"Momentan erblindet"

Stuttgart-21-Demo: Schwerverletzter klagt Minister

Ausland
06.10.2010 15:50
"Stuttgart 21"-Demonstrant Dietrich Wagner hat Strafanzeige gegen Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) wegen Körperverletzung gestellt. Er verstehe nicht, "wie man gegen die Stuttgarter Bevölkerung ein solches Inferno anrichten kann", sagte der schwer verletzte Pensionist. Wagners Foto war durch die Medien gegangen: ein Demonstrant aus dem Stuttgarter Schlossgarten mit blutigen Wunden an den Augen, der von zwei Helfern gestützt werden musste.

Nach eigenen Angaben hatte er zuvor versucht Jugendlichen zu helfen, die in den Wasserstrahl der Polizei gekommen waren. Dabei habe der Wasserstrahl ihn direkt ins Gesicht getroffen, so stark, dass der 66-Jährige ohnmächtig wurde. "Es fühlte sich an wie der Schlag von einem Riesenboxer", so Wagner zum Magazin "stern". Bei der Demonstration vergangene Woche gegen das umstrittene Bahnprojekt waren nach Angaben der Behörden mindestens 130 Menschen verletzt worden, die Veranstalter sprachen von erheblich mehr.

Wegen massiver Augenverletzungen "im Moment erblindet"
Egon Georg Weidle, Chefarzt am Stuttgarter Katharinenhospital, diagnostizierte bei Wagner "schwerste Augenverletzungen". Am schlimmsten seien die "beidseitig schweren Prellungsverletzungen". Die Lider seien zerrissen, der Augenboden eines Auges gebrochen, die Netzhaut vermutlich eingerissen. Die Linsen seien zerstört und müssten durch Kunstlinsen ersetzt werden. Wagner "ist im Moment erblindet", so der Arzt zum "stern". Er wisse nicht, wie gut sein Patient in Zukunft je wieder sehen wird.

Ministerpräsident Mappus verteidigt "Jahrhundertprojekt"
Indes hält Baden-Württembergs Landesregierung ohne Wenn und Aber an Stuttgart 21 fest, will sich aber mit den Gegnern an einen Tisch setzen. Ministerpräsident Stefan Mappus ernannte den CDU-Politiker Heiner Geißler am Mittwoch in einer Regierungserklärung zum Vermittler. Er bot den Gegnern neue Gespräche über das "Jahrhundertprojekt" an und betonte, bis Sommer 2011 sollten keine weiteren Bäume gefällt werden, und auch auf den Abriss des Südflügels des Bahnhofs sollte vorerst verzichtet werden. Er warnte vor Kosten in Milliardenhöhe für das Land, sollte der Bahnhofsumbau eingestellt werden. Den SPD-Vorschlag einer Volksabstimmung wies er zurück.

Mappus räumte erhebliche Kommunikationsfehler ein und bedauerte die Eskalation bei den Demonstrationen. In der Regierungserklärung betonte er die Vorteile des Projekts sowohl für die Stadt als auch das Land. Dazu gehörten nicht nur die Verlagerung des Fernverkehrs vom Flugzeug auf die Schiene, sondern auch neue Entwicklungschancen für Stuttgart.

Gegnern Mitschuld an massiver Eskalation zugewiesen
Den Gegnern wies er eine Mitschuld an der schweren Eskalation zu und kritisierte eine Verzerrung der Fakten. Zum einen rechne sich das Projekt trotz der Kostensteigerungen. "Für die 282 Bäume, die im Zuge der Bauarbeiten insgesamt gefällt werden müssen, werden rund 5.300 neue Bäume gepflanzt", betonte er zudem. Mappus widersprach auch der Kritik, der Bahnhofsumbau verhindere andere Verkehrsprojekte im Land. Scheitere das Projekt, würde die Deutsche Bahn das Geld in anderen Bundesländern investieren.

Mit der Ernennung eines Schlichters solle ein neuer Gesprächsfaden zwischen Befürwortern und Gegnern des Projekt geknüpft werden, sagte Mappus. "Dr. Heiner Geißler verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich des Interessensausgleichs und der Schlichtung." Geißler stamme aus Baden-Württemberg, "und er genießt hohes Ansehen über alle Parteigrenzen hinweg".

Der Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, warf beiden Seiten eklatante Fehler vor. Die Befürworter hätten es versäumt, auf die Vorteile für die Stadt und vor allem für das Land hinzuweisen. Zugleich warf er aber auch den Gegnern des Projektes vor, die letzten 14 Jahre im Tiefschlag verbracht zu haben und erst jetzt gegen das Projekt zu protestieren.

Grüne profitieren von Streit und überholen in Umfrage SPD
Die Grünen profitierten offenbar von ihrer Ablehnung von Stuttgart 21. In einer Forsa-Umfrage lagen sie bundesweit erstmals vor der SPD. Die Sozialdemokraten fielen in dem Wahltrend von "stern" und RTL auf 23 Prozent und damit auf das Niveau der Bundestagswahl 2009 zurück. Die Grünen erreichten 24 Prozent. Auch die Union macht einen Punkt gut: Für sie würden sich 31 Prozent der Wähler entscheiden.

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