Ägypten-Unruhen

Kairo: Mubaraks Gefolgsleute greifen Ausländer an

Ausland
04.02.2011 07:23
Die gewaltbereiten Gefolgsleute von Ägyptens Machthaber Hosni Mubarak haben am Donnerstag erneut ausländische Beobachter als Ziel auserkoren. In Kairo wurde auf dem Tahrir-Platz ein Ausländer zu Tode geprügelt. Zuvor hatten sich dort Gegner und Anhänger des Machthabers den zweiten Tag in Folge heftige Kämpfe geliefert. Unterdessen erklärte Mubarak in einem Interview, dass er sehr unglücklich sei über die Ereignisse und nicht möchte, dass Ägypter gegen Ägypter kämpfen.

Mubarak hat am Donnerstag in einem Interview des US-Senders ABC seine grundsätzliche Bereitschaft zum Rücktritt bekräftigt. "Aber wenn ich heute zurücktrete, wird Chaos ausbrechen", so der verhasste Machthaber. Während Mubarak davon spricht, ist das Chaos aber schon tagelang im Gange, und nun stehen vermehrt Reporter und Äusländer im Mittelpunkt.

"Medien für Unruhen verantwortlich"
Vom Regime gedungene Schlägertrupps stürmten Hotels und machten Jagd auf ausländische Reporter. Ausländische Medien werden mit ihrer Berichterstattung für die Unruhen im Land verantwortlich gemacht, berichtete der Fernsehsender Al-Arabiya. Bereits in den vergangenen Tagen gerieten Reporter bei den blutigen Protesten auf den Straßen zwischen die Fronten und wurden verfolgt, angegriffen oder verhaftet. Einige wurden verletzt und mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Berichte über gezielte Angriffe gab es bis jetzt jedoch nicht.

Schon seit Tagen macht die vom Regime gestreute Flüsterpropaganda die Runde, dass die ausländischen Medien mit ihrer Berichterstattung über den Aufstand der Regimegegner schuld an den Unruhen seien. Außerdem würden sie das Bild Ägyptens in der Welt "schlechtmachen". Die Schlägertrupps des Regimes, die am Mittwoch und Donnerstag die Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz brutal angriffen haben, machen deswegen nun gezielt Jagd auf Journalisten und Fernsehleute.

Zahlreiche Übergriffe und Festnahmen
Immer öfter geraten ausländische Journalisten in Schwierigkeiten. Ein CNN-Reporter wurde mit seinem Team vor laufender Kamera von Straßenkämpfern angegriffen. Die Gruppe versuchte sich unter einem Hagel von Faustschlägen in Sicherheit zu bringen und wurde von einem aufgebrachten Mob über mehrere Straßenzüge verfolgt. Anhänger Mubaraks verletzten einen griechischen Journalisten und Fotografen mit einem Messer und schlugen ihn mit Knüppeln. Regimeanhänger riefen: "Mubarak ist kein Problem. Du bist eins!"

Ein Fotograf der European Pressphoto Agency wurde am Kopf verletzt und erst von Soldaten gerettet. Die ORF-Korrespondentin Nadja Bernhard war bereits am Montag mit ihrem Kamerateam vorübergehend am Flughafen von Kairo festgenommen worden. Ein französischer Reporter des Senders Arte war gemeinsam mit zwei Kollegen bei einem Kontrollpunkt des Militärs verhaftet worden. Den Journalisten wurden Handys und Arbeitsmaterial abgenommen.

ZDF-Reporterin saß 20 Stunden in Haft
Eine für die "New York Times" und das ZDF arbeitende Journalistin kam am Donnerstag erst nach 20 Stunden Haft in Kairo wieder auf freien Fuß. Die Frau war am Mittwoch auf der Fahrt von Alexandria nach Kairo festgenommen und in einem Hochsicherheitstrakt festgesetzt worden.

Die Situation in Kairo werde dramatischer, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey am Donnerstag. Das ZDF überlegt, die in Kairo arbeitenden Journalisten um Büroleiter Dietmar Ossenberg aus der Stadt abzuziehen. Ossenberg war während des "heute-journals" am Mittwochabend von einem Laserstrahl fokussiert worden. "Als nächstes hätte der Schuss folgen können", sagte Frey. Der niederländische Sender Fox hat sich bereits aus Kairo zurückgezogen.

Frey sprach von "gezielten Angriffen auf Journalisten" aus den Reihen der Mubarak-Fraktion. Die Bedrohungen nähmen zu, den Kollegen werde Ausrüstung abgenommen, Kassetten würden entwendet. Dem Fernsehteam des Senders n-tv wurde ebenfalls zeitweise die Ausrüstung weggenommen.

"Racheakte gegen internationale Medien"
Die Organisation Reporter ohne Grenzen beklagte, bei Übergriffen - vor den Hotelstürmungen - seien auch mehrere Berichterstatter geschlagen und ihrer Ausrüstung beraubt worden. Betroffen seien Mitarbeiter von Sendern wie BBC, Al-Jazeera, CNN, Al-Arabiya und ABC News. Auch Polizisten sollen zu den Tätern gehört haben. "Diese Angriffe scheinen Racheakte gegen internationale Medien zu sein, die die Forderungen der Demonstranten nach einem Rücktritt Mubaraks übermitteln", sagte der Generalsekretär der Organisation, Jean-Francois Julliard.

Der Deutsche Journalisten-Verband betonte, die Journalisten an Ort und Stelle dürften an ihrer Berichterstattung nicht gehindert werden. "Journalisten sind kein Freiwild", sagte der Bundesvorsitzende Michael Konken. Laut DJV musste das ARD-Team am Mittwoch sein Studio verlassen. Ein belgischer Journalist wurde verhaftet, eine französische Journalistin verprügelt und ein schwedischer Journalist für mehrere Stunden entführt und misshandelt. Am Donnerstagnachmittag befanden sich zudem noch vier israelische Reporter in Haft.

Auch ausländische Menschenrechtsaktivisten bedrängt
Das Internationalen Presseinstitut in Wien verurteilte ebenfalls Angriffe. Ein Sprecher vom IPI teilte mit: "Wir verurteilen diese Angriffe und fordern alle Parteien dazu auf, Gewalt gegen lokale und ausländische Journalisten zu unterlassen, die lediglich im Interesse der Öffentlichkeit versuchen, von den Demonstrationen und Zusammenstößen zu berichten. Insbesondere sind wir über Hinweise besorgt, dass es bei den Angriffen möglicherweise Verbindungen zu den Sicherheitskräften gibt."

Auch ausländische Menschenrechtsaktivisten gerieten verschärft zwischen die Fronten. In Kairo nahm die Polizei Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisationen Amnesty International (ai) und Human Rights Watch (HRW) fest, wie eine ai-Sprecherin und ein weiterer Aktivist sagten. Das Hilfswerk der SOS-Kinderdörfer teilte mit, dass zwei Einrichtungen in Kairo und Alexandria von mutmaßlichen Plünderern angegriffen worden seien.

Schlägertrupps haben Regimegegner im Visier
Indes ist die Lage in Kairo dramatisch eskaliert. Auf dem Tahrir-Platz, wo in den vergangenen Tagen Millionen Menschen gegen den verhassten Präsidenten Mubarak demonstrierten, waren am Donnerstag immer wieder Schüsse zu hören. Allein zwischen Mittwochabend und Donnerstag früh wurden nach offiziellen Angaben mindestens sechs Menschen getötet und mehr als 830 verletzt - Ärzte vor Ort sprechen von zehn Toten.

Bereits in der Nacht haben offenbar gedungene Anhänger Mubaraks dessen Gegner mit Knüppeln und Peitschen ins Visier genommen. Ausländische Medien berichteten von mehreren Toten und Hunderten Verletzten, die Armee nahm zahlreiche Menschen fest. Am Donnerstag schoben sich Soldaten mit Kalaschnikow-Gewehren zwischen beide Gruppen und versuchten, eine Pufferzone zu schaffen. Damit gab das Militär erstmals seit dem Ausbruch der Gewalt seine passive Haltung auf.

Unterdessen hat das Regime nach neun Tagen massiver Proteste durch Vizepräsident Omar Suleiman Verhandlungsbereitschaft signalisiert - aber zugleich Mubaraks Rücktritt kategorisch ausgeschlossen. Suleiman lud die verbotene islamistische Muslimbruderschaft zu Gesprächen ein. "Ich habe sie kontaktiert, ich habe sie eingeladen, aber sie zögerten noch, in einen Dialog einzutreten", sagte er und fügte hinzu: "Die Forderung nach Rücktritt des Präsidenten ist ein Aufruf zum Chaos. Es gibt keinen Staat ohne Kopf."

Österreicher werden weiterhin evakuiert
Unterdessen hat das österreichische Bundesheer wieder Touristen aus Ägypten ausgeflogen. Eine Transportmaschine vom Typ C-130-Hercules aus Luxor kommend landete um 23 Uhr am Mittwochabend am Wiener Flughafen. An Bord der Maschine waren 62 Passagiere - 59 Österreicher, zwei Australier und ein Deutscher.

Nun sollen die restlichen ausreisewilligen Staatsbürger auf fünf Flügen untergebracht werden. Die Zahl der in Ägypten verbliebenen österreichischen Touristen bezifferte Außenministeriumssprecher Peter Launksy-Tieffenthal am Donnerstag mit 1.000 Personen, knapp 100 davon seien "ausreisewillig". Man bemühe sich, diese auf einem Linienflug der AUA von Kairo nach Wien und insgesamt vier Charter-Flügen, durchgeführt von Lauda Air, Flyniki und der AUA, von Hurghada, Sharm-el-Sheik und Luxor nach Wien, unterzubringen.

Nachdem diese Flüge wieder in Österreich gelandet seien, werde man entscheiden, ob es notwendig sei, ein "eigenes Flugzeug zu schicken" oderte Launsky-Tieffenthal. Ein Flieger des Bundesheeres stehe zudem auf "Stand-by". Ob die Hercules C-130 ein drittes Mal nach Ägypten aufbrechen wird, soll erst entschieden werden.

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