Interview & Album

Wiener Band Dragony parodiert das Kaiserreich

Musik
15.01.2021 06:00

Wer schrieb das österreichischste Album aller Zeiten? Die Wiener Power-Metal-Band Dragony kann mit „Viribus Unitis“ jedenfalls lauthals „wir“ schreien und wäre gut im Rennen. Frontmann und Hauptsongwriter Siegfried Samer erklärt uns im Interview, warum er das österreichische Kaiserreich mit Zombies verbindet, wieso wir noch immer so obrigkeitshörig sind und was er als Kaiser alles machen würde.

(Bild: kmm)

Ein kalter Dezembervormittag zwischen Weihnachten und Silvester. Es ist bereits wieder Lockdown, wodurch selbst bei der Touristenhochburg Schönbrunn wenig los ist. Perfekte Bedingungen für ein monarchisches Fotoshooting, denn die Wiener Power-Metal-Band Dragony veröffentlicht mit „Viribus Unitis“ (zu Deutsch: „Mit vereinten Kräften“) ein brandneues Album, das sich humorig mit der Geschichte rund um Kaiser Franz Joseph, Sisi und Kronprinz Rudolf auseinandersetzt. Frontmann Siegi Samer hat sich vor dem sympathischen Interview in Schale geworfen und repräsentiert für uns den Kaiser. Als der stolze Recke sich vor der Gloriette positioniert, wird es einer zufällig vorbeischreitenden Spaziergängerin schwach um die Knie. „Jössas, ich geh‘ hier ja fast jeden Tag spazieren, aber dass ich auch einmal den Kaiser sehe, das passiert normal nie. Kann ich bitte ein Foto machen?“ Das gleichermaßen zufällige wie humorige Aufeinandertreffen ist unbewusst der perfekte Beweis für die mit dem Album mitschwingende These, dass der gemeine Österreicher gerne obrigkeitshörig ist - wenn auch mehr als 100 Jahre nach des Kaisers Tod.

Science-Fiction-Monarchie
„Das Album ist eine parodistische Liebeserklärung an Österreich“, geht Samer näher ins Detail, „wir verarbeiten das Überspitzte, Duckmäuserische und Obrigkeitshörige und zeigen auf, dass man die Huldigung dieser Zeit auch übertreiben kann.“ Dazu ein kleiner Exkurs in die Grundhandlung des ambitionierten Konzeptwerkes. Als die Band 2019 auf einer Metal-Kreuzfahrt bei Miami vorbeischipperte, kam bei ein paar kühlen Bieren die Idee der Geschichtsstunde mit Humor. Im Falle von Dragony bedeutete das, dass man den „Cyberpunk Joseph“ erschuf, ihm zeitgeistig passende Figuren wie Houdini oder Niklas Tesla beistellte und über mehre Songkapitel hinweg eine Mischung aus österreichischer Geschichte und Zombie-Science-Fiction kreierte. Im Storyboard der Wiener hat Kronprinz Rudolf seinen Selbstmordversuch auf Schloss Mayerling 1889 überlebt, verfällt nach dem Attentat auf seine Mutter Sisi dunklen Mächten und wühlt sich in einer Welt aus Zombies, historischen Persönlichkeiten und barocker Architektur wieder aus dem Irrsinn heraus. Oder war am Ende doch alles nur geträumt?

„Die k.u.k.-Monarchie wird hierzulande gerne romantisiert und glorifiziert“, führt Samer aus, „wir alle kennen die ,Sisi‘-Filme und die ,Elisabeth‘- und ,Rudolf‘-Musicals. Wir wollten diesen österreichischen Kult in den Vordergrund rücken und eine Art Hollywood-Version daraus basteln. Unsere Monarchie findet irgendwo zwischen ,Iron Sky‘ und ,Inglorious Basterds‘ statt. Natürlich kreieren wir bewusst Fake News, denn ist es klar, dass Kaiser Franz Joseph nicht als österreichischer Darth Vader durch die Welt gewandelt ist. Liest man sich gewisse Verschwörungstheorien im Internet durch, dann ist diese Selbstverständlichkeit aber gar nicht mehr so selbstverständlich. Wir sind beileibe keine politische oder sozialkritische Band, wollen aber mit dem Album subtil am Medienverständnis der Menschen rütteln. Vielleicht ist das für das heutige Publikum schon zu subtil, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Das Album beginnt mit Strauss‘ „Donauwalzer“, führt dann thematisch durch die sarkastische Gedankenwelt der Musiker und endet lustigerweise mit dem Rainhard Fendrich-Cover „Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh’n“.

Heilige Sakristei
„Man kann sicher darüber diskutieren, aber für mich war Fendrich schon immer das Aushängeschild des Austropop. Und wenn man schon so ein Konzeptalbum macht, dann muss man auch österreichisch abschließen“, lacht der Sänger. „Falco wäre gut gewesen, aber der ist für mich gesanglich nicht umzusetzen und ,I Am From Austria‘, die heilige Sakristei des Landes, blieb bewusst geschlossen. Daran hätten wir uns nur verheben können.“ Die Wahl auf „Haben Sie Wien schon bei Nacht geseh’n“ fiel nicht zuletzt aufgrund der internationalen Popularität Dragonys. Während der Power Metal mit und auch abseits seiner symphonischen Subsparten hierzulande noch immer ein Nischendasein fristet, stößt man im Ausland auf weitaus mehr Anklang. „Da mussten wir natürlich mit dem Schmäh aufpassen, denn schließlich sollen ihn alle verstehen. Eine Band wie Seiler und Speer kommt mit dem Humor schwer über die Landesgrenzen hinaus, aber wir müssen das anders planen. Man muss immer im Hinterkopf behalten, dass vieles, was man mit dem Wiener Humor als selbstverständlich erachtet, für den internationalen Markt nicht einfach so gegeben ist.“

Gerade im Power Metal werden Geschichtsstunden immer salonfähiger. Wurde früher klassisch über Burgen und Drachen gesungen (selbst Samer nennte sich früher „The Dragonslayer“), nimmt die Historie einen immer wichtigeren Platz ein. Bands wie die enorm erfolgreichen Schweden Sabaton oder Civil War bauen etwa ihr ganzes Konzept darauf auf - freilich ohne die leichtfüßige Ironie, die Dragonys Themenbereiche durchstrahlt. „Der Power Metal an sich eignet sich perfekt für epische Szenarien. Wenn der mächtige Chor einsetzt, werden alle besiegt. Das ist ein wichtiger Teil der Musik.“ Um nicht völlig missverstanden zu werden haben Dragony auf YouTube eine Erklär-Video-Schiene zu „Viribus Unitis“ installiert. „Uns ist schon wichtig, die Unterschiede zwischen unserem Humor und der korrekten geschichtlichen Darstellung anzubieten. Ich bin kein Historiker und kann nicht dafür bürgen, dass in den Videos alles bis ins Detail stimmt, aber wer tatsächlich das Hintergrundwissen zu den Themen haben will, der kann dort nachschauen und wenn wir selber nicht weiterwissen, verweisen wir auf die gängigen Sekundärquellen.“

Auge aufs Budget
Samer hätte das Konzept gerne noch dunkler gestaltet und Aleister Crowley in die Handlung eingebaut, doch bis auf den Song „Golden Dawn“ gibt es am fertigen Produkt dahingehend keine zusätzlichen Referenzen. „Ich wollte noch mehr schwarze Magie ins Kaiserreich bringen, aber wir haben uns dann gemeinschaftlich mehr auf Houdini konzentriert. Es gibt im Power Metal Bands wie Gloryhammer, die dir den Witz dahinter richtiggehend ins Gesicht drücken. Wir wollen subtiler sein, weil das auch zum österreichischen Humor passt. Wir sind stolz auf unseren Humor und wollen das zeigen. Und ganz ehrlich: wir nennen uns Dragony. Wer uns schon rein vom Namen her zu ernst nimmt, der wird den Witz dahinter sowieso nie verstehen.“ Finanziert wurde das Album, wie schon der Vorgänger „Masters Of The Multiverse“ vor drei Jahren, via Crowdfunding, was ob der treuen Fanbase gut klappte. Mit dem richtigen Kaiser, Robert Palfrader, kann Dragony aber nicht dienen. „Ich glaube, der wäre über unserem Budget gelegen. Da hätte ich die kaiserlichen Kassen plündern müssen. Aber ganz im Ernst: der Schmäh wäre wohl zu österreichisch gewesen. Das hätte sicher einiges gekostet und international keine Wirkung gehabt.“

Dragony sind trotz ihres großen Humors und der Liebe für ausufernde Themen keineswegs eine Band, die sich nicht ernst nimmt. „Die musikalische Umsetzung nehmen wir sogar sehr ernst. Wir setzen uns nicht 15 Minuten hin und rotzen einen miesen Song raus, weil eh schon alles egal ist - das wäre mir persönlich viel zu wenig. Auch der Humorfaktor hat bei uns Grenzen. Wir würden uns niemals im Clownskostüm auf die Bühne stellen oder Anarcho á la Drahdiwaberl machen. Es hat alles seinen Platz und seine Berechtigung, aber da ziehen wir definitiv eine Grenze.“ Auch Samer findet es mehr als interessant, dass die Kaiserreich-Thematik hierzulande musikalisch kaum aufgegriffen wurde. „Tausende Bands singen über das Mittelalter, Wikinger oder den Zweiten Weltkrieg, aber kaum jemand kümmert sich um das Kaiserreich. Das Thema ist bei uns omnipräsent, aber so ein Konzeptwerk hat meines Wissens noch niemand gemacht. ,Viribus Unitis‘ ist das österreichischste Album überhaupt.“

Mehr Kulturunterstützung
Ob es 2022 zum Amadeus reicht, wird man sehen. Doch eine drängende Frage stellt sich natürlich wie von selbst. Was würde Samer denn in die Wege leiten, wenn er tatsächlich Kaiser von Österreich wäre? „Kaiserschmarrn für alle. Nein, ganz im Ernst: als Kunstschaffender würde ich die Kunst- und Kulturförderung ankurbeln - und zwar abseits von Klassik und Hochkultur. Staatsoper, Seefestspiele und Co. werden ohnehin gut gefördert, aber in der Unterhaltungsmusik könnte wesentlich mehr getan werden.“ Mit Livekonzerten schaut es für die nähere Zukunft freilich finster aus. Ob die für 19. Februar geplante Release-Show in der Wiener Szene stattfinden kann, steht in den Sternen. Für 2022 denkt man im Dragony-Bandcamp aber still und leise ein einmaliges Konzert mit Orchester an. „Eventuell mit unseren befreundeten Bands Serenity und Illuminata, aber das ist noch in der sehr frühen Planungsphase und überhaupt nicht spruchreif.“ Bis dahin gilt es - wie für alle anderen - das Beste aus der gegebenen Situation zu machen. „Wir spüren den Support von unseren Fans und von unserem Label. Mit vereinten Kräften - wo wir wieder bei unserem Albumtitel wären - ist alles zu schaffen.“ Eben auch ein Foto mit dem Kaiser für die begeisterte Passantin vor der Gloriette.

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