Debatte um Biografie

Wiesenthal vs. Kreisky vierzig Jahre später

Österreich
16.09.2010 09:44
Beim Wien-Besuch des israelischen Historikers Tom Segev anlässlich der Vorstellung seiner neuen Simon-Wiesenthal-Biografie hat sich eine neue Debatte über den Umgang der Regierung Kreisky mit dem Nazijäger entwickelt. Segev betonte in Wien erneut, Bruno Kreisky habe Wiesenthal in den 70ern überwachen lassen und ihm "ungeheures Unrecht" angetan. Der ehemalige Kreisky-Sekretär Wolfgang Petritsch, der gerade an einer Biografie über den Politiker arbeitet, bestreitet das. Zunehmend mit Fragen konfrontiert sieht sich auch Bundespräsident Heinz Fischer.

Segev (li.) hat nach eigenen Angaben fünf Jahre für sein Buch recherchiert und zeigte sich bei seinem Wien-Besuch am Mittwoch froh, "dass niemand anderer vor mir auf diese Idee gekommen ist". 

Er finde an Wiesenthal beeindruckend, wie dieser Holocaust-Überlebende, der bei Kriegsende nur mehr 40 Kilogramm gewogen habe, "von den tiefsten Tiefen" zu einer international anerkannten moralischen Autorität aufgestiegen sei. "Er hatte viele Feinde und Verehrer, aber nur wenige Freunde", konstatierte der Autor. Die ganze österreichische Gesellschaft mit ihren alten und neuen Nazis sei großteils gegen ihn gewesen. Wiesenthal sei dazu "streitsüchtig und eitel und draufgängerisch" gewesen.

Segev: Kreisky hatte "Komplex" in Bezug auf Judentum
Zu den politischen Auseinandersetzungen um Wiesenthal meinte Segev, dieser habe der österreichischen Gesellschaft einen "Spiegel vor die Augen gehalten" und sei daher von Anfang an als Feind betrachtet worden. Als er die SS-Vergangenheit des früheren FPÖ-Chefs Friedrich Peter aufgedeckt habe, sei Kreisky "explodiert" und habe dem Nazi-Jäger vorgeworfen, mit der Gestapo kollaboriert zu haben. Die Dokumente, die dem früheren Kanzler dabei als Grundlage dienten und die Segev nach eigenen Angaben im Kreisky-Archiv sichtete, seien jedoch vor allem Denunziationen von Alt-Nazis aus Südamerika gewesen. In seinem Buch schreibt Segev außerdem, Kreisky habe Wiesenthal intensiv bespitzeln lassen.

"Man hat Wiesenthal ungeheures Unrecht angetan", sagte Segev beim Hintergrundgespräch am Mittwoch. Seine "fürchterlichen Auseinandersetzungen" mit Kreisky seien eine "schmerzhafte Zeit" für Wiesenthal gewesen. Kreisky wiederum sei in Bezug auf seine jüdische Identität "nicht zurechnungsfähig" gewesen. Der Altkanzler habe in Bezug auf sein Judentum an einem "Komplex" gelitten und so peinliche Telefonate mit dem israelischen Botschafter geführt, dass Letzterer es für angebracht gehalten habe, diese abzubrechen.

Fischer verweigerte Gespräch mit Segev
Eine politische Rolle im Kreisky-Wiesenthal-Konflikt spielte damals auch der heutige Bundespräsident Fischer. Segev behauptet, er habe im Zuge seiner Recherchen um ein Gespräch mit Fischer gebeten, aber keinen Termin erhalten. Aus der Hofburg habe man ihm aber lediglich schriftliche Unterlagen zukommen lassen. Offenbar sei es Fischer "peinlich" gewesen, über diese Sache zu reden.

Der heutige Bundespräsident war ab 1971 Nationalratsmandatar und wurde '75 SPÖ-Klubobmann. Im selben Jahr hatte er Wiesenthal einen parlamentarischen U-Ausschuss angedroht, als der Nazijäger wegen Kreiskys Gestapo-Vorwürfen mit Verleumdungsklage drohte. Erst in den Achtzigern, als Kreisky seine Vorwürfe wiederholte, kam es dann zu der Klage - und einer Verurteilung Kreiskys.

Kreisky-Sekretär: "Segev neigt zu Übertreibungen"
Der frühere Bosnien-Beauftragte und ehemalige Sekretär Kreiskys, Wolfgang Petritsch (re.), weist indes den Vorwurf der Bespitzelung Wiesenthals durch die damalige Bundesregierung zurück. "Segev neigt zu Übertreibungen, es hat keine systematische Überwachung gegeben", sagte Petritsch am Mittwochabend.

Er habe bei seinen Recherchen für die Kreisy-Biografie, die im Oktober erscheinen soll, dieselben Dokumente einsehen können wie Segev. Wäre Wiesenthal systematisch überwacht worden, hätte man leicht herausgefunden, dass der Nazi-Jäger in der Nachkriegszeit rund zehn Jahre für den Mossad gearbeitet habe, wie Segev in seinem Buch enthüllt. Segev hatte zuvor zu dem Thema gemeint, es sei falsch, Wiesenthal als Agenten oder Spion zu bezeichnen, der auch Illegales gemacht haben müsse. "Der Mossad arbeitete für Wiesenthal", meinte er.

Fischer-Vorstoß "keine gute Entwicklung"
Zu den von Kreisky gegenüber Wiesenthal erhobenen Gestapo-Anschuldigungen räumte Petritsch ein, der frühere SPÖ-Kanzler habe "bei manchen Aussagen alle Grenzen überschritten". Man dürfe aber nicht den innenpolitischen Hintergrund des Streits übersehen. Außerdem habe Wiesenthal nie gegen Kreisky gerichtete antisemitische Ausfälle der ÖVP kritisiert. Es sei jedenfalls "in der Hitze des Gefechts" vieles gesagt worden, "was man nicht auf die Goldwaage legen" dürfe.  Zurückhaltend äußerte sich Petritsch zur Rolle des damaligen SPÖ-Klubobmanns und jetzigen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Dessen Vorschlag mit dem U-Ausschuss könne man jetzt im Nachhinein in seiner voller Dimension nicht als gute Entwicklung bewerten, so Petritsch.

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