Interview & Album

Joshua Radin: Süßlicher Folk ohne Leid und Schmerz

Musik
24.08.2021 06:00

Joshua Radin bekam früh eine Promi-Boost für seine eigene Karriere, hat sich mit seinem gediegenen Folk-Schmuserock in bester Paul-Simon-Manier aber längst als eigenständiger Top-Künstler emanzipiert. Sein neunter Streich heißt „The Ghost And The Wall“ und ist keine klangliche Revolution. Das schadet aber gar nicht, wie der 47-Jährige im Interview betont.

(Bild: kmm)

Wer behauptet, die richtigen Bekanntschaften und Protektionismus würden nichts bringen, der ist definitiv noch nicht in der neoliberalen Gegenwart angekommen. Wo wäre der heute 47-jährige Singer/Songwriter Joshua Radin, hätte er während seines Kunststudiums an der Northwestern University nicht Zach Braff kennengelernt? Braff kennt man hierzulande vor allem als tollpatschig-liebenswerten Arzt der Kultserie „Scrubs“ und dann noch als profilierten Schauspieler und Regisseur des US-amerikanischen Indiefilms. Dass Radin in Braffs gefeierten Debütfilm „Garden State“ 2003 zwar in einer kleinen Rolle zu sehen, mit seiner Musik aber nicht zu hören ist, bezeichnet er noch heute als „große verpasste Chance“. War dann aber doch nicht so schlimm, denn der Track „Winter“ tauchte wenige Monate später in einer hochemotionalen Sequenz von „Scrubs“ auf und machte den damals 30-jährigen quasi über Nacht zum Liebling der Schmuse-Folk-Szene.

Folk-Troubadour
Die Karriere war damit bereitet und Radins melodramatische, berührende und zutiefst emotionale Songs wurden in Serien wie „Greys Anatomy“, „One Tree Hill“, „Castle“ oder „Dr. House“ nur zu gerne eingesetzt. Mit seinem Zweitwerk „Simple Times“ stieß er bis auf Platz zwei der US-Indie-Charts und erreichte früh seinen kommerziellen Höhepunkt. Zu der Zeit hatte er sich von seinem Ursprungslabel Sony Music gelöst, die von ihm gerne Hit-Songs gehabt hätten und nicht verletzlich anmutende Folk-Preziosen. Radin sieht sich eben vielmehr als Troubadour und Geschichtenerzähler. Oberflächliches und das Schielen auf die Hitparaden haben im Denken des ruhigen Amerikaners keinen Platz. Dass ihn Kumpel Braff einst als „Paul Simon der Gegenwart“ bezeichnete, ehrt ihn noch heute, wie er der „Krone“ im Interview erzählt.

„Paul Simon ist einer meiner allergrößten Helden und der Lieblingsmusiker meines Vaters. Ich höre ihn seit ich geboren bin und singe deshalb wohl auch ähnlich wie er. Die Medien und die Fans brauchen Vergleiche, aber mir wurde damit immer sehr viel Druck aufgeladen. Das Problem dabei ist, dass dir keiner eine Chance gibt, wenn du ausbrechen und etwas Neues probieren willst. Aber gut, es ist auf jeden Fall besser als der neue Donald Trump zu sein“, lacht er unwiderstehlich charmant. Dabei sitzt Radin der Schalk im Nacken, denn das Subgenre „Whisper Rock“, in dem er sich verortet, hat er selbst erfunden und schlussendlich in seine Merchandise-Palette integriert. Die stimmliche Nähe zu Simon ist frappant. Beide vereint zudem der Nimbus des Harmlosen. Zur Kantigkeit eines Bob Dylan oder Cat Stevens fehlt Radin freilich viel, das hört man auch seinem neunten Studioalbum „The Ghost And The Wall“ an. Angst vor Veränderung brauchen seine Fans nicht zu haben.

Umarmen statt aufrühren
Metaphorisch gesehen lässt uns Radin in zehn kurzen Kapiteln an seiner Gedankenwelt teilhaben. Hatte er Mauern um sich herum gebaut, sodass Leute, die er nicht in sein Leben ließ, dadurch zu Gespenstern wurden? Oder sind Menschen, die ihn verletzten und verließen und dadurch zu seinen Geistern wurden der Grund dafür, dass er sich Mauern um ihn herum aufbaute? Einen Beantwortungsversuch wagt er mit seinem neuen Werk, dass sich kaum einen Millimeter von seinem bekannten Oeuvre wegbewegt. Fein gesponnene Folk-Nummern mit Mainstream-Touch, die sehr oft ins Kitschige abdriften und es auf Langstrecke am Spannungsbogen vermissen lassen. Joshua Radin ist aber nun einmal nicht der politische Aufrührer, sondern ein auditiver Filigrantechniker mit einem untrüglichen Hang zu Herzschmerz und Romantik. Wer damit klarkommt und seinen Folk lieber mit Marshmellows am Lagerfeuer hört, als mit brennenden Heugabeln den Pöbel gegen das Establishment anzuführen, der findet hier sein Seelenheil auch ohne Ecken und Kanten.

„Die meisten Songwriter aus den 60er- und 70er-Jahren, die ich bewundere, hatten eine klare politische Agenda und schrieben über Vietnam oder die Watergate-Affäre. Heute ist das anders. Ich hatte keinen verpflichtenden Wehrdienst und bin in meiner Umgebung mit viel weniger Patriotismus aufgewachsen.“ Dass Radin deshalb kein politisches Gewissen habe, stimmt nicht. Der überzeugte Demokrat lässt bei Interviews keine Gelegenheit aus, um gegen Trump zu wettern und spielte auf der Hochzeit von Ellen DeGeneres und Portia de Rossi, was man im gespaltenen und aufgewiegelten Amerika durchaus als politisches Statement zu verstehen ist. „Ich singe aber lieber über universelle Dinge wie das Verlieben, Trennungen, Familien, Eltern und Freunde. Dinge, die alle Menschen betreffen. Argentinier, Amerikaner, Japaner, Österreicher. Ein guter Song ist für mich jener, der Menschen zusammenbringt und sie für drei Minuten lang vergessen lässt, dass sie unterschiedliche Ansichten und Meinungen haben.“

Besser als Sex
Die wirklich zwingenden Songs in Radins Karriere liegen schon ein paar Jahre zurück, aber Nummern wie „Fewer Ghosts“, „Make It Easy“ oder „Till The Morning“ brauchen den Vergleich mit den eigenen Bestleistungen nicht zu scheuen. Auch wenn der Künstler Corona-bedingt mit Produzent Jonathan Wilson erstmals im Online-Home-Office-Verfahren arbeiten musste, bleibt Songwriting für ihn das Höchste aller Gefühle. „Es ist besser als guter Sex samt Orgasmus! Wenn ein Song fertig ist, bin ich befreit und spüre absolute Zufriedenheit und Glückseligkeit. Ich weiß aber auch, dass ich nicht der Typ bin, der Songs aus Schmerzen schreibt wie Elliot Smith. Fast alle künstlerischen Genies werden von Dämonen gejagt, aber dieses Problem hatte ich nie. Ich bin ein durch und durch glücklicher Mensch und weiß, dass ich Popmusik mache, obwohl ich kein Fan von Popmusik bin.“ Joshua Radin macht Wohlfühlmusik - und vielleicht brauchen wir diese Musik jetzt gerade dringender als je zuvor. Zach Braff würde das wohl bestätigen.

Live in Wien
Am 12. Mai 2022 kann man sich hierzulande selbst von Joshua Radins Fertigkeiten überzeugen - dann konzertiert er nämlich im Wiener Porgy & Bess. Weitere Infos und Tickets gibt es unter www.oeticket.com

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