Roma-Abschiebungen
EU-Kommission setzt Frankreich letztes Ultimatum
Allerdings macht Brüssel deutlich, dass das Verfahren gegen Frankreich noch nicht eröffnet ist. "Zu diesem Zeitpunkt ist die EU-Kommission der Ansicht, dass Frankreich die EU-Freizügigkeitsrichtlinie, die diese Rechte voll wirksam und transparent macht, noch nicht in nationales Recht umgesetzt hat", teilte die Brüsseler EU-Behörde mit.
"Deshalb hat die Kommission heute entschieden, dass sie ein Mahnschreiben an Frankreich richten wird, mit der Aufforderung zur vollen Umsetzung der Richtlinie, wenn nicht Entwürfe für die Umsetzungsmaßnahmen und ein detaillierter Zeitplan bis zum 15. Oktober vorgelegt werden. Das Mahnschreiben würde dann im Zuge des Pakets von Vertragsverletzungsverfahren im Oktober 2010 geschickt werden."
Auch andere Länder werden geprüft
Gleichzeitig will die EU-Kommission prüfen, ob weitere Vertragsverletzungsverfahren auch gegen andere Staaten im Zusammenhang mit der Freizügigkeitsrichtlinie eingeleitet werden. Die Kommission würde dann auch in den nächsten Runden von EU-Verfahren entsprechende Mahnschreiben schicken, Länder nannte sie aber keine.
Ein EU-Verfahren läuft in drei Stufen ab. Reagiert das betroffene Land nicht entsprechend auf das Mahnschreiben der EU-Kommission, sendet die EU-Behörde eine mit Gründen versehene Stellungnahme. Letzlich kann die EU-Kommission Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen.
Betroffene können Rechtsmittel einlegen
Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie sieht unter anderem vor, dass die Betroffenen Rechtsmittel im Aufnahmestaat einlegen können. Vor einer Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit muss der Staat eine Reihe von Punkten berücksichtigen. Etwa die Dauer des Aufenthalts, Alter, Gesundheitszustand, familiäre und wirtschaftliche Lage des Betroffenen, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat. Schutzbestimmungen innerhalb der Richtlinie sollen beispielsweise die Diskriminierungen von Volksgruppen verhindern.
Vertragsverletzung durch Roma-Abschiebungen
EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte, unterstützt von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso, Frankreich wegen der massenhaften Abschiebungen von Roma ein EU-Vertragsverletzungsverfahren angedroht, das bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gehen kann. "Frankreich setzt europäisches Recht zur Freizügigkeit nicht so um, wie es sollte, deshalb starten wir ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich", sagte Reding dem Fernsehsender "France 24". Sie fügte hinzu: "Wenn Frankreich seine Gesetze rasch ändert, werden wir dieses Verfahren stoppen."
Reding hatte Frankreich vorgeworfen, gegen die EU-Grundrechtecharta zu verstoßen und verschiedene Schutzbestimmungen der EU-Freizügigkeitsrichtlinie nicht umgesetzt zu haben. Frankreich habe sich hier besonders der "Diskriminierung einer ethischen Minderheit" schuldig gemacht. Außerdem hatte die EU-Kommission ein mittlerweile zurückgezogenes Rundschreiben der französischen Behörden kritisiert, das speziell auf die Räumung von Roma-Lagern Bezug nahm. In dem Rundschreiben vom August wurden Polizeipräfekten aufgerufen, "in erster Linie" Roma-Lager aufzulösen.
Kommission will Integrationsstrategien ausarbeiten
EU-Kommission kündigte daher an, sie werde im April nächsten Jahres einen "Rahmen für nationale Roma-Integrationsstrategien" vorlegen. Dabei soll die Verwendung von nationalen und europäischen Mittel und eine effizientere Nutzung der EU-Fonds zur Roma-Integration geprüft werden. Die EU-Staaten sollen eigenen Strategien im Rahmen der EU-Wirtschaftsstrategie "Europa 2020" in nationalen Reformprogrammen darlegen. Die in Wien ansässige EU-Grundrechteagentur soll in die Arbeiten mit einbezogen werden, teilte die EU-Kommission mit.
Der Roma-Streit zwischen Frankreich und der EU-Kommission war beim EU-Gipfel Mitte September eskaliert. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Kommissionspräsident Barroso waren während des Gipfels heftig aneinandergeraten. Sarkozy hatte Reding scharf attackiert, nachdem die Kommissarin erklärt hatte, dass sie eine Situation wie in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg für unmöglich gehalten hätte.
Europaabgeordnete begrüßen Vorgehen
"Die heutige Entscheidung der EU Kommission ist ein Zeichen dafür, dass sie - trotz anfänglichem Zögern - die Behandlung der Roma in einigen Mitgliedsländern sehr ernst nimmt", erklärte der sozialdemokratische Fraktionsvize Hannes Swoboda. Das Verfahren sei unabhängig von seinem Ausgang "ein Warnsignal an alle Mitgliedsländer", europäisches Recht genauestens zu befolgen. Darüber hinaus müsse aber auch Druck auf die Herkunftsländer der Roma aufgebaut werden, die Probleme nicht einfach wegzuschieben sondern mit Hilfe der Europäischen Union eine wirksame Integrationsstrategie zu verfolgen.
Die EU-Kommission habe "den längst überfälligen Schritt getan", erklärte die deutsche Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms. "Leider beschränkt sich die Kommission in dem Verfahren auf die Frage der Freizügigkeit und drückt sich davor, das heiße Eisen Diskriminierung anzupacken. Es wird immer deutlicher, dass die Abschiebungen eine eklatante Diskriminierung der Roma sind. Frankreich muss hier in die Verantwortung genommen werden."
Frankreich will Forderungen der Kommission prüfen
Frankreich hat mittlerweile angekündigt, die Forderung der EU-Kommission nach einer korrekten Umsetzung von EU-Recht prüfen. Ein Sprecher des Pariser Außenministeriums erklärte in einer Stellungnahme am Mittwoch: "Die Regierung wird in den nächsten Tagen zu einer detaillierten Analyse der neuen Forderungen der Kommission schreiten, bevor sie über mögliche folgende Schritte entscheidet."
Die EU-Kommission stehe seit Mai im Dialog mit Frankreich "so wie mit zahlreichen anderen Mitgliedstaaten" über die Umsetzung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie, heißt es in der Stellungnahme weiter. Frankreich nehme zur Kenntnis, dass kein EU-Vertragsverletzungsverfahren zur Personenfreizügigkeit und in Hinblick auf die Ausweisungen von EU-Bürgern nach Auflösung illegaler Lager im August eingeleitet worden sei. Frankreich "freut sich", dass die EU-Kommission zur Kenntnis genommen habe, dass die französischen Maßnahmen nicht auf eine spezielle Minderheit zielten, heißt es in der Erklärung weiter.
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.