Chaos in der Türkei

Lässt Erdogan jetzt alle Putschisten hinrichten?

Ausland
16.07.2016 20:14

2839 Putschisten verhaftet, 265 Tote, 1440 Verletzte: Die Lage nach dem gescheiterten Militärputsch in der Nacht auf Samstag ist laut türkischer Regierung wieder unter Kontrolle. Doch die Folgen für die Putschisten könnten allerdings dramatisch werden. "Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen", schwor Präsident Recep Tayyip Erdogan Rache. In den sozialen Netzwerken tauchten erste Bilder von misshandelten Soldaten auf, die von Erdogan-Anhängern brutal gefoltert wurden. An einer Brücke in Istanbul sollen Soldaten bereits gelyncht worden sein.

Ein Putschversuch von Teilen der Armee stürzte die Türkei ins Chaos. Eine Gruppe von Militärs verkündete am Freitagabend die Übernahme der Macht, rief Kriegsrecht aus und verhängte eine Ausgangssperre. Es kam zu zahlreichen Gefechten in Ankara und Istanbul. Dabei wurden 161 Zivilisten und Sicherheitskräfte getötet. Nach Angaben des Militärs wurden außerdem 104 Putschisten getötet. Mehr als 1440 Menschen wurden verletzt, wie Ministerpräsident Binali Yildirim in Ankara mitteilte. Er bezeichnete den Putschversuch als "Schandfleck für die türkische Demokratie".

Istanbul: Soldaten an der Bosporus-Brücke abgeführt
Dutzende Soldaten ließen sich noch in der Nacht von Polizisten entwaffnen. Im Fernsehen war zu sehen, wie Militärs an der Bosporus-Brücke von Polizisten abgeführt wurden. Auf der Brücke waren in der Nacht Panzer aufgefahren.

Video: Putschisten in der Türkei ergeben sich

In den sozialen Netzwerken tauchen nun immer wieder neue Fotos von misshandelten Putschisten auf, die von Erdogan-Anhängern gefoltert wurden. Laut einem Bericht der Zeitung "BirGün" sollen Soldaten an einer Brücke in Istanbul sogar gelyncht worden sein. Es sei nicht auszuschließen, dass Erdogan-Anhänger nun weitere Vergeltungsschläge gegen die Putschisten setzen.

Acht Putschisten setzten sich nach Griechenland ab
Laut Medienberichten setzten sich am Samstagnachmittag offenbar acht Putschisten per Hubschrauber nach Griechenland ab. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu forderte daraufhin die sofortige Auslieferung dieser Soldaten. Die acht Insassen wurden bei ihrer Ankunft von der Polizei festgenommen. Sie hätten sofort politisches Asyl beantragt, berichtete die griechische Zeitung "To Proto Thema" unter Berufung auf Polizeiquellen.

Nach Angaben der türkischen Regierung sollen die Soldaten bald ausgeliefert werden. Der griechische Außenminister Nikos Kotzias habe ihm am Telefon die Auslieferung "der acht Verräter" in kürzester Zeit zugesagt, teilte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Samstag auf Twitter mit. Athen bestätigte das Telefonat, äußerte sich aber zurückhaltender.

Athen: Für Soldaten gelten internationalen Regeln
Für die Soldaten, die offenbar am Putschversuch beteiligt waren, würden die internationalen Regeln gelten, sagte der Sprecher des griechischen Außenministeriums, Stratos Efthymiou, der Deutschen Presse-Agentur. Zugleich ließ Athen die Möglichkeit einer Auslieferung offen: "Es wird sehr ernst genommen, dass die Festgenommenen in ihrem Land der Verletzung der Verfassungslegalität und des Versuches, der Demokratie zu schaden, beschuldigt werden", heißt es in einer Erklärung des griechischen Außenministeriums.

Yildirim bringt Todesstrafe ins Gespräch
Yildirim ließ unterdessen mit einer Drohung aufhorchen, die weitreichende Folgen für die Türkei hätte - vor allem für die künftige Zusammenarbeit mit der EU. Laut Yildirim sei die Todesstrafe in der Verfassung zwar nicht vorgesehen, die Türkei werde aber Gesetzesänderungen erwägen, um sicherzustellen, dass sich ein Putschversuch nicht wiederholen könne. Im Jahr 2002 hatte die Türkei unter dem Druck der EU die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft. Selbst Todesurteile für terroristische Taten, wie etwa im Falle des ehemaligen PKK-Führers Abdullah Öcalan, wurden in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Letztes Todesurteil in der Türkei 1984 vollstreckt
Ein Jahr später gab die Türkei bekannt, dass die Todesstrafe auch im Militärgesetz abgeschafft wird. 2004 wurde die Abschaffung der Todesstrafe dann auch für Kriegszeiten ratifiziert. Allerdings hatte sich Erdogan später für die Wiedereinführung ausgesprochen. Insofern bleibt abzuwarten, welche Sanktionen die Putschisten zu befürchten haben und ob Erdogan die Todesstrafe nach dem Putschversuch per Gesetz wieder reaktivieren wird. Das letzte Todesurteil wurde in der Türkei im Jahr 1984 vollstreckt.

Auch der amtierende Armeechef Ümit Dündar drohte den Gegnern der Regierung in den Streitkräften mit harter Vergeltung. Dündar war von der Regierung als kommissarischer Generalstabschef eingesetzt worden, nachdem Putschisten Armeechef Hulusi Akar vorübergehend in ihre Gewalt gebracht hatten. Erdogan machte die Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Umsturzversuch verantwortlich. Gülen wies die Anschuldigung jedoch vehement zurück und verurteilte den Putschversuch.

Fast 3000 Richter nach Putschversuch abgesetzt
Nicht nur die Armee wird nun offenbar "gesäubert", wie Präsident Erdogan angekündigt hat. Samstagnachmittag wurde bekannt, dass 2745 Richter nach dem Putschversuch abgesetzt wurden. Zudem seien fünf Mitglieder des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte in Ankara vom Dienst entbunden, meldete die Agentur Anadolu am Samstag. Gegen sie liefen Ermittlungen.

Auch zehn Staatsratsmitglieder befinden sich nach der Nachrichtenagentur Anadolu in Haft. Ihnen werde Unterstützung des Putsches vorgeworfen. Ob es sich bei den Festgenommenen um Richter oder Staatsanwälte handelte, war zunächst unklar. Der Staatsrat ist eines der obersten Gerichte in der Türkei.

Merkel fordert rechtsstaatlichen Umgang mit Putschisten
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Putschversuch in der Türkei scharf verurteilt und ein Ende des Blutvergießens gefordert. Zugleich rief sie die türkische Regierung zu einem rechtsstaatlichen Umgang mit den Putschisten auf. "Uns leitet die Solidarität mit allen politischen Kräften in Regierung und Opposition, die sich genau diesen Werten verpflichtet fühlen", sagte Merkel am Samstag in Berlin. "Gerade im Umgang mit den Verantwortlichen für die tragischen Ereignisse der letzten Nacht sollte sich der Rechtsstaat beweisen."

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