Verfrühte Hoffnung

Migration aus Afrika: Es wird noch ärger werden!

Ausland
02.09.2017 07:15

Rückgang bei den Zahlen von Migranten, die übers Mittelmeer kommen? Vorsicht, verfrühte Hoffnung! Das Bundesheer erstellte in der "Österreichischen Militärischen Zeitschrift" eine brillante Sicherheitsanalyse über die Sahelzone. Düsterer Tenor: Es wird noch ärger werden - durch die Verknappung der Lebensgrundlagen, der Bevölkerungsexplosion und den religiösen Extremismus.

Als ich 2008 den Bundesheereinsatz im Sahel-Staat Tschad besuchte, gingen wir im Kontakt mit lokalen Autoritäten der Frage nach, warum sich dort Stämme und Stämme, Dörfer und Dörfer bekriegten. Die Antwort lieferte allein schon die Fahrt durch die Halbwüste im Raum von Abéché: Einheimische sammelten das letzte verdorrte Buschwerk als Heizmaterial zum Kochen und als Futterersatz für das völlig abgemagerte Vieh. Ohne Holz kein Essen! Es sind Überlebenskleinkriege, die dort geführt werden.

Ich formulierte danach die Schlagzeile von der drohenden Völkerwanderung aus Afrika. Völlig übertrieben, hieß es damals. In Europa konnte man es auch nicht wahrnehmen, denn Libyens Gadafi hielt (gegen Bezahlung) die Massen brutal zurück. Lastwagenweise wurden sie in die wirkliche Voll-Wüste zurücktransportiert und dort zum Verdursten abgeladen. Die Sanddünen ziehen über die Leichen hinweg.

Düsterer Tenor des Autorenteams: Es wird noch ärger!
Mit dem Sturz Gadafis und dem folgenden Chaos kam die Stunde der Wahrheit. Soeben hat das Bundesheer in der "Österreichischen Militärischen Zeitschrift" eine brillante Sicherheitsanalyse über die Sahelzone erstellt. Düsterer Tenor des Autorenteams Kußerow/Meineken/Scholik: Es wird noch ärger!

Drei Faktoren gemeinsam machen die Entwicklung bis auf Weiteres kaum noch kontrollierbar: Verknappung der Lebensgrundlagen, Bevölkerungsexplosion und religiöser Extremismus.

Die Sahelzone (Süd-Sahara) ist etwa doppelt so groß wie Europa und umfasst heute 130 Millionen Menschen. Sie hat die weltweit höchste Geburtenrate, während der Hauptenergieträger Holz schwindet und sich die Menschen andere Energieträger nicht leisten können. (Die Autoren empfehlen Gaslieferungen.) Die Hälfte der Bevölkerung hat noch keinen Zugang zu Elektrizität.

Hochsubventionierte EU-Agrarexporte
Kritisch merkt das Autorenteam die Handelspraktiken von EU und USA gegenüber Afrika an. Der Export hochsubventionierter agrarischer Überschussgüter zerstört die einheimische Landwirtschaft: also Landflucht in die molochartigen Städte. (Das Ausmaß der Agrarsubventionen übertrifft zuweilen die Entwicklungshilfe.) Zitat: "Die europäischen Agrarexporte mit billigen Hähnchenflügeln, subventioniertem Milchpulver und Gemüsekonserven überschwemmen die afrikanischen Märkte und bringen einheimische Bauern um ihre Existenz."

Nächster Katastrophenpunkt ist das enorme Bildungsdefizit, das sich auch nicht rasch lösen lässt. Die Sahelstaaten haben die höchste Analphabetenrate der Welt von 16 Prozent im Tschad bis 45 Prozent im Sudan.

Alles wird noch weiter verschärft durch den Vormarsch fundamentalistischer und/oder gewalttätiger Tendenzen im Islam. Zitat: "Der Salafismus ist in Afrika die am schnellsten wachsende islamische Denkschule. Hauptursachen sind die andauernde wirtschaftliche Krise und das Scheitern der afrikanischen Eliten." In diesem Klima hat auch eine Geburtenkontrolle keine Chance.

Sicherheitspolitische Schlussfolgerungen
Zitat: "Europa bis zum Ural hatte 2015 etwa 140 Millionen Menschen unter 18 Jahren. Für 2050 rechnet man mit nur noch 130 Millionen. Gesamt-Afrika hat heute 540 Millionen unter 18, und für 2050 rechnet man mit 1000 Millionen Menschen gleichen Alters." Derzeitige Strukturen können das nicht bewältigen. Es ist der Weg zu den "failing states" (zerbröselnden, zerfallenden Staaten), die - Zitat - weder die innerstaatliche Ordnung aufrechterhalten noch Sicherheit der Grenzräume gewährleisten können. Es ist der Weg zur Ausweitung bestehender und zum Entstehen neuer Konflikte.

Zitat: "Es ist zu erwarten, dass Migrationsströme insgesamt nicht zuletzt nach Europa weiter stark zunehmen" ... Es ergibt sich ein düsteres Bild für die nächsten beiden Jahrzehnte ...

Flüchtlingsströme könnten auf mehrere Millionen anwachsen und würden primär besonders für den südlichen europäischen Raum, in der Folge aber für alle Staaten der EU eine Herausforderung und eine potenzielle Destabilisierung bislang ungekannten Ausmaßes darstellen.

Altes Europa verliert Afrika an China
Eine aufstrebende Macht, die sich von den Horrorstatistiken nicht beeindrucken lässt, ist China. Das Reich der Mitte ist auf dem Sprung, die alten europäischen Kolonialmächte als Afrikas wichtigsten Wirtschaftspartner zu überholen, und im Gegensatz zu diesen fragt es nicht nach Menschenrechten.

Diesen Griff auf Afrikas Rohstoffe lässt sich China Milliarden-Investitionen in den Aufbau einer afrikanischen Infrastruktur kosten, etwa die neuen Eisenbahnlinien Djibuti-Addis Abeba oder Mombasa-Nairobi; gewiss aus Eigennutz, aber doch viel mehr. China vergibt jährlich auch Tausende Stipendien an afrikanische Studenten.

Kurt Seinitz, Kronen Zeitung

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