Anti-Atom in OÖ:

„Bei der Atomenergie gibt es sehr viel Blindheit“

Oberösterreich
26.03.2021 18:00

Dalibor Stráský ist Anti-Atom-Beauftragter des Landes Oberösterreich. Er kämpft gegen eine zähe Lobby in seiner Heimat Tschechien und will die Atomkraftwerke in Temelín und Dukovany am liebsten sofort dichtmachen. Jüngste Kampfmaßnahme: Zehn Jahre nach Fukushima soll ein oö. Anti-Atomplan einen gesamteuropäischen Atomausstieg erzwingen.

„Krone“:Sie haben Kernkrafttechnik studiert. Wie kamen Sie dazu? Atomkraft ist doch ein belastendes Thema...
Dalibor Stráský: Ja, das stimmt. In der Tschechoslowakei musste man in der Zeit des Kommunismus eine gute Familie haben, um studieren zu können. Das bedeutete: Die Eltern mussten in der kommunistischen Partei sein, oder zumindest in Organisationen, die von den Kommunisten geregelt wurden.

Waren Ihre Eltern in der kommunistischen Partei?
Meine Mutter war nie in der Partei. Der Vater wurde hinausgeschmissen. Er war mit dem Einmarsch der Sowjetunion im Jahr 1968 – Stichwort Prager Frühling – nicht einverstanden.

Das war auch schlecht für Ihre Zukunft?
Ja, mit so einem Profil war es eigentlich fast unmöglich, zu studieren. Ich wählte aber eine Fakultät, in der meine Herkunft nicht so wichtig war. Im Kerningenieurwesen ignorierte der Dekan die Herkunft seiner Studenten. Und so studierte ich das dann.

In Tschechien gibt es vier Hochrisikoreaktoren am Standort Dukovany und zwei weitere Blöcke in Temelín. Beide AKW sind sehr nahe an der österreichischen Grenze und beide haben bereits einige Störfälle zu beklagen. Warum sind die Tschechen so überzeugt von Atomkraft?
Das Atomprogramm in der Tschechoslowakei startete Ende der 1950er Jahre. Es war ein Symbol: So eine kleine Nation ist imstande, ein Atomkraftwerk zu bauen! Noch in den 1980er Jahren stellte die tschechoslowakische Industrie 70 Prozent der Komponenten für die Atomkraft her. Die Techniker sind bis heute darauf sehr stolz.

Spielt der Stolz heute wieder eine Rolle?
Ja, sogar noch mehr! Seit der Wende 1989 sind wir als kleine Nation der Meinung: Wir sind gegen alle!

Daran ist nichts zu rütteln?
Nein, wenn man argumentiert: ,Aber schaut doch, andere Länder steigen aus!‘ Dann heißt es: ,Nein, das scheitert alles. Wir bleiben bei der Atomkraft, um diesen Ländern dann unseren Strom zu verkaufen.‘

Sie haben in der Atomindustrie gearbeitet, sind aber ausgestiegen.
Ich arbeitete einige Jahre in Dukovany und Temelín. Mir wurde nach der Wende eine Liste mit 30 Projektmängeln in der sowjetischen Planung zugespielt. Ich arbeitete damals mit Greenpeace zusammen, alles wurde veröffentlicht. Grenzüberschreitender Druck entstand. Wir Tschechen waren das nicht gewohnt!

Warum haben Tschechen nicht selbst größtes Interesse daran, dass ihre Kraftwerke sicher sind?
Sie sind überzeugt, dass sie sicher sind. Weil unsere Medien immer betonen, Kernkraft ist die sicherste, sauberste, billigste Energieproduktion! Es gibt eine Betriebsblindheit.

Nun wurden zwei neue Reaktorblöcke in Dukovany bewilligt.
Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde bereits absolviert. Bei den Verträgen schaut es so aus, dass mittlerweile der Staat zu 100 Prozent mit einem günstigen Kredit einspringt, Investoren sind nicht aufzutreiben für das AKW. Woher der Staat das Geld hat, wird nicht diskutiert.

Wie weit ist das Vorhaben auf Schiene?
Unternehmen aus China, Südkorea, Russland, Frankreich und den USA haben Interesse signalisiert, die Reaktorblöcke zu bauen. Derzeit streiten die Politiker darüber, ob die Russen oder Chinesen am Bieterverfahren teilnehmen dürfen. Sie könnten zu sehr Einfluss auf die tschechische Energiewirtschaft bekommen. Nur: Alle Brennelemente für die Reaktoren bisher stammen eh schon aus Russland

Wie ertragen Sie es, gegen etwas zu kämpfen, wo kaum Erfolg da ist?
Es gibt Erfolge! Bei der Endlagersuche war der Standort Boletice, 18 Kilometer von der oberösterreichischen Grenze entfernt, im Plan. Das ist er jetzt nicht mehr. Der internationale Druck hat gewirkt und ein Erfolg der oberösterreichischen Politik.

Belasten die Atomkraftwerke unsere Beziehungen als Nachbarländer?
Ganz sicher. Aber in Oberösterreich und Südböhmen sind die Politiker noch imstande, in anderen Bereichen zu Vereinbarungen zu kommen, etwa im Tourismus. Das Thema Temelín wird erwähnt, aber die Reaktion der tschechischen Partner bleibt zurückhaltend, kühl oder ausweichend.

Sie wohnen in der Nähe zu Temelín. Wie sicher fühlen Sie sich persönlich?
Ich wohne 50 Kilometer vom AKW entfernt. Die sowjetische Sicherheitsphilosophie, nach der die Reaktoren konzipiert wurden, betont den Schutz durch die Distanz, also weniger durch ,Technik‘. Lieber größerer Abstand! Für die geografischen Umstände in Russland oder in der Ukraine ist dieser Ansatz passend, aber kaum für dicht besiedelte Gebiete in Mitteleuropa.

Das Worst-Case-Szenario?
Worst Case ist immer die Kernschmelze mit zerstörter Sicherheitshülle. Aber ehrlich gesagt, ich denke nicht daran. Ich züchte Kaninchen, arbeite im Garten. Aber ich hoffe, dass die Vernunft und der Druck siegen und somit der ,Irrweg Kernkraft‘ verlassen wird.

Elisabeth Rathenböck, Kronen Zeitung

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