Viele Fragen offen

IS-Bomber: Zweifel an hollywoodreifer Festnahme

Ausland
12.10.2016 13:17

Wochenlang waren die Geheimdienste und Ermittler in Deutschland dem syrischen Terrorverdächtigen Jaber al-Bakr auf der Spur gewesen. Schließlich konnte er nach seiner Flucht aus einer Wohnung in Chemnitz in der Nacht auf Montag in Leipzig gefasst werden. Laut den Behörden war der Bombenbastler von zwei Landsleuten, bei denen er übernachten wollte und die in ihm den gesuchten Verdächtigen erkannten, überwältigt, gefesselt und der alarmierten Polizei quasi auf dem Präsentierteller übergeben worden. Doch nun kommen Zweifel an dieser hollywoodreifen Festnahme auf.

Laut offizieller Darstellung liefen die dramatischen Ereignisse folgendermaßen ab: Nach wochenlanger Beobachtung Bakrs durch die Geheimdienste macht ihn das Bundesamt für Verfassungsschutz Anfang Oktober als Schlüsselfigur eines geplanten Anschlages der Terrormiliz Islamischer Staat in Deutschland aus. Am Samstag vergangener Woche versucht die Polizei, den Syrer in der Wohnung eines Bekannten in Chemnitz festzunehmen. Er flüchtet trotz Warnschusses und wird daraufhin deutschlandweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Der 22-Jährige kommt bis Leipzig und sucht am dortigen Bahnhof über soziale Netzwerke unter Landsleuten nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Zwei Syrer nehmen ihn auf, erkennen ihn aber. Gemeinsam überwältigen und fesseln sie Bakr und servieren ihn in der Nacht auf Montag schließlich der Polizei wie auf dem Präsentierteller.

Doch lief die Festnahme tatsächlich so perfekt ab wie kolportiert? Laut "Focus" ergeben sich angesichts des Ablaufs der Ereignisse einige Fragen. Im Folgenden die Ungereimtheiten - und mögliche Antworten darauf.

Warum schossen die beiden Syrer in ihrer Wohnung Fotos von Bakr, obwohl sie mit ihm einen landesweit gesuchten, gefährlichen Terroristen vor sich haben, der nichts mehr zu verlieren hat?
Einer der beiden Landsmänner Bakrs, Mohammed A., gab gegenüber der "Bild" an, Fotos von ihm gemacht zu haben, um der Polizei einen "Beweis" vorlegen zu können. Laut "Bild" spricht der Syrer nämlich kaum Deutsch, womit ein Foto die einzige Möglichkeit gewesen sei, auf dem Polizeirevier die Botschaft von der Überwältigung des Gesuchten überbringen zu können. Zudem habe das Bild gezeigt, dass sich Bakr tatsächlich in der Wohnung befindet.

Warum sind Bakr auf dem Foto die Strapazen der Flucht und der Überwältigung durch seine Landsleute nicht anzusehen?
Auf dem von "Bild" veröffentlichten Foto scheint Bakr wehr- oder bewusstlos, ansonsten aber völlig unversehrt zu sein. Mohammed A. erklärte dazu, der Bombenbastler habe geschlafen, als sie ihn fesselten, dadurch sei er sozusagen überrumpelt worden. Laut Angaben des "Focus" erscheine es außerdem nicht verwunderlich, dass der Syrer gegen zwei Männer keine Chance hatte.

Warum suchte Bakr ausgerechnet bei Syrern, also Landsleuten, Unterschlupf?
Laut "Focus" wundern sich in sozialen Netzwerken viele User darüber, dass es ausgerechnet Syrer waren, die Bakr Unterschlupf gewährten. Es stelle sich demnach die Frage, ob das nicht ein zu großer Zufall sei und sich die Männer womöglich schon vorher gekannt hätten. Dazu sagte Rainer Wendt, der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, gegenüber dem Nachrichtenmagazin, es sei nicht überraschend, dass Bakr bei Landsmännern Hilfe gesucht habe: Sie verstünden seine Sprache und stammten aus demselben Kulturkreis. Zudem sagte ein syrischer Asylwerber, der sich in einem Verein in Berlin für die Integration und Vernetzung von Syrern engagiert, zu "Focus": "Die syrische Community wurde dazu aufgerufen, Hinweise zum Verbleib von Jaber al-Bakr zu melden." Dieser Aufruf hatte offenbar auch Mohammed A. und seinen Freund erreicht.

Es stellen sich aber noch weitere Fragen, etwa warum die Polizei Bakr nicht bereits vor seiner Überwältigung durch die Syrer stoppen konnte. Da die Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen und Bahnhöfen in ganz Deutschland bereits am Samstag nach der Flucht des Bombenbastlers erhöht worden waren, erscheint es vielen unwahrscheinlich, dass der 22-Jährige nicht irgendwo einem Polizisten aufgefallen war - zumal es auch an Bahnhöfen wie in Leipzig zahlreiche Videokameras gibt.

Zudem finden es viele seltsam, dass die Polizei Mohammed A. offenbar sofort Glauben schenkte, als dieser auf der Wache erschien und die Überwältigung Bakrs per Foto mitteilte. Woher habe sie wissen sollen, dass A. tatsächlich lautere Motive hatte oder ob es sich nicht um einen möglichen Komplizen Bakrs handelte?

Verfassungsschutz-Chef sieht "großartigen Erfolg"
Trotz der offenen Fragen nannte der Präsident des deutschen Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, das Aufspüren und Ergreifen des Verdächtigen einen "großartigen Erfolg": "Uns ist es gelungen, kurz vor zwölf Uhr einen Terroranschlag zu verhindern", sagte er am Dienstag dem ZDF. Seit Anfang September habe es Hinweise gegeben, dass der IS in Westeuropa und auch in Deutschland Anschläge etwa gegen Bahnhöfe und Flughäfen plane.

Innerhalb eines Monats sei es gelungen, mit Bakr die Person zu identifizieren, die den Anschlag ausführen sollte. "Es war wirkliche Detektivarbeit nötig, um auf diese Person zu kommen", so Maaßen. Seit Freitag sei der 22-Jährige rund um die Uhr überwacht worden. Kritik daran, dass der Verdächtige der Polizei bei der Erstürmung der Wohnung in Chemnitz am Samstag entkommen konnte, wies Maaßen zurück: Es könnten immer Fehler passieren - oder die Umstände ließen eben keinen Zugriff zu, sagte er.

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