Gletscherrückgang

Der langsame Tod der Eisriesen

Vorarlberg
20.09.2021 06:55

Wärme und Schneemangel haben den heimischen Gletschern in den vergangenen Jahren stark zugesetzt. Seit 50 Jahren hat Gletschermesser Günther Groß die Eisriesen schon im Blick, beobachtet deren Veränderung und einen langsamen Niedergang.

Der meteorologische Sommer in Österreich endete wechselhaft und relativ kühl. Insgesamt war es nach Angaben der Experten der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik) aber einer der Wärmsten der 255-jährigen Messgeschichte im österreichweiten Mittel. Dies bestätigt den Trend hin zu einem immer wärmeren Klima. Überdurchschnittlich hohe Temperaturen sind auch der Hauptgrund für den teils drastischen Rückgang der heimischen Gletscher. Zahlen und Fakten hierzu liefert die jährliche Gletschermessung des Alpenvereins. So sind allein im Forschungszeitraum 2019/20 österreichweit 85 von 92 beobachteten Gletschern zurückgegangen. Am stärksten war dies in Vorarlberg und Tirol der Fall.

Der Stellenwert der Gletscher im Hochgebirge hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von der touristischen Attraktion hin zum Klimazeiger gewandelt: die Eiskolosse reagieren auf Klimaimpulse mit Vorstoß oder Rückzug, ihr Ernährungszustand lässt Rückschlüsse auf die klimatischen Entwicklungen zu. Darüber hinaus verfügen Gletscher über ein großes „Gedächtnis“: sie können Partikel von Luftverschmutzung, vulkanische Asche, Saharastaub sowie Radioaktivität speichern und konservieren archäologische Artefakte. Die Eisriesen sind somit eine „Fundgrube“ für die Wissenschaft. Zudem werden durch das meterdicke Eis Abflüsse von Gebirgsbächen gespeist, gleichzeitig fungieren Gletscher auch als Süßwasserspeicher.

Eisriesen im Blick

Bereits seit 130 Jahren werden Gletschermessungen durch den österreichischen Alpenverein organisiert und unterstützt. Einer, der die Eisriesen seit nunmehr 50 Jahren im Blick hat, ist Günther Groß (72). Während seines Studiums in Innsbruck arbeitete der Hohenemser bereits als sogenannter Gletscherknecht - so wurden Hilfskräfte und Träger bei Gletschergeländearbeiten genannt. Ab 1973 war Groß als Mitarbeiter und Gletschermesser in den Stubaier Alpen und in der Silvrettagruppe tätig. „Als junger Student begann ich mich für Gletscher zu begeistern, war das allgemeine Interesse außerhalb der alpinistischen Kreise eher bescheiden“, erinnert er sich. Mittlerweile gehören abschmelzende und sterbende Eisriesen zu den wohl wichtigsten Indikatoren für das sich ändernde Klima, über die schwindenden Eismassen wird regelmäßig berichtet. Gletscher waren und sind ständiger Veränderung unterworfen, betont er. Doch in den vergangenen drei Jahrzehnten wurde ein stark beschleunigter Rückgang verzeichnet.

Fakten

Zur Person:
Günther Groß wurde 1949 geboren und wuchs in Hohenems auf. Er studierte an der Universität Innsbruck, ab 1973 wurde er am Institut für Hochgebirgsforschung angestellt und erarbeitete das erste österreichische Gletscherinventar. Zugleich übernahm er Gletschermessungen in den Stubaier Alpen und der Silvrettagruppe. Von 1976 bis 1984 war er Universitätsassistent für Geographie. Später übersiedelte er in die Gemeinde Thüringerberg, bis 2012 war er Lehrer am Bundesgymnasium Bludenz.

„Der Mensch trägt mit seinem Verhalten sicherlich dazu bei. Das stimmt natürlich nachdenklich“, meint der Experte. Wie viel sich in nur einigen Jahrzehnten ändern kann, hat der Gletschermesser selbst erfahren. Als in den 1970er und 80er Jahren die Temperatur in den Sommermonaten um rund einen Grad zurückging, war der Ochsentaler Gletscher in der Silvretta über 130 Meter weit vorgestoßen. „Das war ein unvergessliches Erlebnis, alles was dem Gletscherfluss im Weg stand, musste weichen. Da lässt sich die pure Kraft der Naturgewalten erahnen.“

Von einem Zuwachs oder gar einem Vorstoß der heimischen Eisriesen kann schon lange keine Rede mehr sein. Allein in der Messperiode 2019/20 ist der Ochsentaler Gletscher in der Tabelle mit den österreichweit zehn stärksten Rückgängen zu finden (minus 46 Meter). Andere Gletscher, wie der Plattengletscher im Garneratal sind im Begriff gänzlich abzuschmelzen. Gletscher benötigen eine dicke Schneeschicht um den Sommer unbeschadet überdauern zu können. Diese war in der jüngsten Vergangenheit nicht einmal in hohen Lagen vorhanden. Dazu kamen milde Winter. Die Gletscher hungern: Der Brandner Gletscher war einst der drittgrößte Gletscher Vorarlbergs.

Gletscher-Skigebiet

„Ab den 1970er Jahren gab es sogar Überlegungen dort ein Sommerskigebiet einzurichten. Das glaziologische Gutachten von 1980 fiel jedoch negativ aus. Auch in der Bevölkerung regte sich Protest“, berichtet Groß. Das Vorhaben wurde schließlich fallen gelassen und wäre aus heutiger Sicht auch nicht rentabel gewesen - bereits 2015 war der Brandner Gletscher dreigeteilt und schmilzt weiter in rasantem Tempo dahin. Als Konsequenz um die Diskussion über ein mögliches Gletscherskigebiet hat das Land 1981 in seiner Naturschutzgesetzgebung den absoluten Schutz der Gletscher verankert. Damit wurden alle derartigen Projekte unterbunden. Dennoch ist die Zukunft der Eisriesen ungewiss, weiß Groß. „Unter den gegenwärtigen klimatischen Bedingungen werden die heimischen Gletscher in ihrer derzeitigen Größe nicht überleben können. Die tiefer Gelegenen außerhalb der Silvrettagruppe werden wohl ganz verschwinden.“ Untersuchungen zeigen, dass es vor tausenden Jahren einen Zeitabschnitt gab, in denen die Gletscherstände kleiner als heute waren. Sie haben also das Potenzial, sich zu erholen - wenn die Bedingungen passen. 

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