Viele untergetaucht

Verstummt: Afghanistans „Influencer“ in Todesangst

Digital
21.08.2021 12:11

Sadika Madadgars Auftritte in Online-Netzwerken ähnelten denen anderer erfolgreicher junger Social-Media-Stars - sogenannter Influencer. Sie trat in dem Gesangswettbewerb „Afghan Star“ auf und gewann mit ihrer umwerfenden Stimme und ihrem bodenständigen Auftreten als Mädchen von nebenan eine große Anhängerschaft. Doch nun sind die radikal-islamischen Taliban an die Macht zurückgekehrt, und für die 22-Jährige und andere prominente Influencer hat sich das Leben schlagartig verändert.

21.200 Afghanen folgten Sadika Madadgar auf YouTube, 182.000 auf Instagram. Auf einem Video amüsiert sie sich beim Aufschneiden einer Melone, auf einem anderen ist zu sehen, wie sie in einem Café ein Volkslied singt.

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Mein Herz bricht, wenn ich sehe, wie mein Heimatland langsam zerstört wird.

Sadika Madadgar, YouTube-Star

Madadgar ist gläubige Muslimin, sie trägt ein Kopftuch. Die Machtergreifung der Taliban traf sie völlig unvorbereitet. Am Samstag veröffentlichte sie zum ersten Mal eine eindeutig politische Botschaft auf Instagram. „Ich teile mein Leid nicht gerne online, aber das macht mich krank“, schrieb die 22-Jährige. „Mein Herz bricht, wenn ich sehe, wie mein Heimatland langsam zerstört wird.“ Am Tag darauf eroberten die Taliban Kabul - und Madadgars Stimme im Internet verstummte.

Influencer fürchten nun um ihr Leben
Die Machtergreifung der Islamisten hat die Online-Welt in Afghanistan erschüttert. Prominente Influencer sind geflüchtet, andere sind untergetaucht. Millionen junge Afghanen müssen befürchten, dass sich ihre Internet-Posts nun als lebensbedrohlich herausstellen könnten. Allzu präsent sind die Erinnerungen aus der Zeit der ersten Taliban-Schreckensherrschaft von 1996 bis 2001. Damals waren Frauen vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, Mädchen konnten nicht die Schule besuchen - und es gab brutale Strafen, wie etwa die Steinigung bei Ehebruch.

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Wenn die Taliban Kabul einnehmen, sind Menschen wie ich nicht mehr sicher.

Ayeda Shadab, Mode-Ikone

Manche machen sich wenige Illusionen darüber, was die neue Ära für Afghanistan bedeuten wird. „Wenn die Taliban Kabul einnehmen, sind Menschen wie ich nicht mehr sicher“, sagte Mode-Ikone und Geschäftsfrau Ayeda Shadab dem ZDF, als sich die Sicherheitslage bereits verschlechterte.

Die afghanische Mode-Ikone Ayeda Shadab hat auf Instagram rund 300.000 Follower. Aus Angst vor den Taliban musste sie sich in die Türkei absetzen. (Bild: instagram.com/ayeda.shadab)
Die afghanische Mode-Ikone Ayeda Shadab hat auf Instagram rund 300.000 Follower. Aus Angst vor den Taliban musste sie sich in die Türkei absetzen.

Jeden Tag präsentierte Shadab auf Instagram die neusten Modelle aus ihrer Kabuler Boutique - vor kurzem noch zeigte sie zur Musik von Dua Lipa ein asymmetrisches, durchsichtiges Ballkleid. „Frauen wie ich, die keinen Schleier tragen, die arbeiten, akzeptieren sie nicht“, sagte sie.

Mode-Influencerin in Türkei geflüchtet
Inzwischen teilte Shadab ihren 290.000 Followern auf Instagram und 400.000 Anhängern auf TikTok mit, dass sie in der Türkei sei. Auch andere brachten sich in Sicherheit: Aryana Sayeed, eine von Afghanistans bekanntesten Popstars, veröffentlichte am Mittwoch ein Selfie aus einem Evakuierungsflugzeug der USA auf dem Weg nach Doha. „Mein Herz, meine Gebete und meine Gedanken werden immer bei Euch sein“, schrieb sie den Zurückgebliebenen.

Nach Hinweisen von Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsorganisationen hat Facebook neue Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, die es Nutzern in Afghanistan ermöglichen, ihre Konten schnell zu sperren. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights First verbreitete in den in Afghanistan gesprochenen Sprachen Paschtu und Dari Hinweise, wie sich digitale Spuren beseitigen lassen.

Die Organisation Access Now, die sich sich für die Rechte von Internet-Nutzern einsetzt, warnte, dass selbst banale Inhalte gefährlich sein könnten. Deren Verfasser könnten zum „Ziel von Repressalien werden, da sie in den Augen nicht nur der Taliban, sondern auch anderer religiöser Extremistengruppen im Land als Ungläubige oder unislamisch gelten“, sagte der Asien-Experte der Organisation, Raman Chima.

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