Erster Warnschuss
G20-Proteste: “Schneise der Verwüstung” in Hamburg
In Hamburg sind am Freitag die bereits seit Tagen andauernden Proteste gegen den G20-Gipfel erneut eskaliert. Die linksextreme Szene hatte "die Hölle" angekündigt - und Wort gehalten. Am Abend gab ein Polizist sogar einen Warnschuss ab. Der Beamte sei zuvor "massiv von Gewalttätern angegriffen" worden, teilte die Polizei mit. In der Nacht beruhigte sich die Lage zwar etwas, doch die "Schneise der Verwüstung", die die Randalierer durch Teile der Stadt zogen, schockiert nicht nur Innensenator Andy Grote.
Nach einer Nacht der brennenden Autos und Barrikaden herrschte in der Hansestadt am Freitag und in der Nacht auf Samstag weiter der Ausnahmezustand. Längst geht es nicht mehr um Sachbeschädigungen und Flaschenwürfe. Die Polizei meldet Attacken mit Eisenstangen und Molotowcocktails, außerdem Verletzte durch Steinschleudern. Auch Geschäfte wurden von vermummten Randalieren geplündert.
Angesichts der Szenen von nackter Gewalt und Zerstörungswut zeigte sich auch Innensenator Andy Grote (SPD) entgeistert. Straftäter hätten "eine Schneise der Verwüstung" durch Teile der Stadt gezogen. "Das Maß an krimineller Energie und Gewalttätigkeit muss uns erschrecken." Von einer Überforderung der Einsatzkräfte aber wollte er am Freitag nichts hören. "Wir haben die Lage unter Kontrolle", sagt der Senator.
Anrainer verjagen Randalierer
Auf der Flucht vor der Polizei, die kurz vor Mitternacht im Schanzenviertel gegen den Schwarzen Block vorging, versuchten viele Randalierer so viel Zerstörung wie nur möglich anzurichten. Dabei trafen sie immer wieder auf wütende Anrainer, die sie erfolgreich verjagten.
Gegen zwei Uhr der erste Lichtblick: Wie die Polizei Hamburg twitterte, kehrt langsam Ruhe ein.
Neben dem U-Bahnhof Schlump, der wegen eines Einsatzes kurzzeitig gesperrt war, wurden auch ein Großteil der Straße Schulterblatt, auf der die Gefährdung laut Polizei erheblich gewesen ist, wieder geräumt freigegeben.
Knapp 200 Polizisten verletzt
Mehr als ein Jahr lang hatten sich die Sicherheitskräfte Hamburgs akribisch auf den größten Einsatz ihrer Geschichte vorbereitet. Am Ende aber reichte all das nicht aus. Bislang wurden 197 Polizisten verletzt - seitens der Polizei Berlin ist von "widerlichen Angriffen" die Rede, die "nichts mit Meinungsfreiheit zu tun" hätten. Auf Twitter teilte die Polizei Hamburg ein Foto eines verletzten Polizisten.
Demonstranten: "Ganz Hamburg hasst die Polizei"
Bei einer Versammlung auf der Reeperbahn waren zahlreiche vermummte Demonstranten anwesend. Durch einen Lautsprecher riefen sie Parolen wie "Ganz Hamburg hasst die Polizei" und attackierten teilweise Polizisten mit Wurfgegenständen. Ein Beamter erlitt dabei einen Unterschenkelbruch.
Freitagabend kam es außerdem zu einer Warnschussabgabe durch einen Polizisten - er bemerkte zwei Männer, die auf einen am Boden liegenden Mann einschlugen und eintraten. Der zivile Beamte gab sich als Polizeibeamter zu erkennen und forderte die Männer zum Aufhören auf. In Nothilfe gab er einen Warnschuss ab. Er und der Verletzte konnten sich in einen Kiosk retten, den Tätern gelang die Flucht.
Zur Zahl der verletzten Demonstranten konnten bisher weder Polizei noch Feuerwehr Angaben machen. Am Samstagvormittag wird ein Statement der Polizei Hamburg erwartet, in dem auch eine aktualisierte Zahl der getätigten Festnahmen veröffentlicht werden soll.
G20-Ermittlungsausschuss gibt Polizei die Schuld
Schuld an den brutalen Auseinandersetzungen sei die Polizei - so sieht das zumindest der G20-Ermittlungsausschuss, der in Kontakt mit den Demonstranten steht. In einer Pressemitteilung der selbsternannten "Antirepressionsstruktur" heißt es: "Wieder einmal zeigen die Hamburger Behörden, dass sie Freiheitsrechte mit Füßen treten, wenn es politisch opportun ist." Die angestaute Wut über das Vorgehen der Polizei habe sich in vielfältigen militanten Aktionen der Demonstranten und in Auseinandersetzungen mit den Einsatzkräften entladen.
Hamburger Polizei fodert Verstärkung aus Bundesländern an
Bereits vor dem Gipfel waren 19.000 Beamte aus dem gesamten deutschen Bundesgebiet zusammengezogen worden. Auch aus anderen europäischen Ländern, darunter auch Österreich, reisten Polizisten an. Gereicht hat das nicht, um die Eskalationen zu verhindern. Am Freitagabend kam es im Stadtteil St. Pauli zu Ausschreitungen, die Polizei meldete "massiven Bewurf mit Gegenständen".
Während das permanente Dröhnen der Polizeihubschrauber die Luft erfüllte und Sitzblockaden von Gipfelgegnern den eng getakteten Zeitplan der G20-Delegationen durcheinanderwirbelten, forderte die Polizeiführung weitere Beamte aus anderen Bundesländern an. Hunderte Polizisten aus den Bundesländern wurden in die Hansestadt beordert.
Video: Polizei setzt Wasserwerfer ein
Tausende G20-Gegner versuchten zudem, zur abgesperrten Elbphilharmonie in Hamburg vorzudringen, wo sich am Abend die G20-Gipfelteilnehmer zu einem Konzert treffen wollten. In der Umgebung der Landungsbrücken etwa 1,7 Kilometer Fußweg von der Elbphilharmonie entfernt kam es zu Straßenschlachten. Die Polizei sprach von etwa 6000 Demonstranten. Es wurden erneut Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt.
Auch in den gesperrten S-Bahnhof Landungsbrücken drangen laut den Beamten am Freitag Randalierer ein und warfen Gegenstände auf die Schienen.
Elf Demonstranten schwer verletzt
Auf der Flucht vor der Polizei hatten sich am frühen Freitagmorgen elf Demonstranten schwer verletzt. Wie die Feuerwehr mitteilte, stürzten sie bei dem Versuch, mit einer größeren Gruppe in Hamburg-Bahrenfeld über eine Mauer mit Absperrgitter zu klettern, aus etwa vier Metern Höhe ab, weil das Absperrgitter unter der Last zusammenbrach.
Allerdings gab es auch friedliche Proteste
Indes verlaufen längst nicht alle Proteste in Hamburg gewaltsam. Die Stimmung bei den Straßenblockaden im Bereich der Alster, wo US-Präsident Donald Trump samt Gefolge wohnt, verlief am Freitag recht friedlich. Viele junge Leute nahmen daran teil. Sie wollten gegen den G20-Gipfel protestieren und ein Zeichen setzen. Gewalt gegen Polizisten allerdings lehnten sie ab, wie sie sagten.
Bewohner sehen massive Polizeipräsenz kritisch
Auch Anrainer des feineren Viertels wie der 53-jährige Benjamin Laub betonten den friedlichen Charakter der G20-Proteste dort. Wie viele andere Hamburger stimmte ihn in diesen Tagen zugleich die immense Präsenz von Einsatzkräften in sämtlichen Bereichen der Hansestadt nachdenklich. Er fange ein wenig an zu verstehen, wie sich ein Leben in einer "wirklichen Konfliktzone" anfühlen müsse.
Aber es sind wohl vor allem die Bilder von durch die nächtliche Stadt hetzenden Wasserwerfern und Polizeiketten, brennenden Autos, mit Holzplatten vernagelten Geschäften und durch die Straßen ziehenden Vermummtengruppen, die vom G20-Gipfel in Hamburg in Erinnerung bleiben werden. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die gewaltsamen Proteste. Sie habe jedes Verständnis für friedliche Proteste, sagte Merkel am Freitag in Hamburg. "Aber gewalttätige Demonstrationen bringen Menschenleben in Gefahr." Sie seien daher "nicht zu akzeptieren". Merkel dankte zudem den Sicherheitskräften für ihren Einsatz.
Aktivisten sprechen von "massiven Repressionen"
Österreichische Aktivisten, die in Hamburg vor Ort sind, kritisierten hingegen das Vorgehen der Behörden. Julianna Fehlinger von der NGO Attac Österreich tadelte das Verhalten der Exekutive im APA-Gespräch als "überzogen". Die Polizei habe in den vergangenen Wochen "massiv mit Repressionen gearbeitet", erklärte sie etwa bezüglich der Räumung der Zeltplätze.
Die Abriegelung der Innenstadt sei außerdem eine Provokation seitens der Polizei, die unverhältnismäßige Sicherheitsvorstellungen umsetze und gewaltbereiten Protest befeuere. "Demokratiepolitisch ist das problematisch", so Fehlinger. "Uns ist es ein zentrales Anliegen, dass niemand zu Schaden kommt. Daher rufen wir zum zivilen Ungehorsam auf, von dem keine Gewalt ausgeht."
Hamburgs Polizeipräsident verteidigt Einsatz
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Meyer verteidigte am Freitagnachmittag den Einsatz bei der "Welcome to Hell"-Demonstration vom Donnerstag, bei dem es zu regelrechten Straßenschlachten gekommen war. Er sei sich "absolut sicher", dass der Einsatz verhältnismäßig gewesen sei, sagte er. Nach Angaben Meyers wurden einige Beamten mit Steinschleudern erheblich verletzt. Diese blinde Gewalt habe nichts mit dem Versammlungsrecht zu tun. Der Polizeipräsident rechnete mit weiteren gewaltsamen Protesten. "Was uns überrascht hat, ist, dass man mitten in einem Wohngebiet völlig sinnlose Gewalt gegen jegliche Sache - ob Fahrzeug oder Fensterscheibe - ausgeübt hat", sagte er mit Blick auf den Stadtteil Altona.
WEGA-Beamter durch Steinwurf verletzt
Auch die Wiener Spezialeinheit WEGA steht den Hamburger Kollegen zur Seite. Mit 75 Mann sei man im Dauereinsatz, so WEGA-Chef Ernst Albrecht zur "Krone": "Ein Alarmspruch jagt den nächsten." In der Nacht auf Freitag waren die österreichischen Polizeibeamten bei der Räumung des Schanzenviertels eingesetzt. "Die Gegenwehr war enorm. Es wurden unter anderem Steine auf uns geworfen. Ein Kollege wurde dabei verletzt - allerdings nichts Schwerwiegendes", so Albrecht.
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