schickt.

Bei allen Benefizaktionen ist Ihnen enorm wichtig, dass der Weg der gespendeten Sachleistung und der mit Geldspenden eingekauften Hilfsgüter nachprüfbar ist.
Ich lasse mir immer alles auch mit Fotos dokumentieren und bestätigen, wohin etwas geliefert wird bzw. wer es schlussendlich bekommt. Das macht fast die Hälfte meiner Arbeit aus. Denn Seriosität und Vertrauen sind das Wichtigste. Die Leute müssen wissen, dass wir halten, was wir versprechen.

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Ich lasse mir immer alles dokumentieren und genau bestätigen, wohin etwas geliefert wird. Denn Seriosität und Vertrauen sind uns das Wichtigste.

Katharina Bauer

Seit Kriegsbeginn haben Sie von Marchtrenk aus bereits drei große Transporte in die Ukraine geschickt, die auch alle erfolgreich angekommen sind. Was wird derzeit am dringendsten benötigt und was braucht man gar nicht?
Im Grunde kann man jetzt nichts mehr falsch machen – gebraucht wird inzwischen fast alles. Am nötigsten sind neben Medikamenten aber Verbandszeug – vor allem zum Blutabbinden, wenn Hände oder Füße abgerissen wurden –, dann Schlafsäcke, Isomatten, Krücken, Rollstühle, Babynahrung, Windeln, Kerzen und Taschenlampen, Hygieneartikel und Inkontinenzeinlagen.

Wie groß ist die Hilfsbereitschaft in Oberösterreich?
Die ist überwältigend. Die Leute hier beweisen unglaubliche Solidarität und unterstützen uns großartig. Wenn ich poste, dass ich irgendetwas benötige, dauert es nicht lang, und jemand bietet uns seine Hilfe an.

Sie leisten aber nicht bloß materielle Unterstützung, sondern werden auch von Leuten kontaktiert, die gerade bombardiert werden oder irgendwo auf der Flucht sind und nicht weiter wissen.
Ich bin auch Sozial- und Lebensberaterin und hab’ Ahnung von Krisenhilfe. Ich gebe diesen bedrängten Menschen dann Ratschläge, wo sie sich am besten hinwenden, um rasch Hilfe zu erhalten. Oder ich spende Trost, ermuntere sie, durchzuhalten. Ich spreche ihnen Mut zu und versuche, menschliche Wärme zu vermitteln, damit sie nicht völlig verzweifeln, sondern spüren, dass ihnen wer beisteht. Es kommt auch vor, dass jemand nachts dringend Beistand benötigt. Dann chatte oder telefoniere ich eben mit ihm und begleite ihn auf die Weise, bis er in Sicherheit ist. Wir haben inzwischen auch eine junge Ukrainerin bei uns aufgenommen.

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Sieben Kinder aus einem von uns betreuten Spital sind kürzlich bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Das hat mir schon extrem zugesetzt.

Katharina Bauer

Was sind die belastendsten Traumata, von denen die Kriegsopfer berichten?
Wenn die Sirenen heulen, Bomben fallen, Verletzte schreien oder weinende Kinder ihren Papa, die Mama oder das Zuhause vermissen. Die meisten leben jetzt nur von Tag zu Tag und sind erleichtert, wenn sie wieder eine Nacht überlebt haben.

Wie lange glauben Sie, das in dieser Intensität selbst noch durchhalten zu können?
Ich hab’ zum Glück meinen Ehemann Reinhard, der mich extrem unterstützt. Und Freunde, die mir Kraft und Liebe spenden – und mich umarmen. Kürzlich etwa habe ich erfahren, dass sieben Kinder aus einem von uns betreuten Spital bei einem Bombenanschlag gestorben sind. Das hat mir extrem zugesetzt. Wenn der Krieg vorbei ist, werde ich selbst auch psychologische Hilfe in Anspruch nehmen.

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