"Krone"-Interview

Kreator: “Metal ist eine junge Musik”

Musik
29.06.2017 12:23

Mit ihrem aktuellen Album "Gods Of Violence" stießen Kreator in den deutschen Albumcharts ganz noch oben und haben Thrash Metal damit salonfähig gemacht. Im Zuge ihres gefeierten Auftritts beim Nova Rock nahm sich Frontmann Mille Petrozza etwas Zeit, um die erfolgreiche Karriere zu beleuchten, ohne den Fokus auf Gegenwart und Zukunft zu verlieren.

(Bild: kmm)

Jubelnde Massen, glasklarer Sound, schneidende Riffs, ausladende Pyrotechnikeffekte - beim diesjährigen Nova Rock wurde auch den letzten Zweiflern gewahr, dass die deutsche Thrash-Metal-Institution Kreator den Sprung aus der eigenen Genrebox geschafft hat. 1982 als Tyrant gegründet und via Tormentor 1984 zum jetzigen Namen kommend, gehörten Frontmann Mille Petrozza und Co. gemeinsam mit Sodom und Destruction zur ersten Welle des "Teutonic Thrash" - eine Stilrichtung, die anfangs stärker mit dem in Nordeuropa so populären Black Metal kokettierte, während amerikanische Kollegen wie Metallica, Exodus und Co. in eine andere (Sub)Richtung tendierten.

Identifikation mit der Jugend
Als Kreator Mitte der 80er-Jahre salonfähig wurden, war Frontmann Mille Petrozza noch nicht einmal volljährig. Dementsprechend kann er heute über Songtitel wie "Endless Pain", "Total Death" oder "Flag Of Hate" nostalgisch schmunzeln. "Den Song 'Pleasure To Kill' habe ich im Alter von 14 geschrieben", erzählt er im "Krone"-Interview, "er macht aber immer noch Spaß und ich kann mich noch heute zu 100 Prozent damit identifizieren. Der Trick dabei ist, solche alten Nummern immer wieder spannend zu interpretieren und zu erneuern. Ich würde denselben Text heute nicht mehr so schreiben, kann ihn aber mit meinem damaligen Ich im Geiste vollinhaltlich vertreten."

Wie kaum eine andere Musikrichtung stand der Metal in all seinen Ausformungen seit jeher für Provokation, Rebellion und Freiheit - und davon machten auch Kreator ausreichend Gebrauch. "Provokation aber nicht ob der Provokation willen", wirft Mille ein, "wenn jemand zum Beispiel mit Nazisymbolik spielt ist das keine Provokation, sondern reine Dummheit. Man muss vertreten, was man sagt und nicht nur des Effekts wegen aufmucken. Inszenierte Provokation ist einfach nur albern."

Schauen, nicht starren
Authentizität und Loyalität sind weitere Eckpfeiler einer globalen Gemeinschaft, die als einzige neben dem Schlagerbereich auch noch respektable Erlöse aus physischen Produkten lukriert. Die CD stirbt zwar auch im Metal einen schleichenden Tod, doch die Vinyl-Verkaufszahlen schnellen mit jeder neuen Statistik rasant in die Höhe. Da ist es nur logisch, dass Kreator ihre ersten vier Alben "Endless Pain", "Pleasure To Kill", "Terrible Certainty" und "Extreme Aggression", welche die Band in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre zu Topstars im Thrash-Bereich machten, mit allerlei Bonusmaterial neu auflegen. Für den reflektierten Sänger auch eine schöne Möglichkeit, einen seltenen Anflug von Nostalgie zu gewähren. "Zurückschauen ist schön, zurückstarren aber grauenhaft. Ab und zu können wir uns sehr gerne über die tollen Zeiten von damals unterhalten, aber dann kratzen wir bitte wieder die Kurve zur Gegenwart. Gerade im Metal wird Nostalgie sehr groß geschrieben, aber ohne Zeitmaschine wird es keinem möglich sein, noch einmal ein Konzert im Jahr 1980 zu besuchen."

Im Gegensatz zu vielen anderen Bands, leben Kreator erfolgreich in der Gegenwart-auch wenn der Beginn dieser Strähne mehr als 15 Jahre zurückliegt. 2001 veröffentlichten die Ruhrpott-Thrasher "Violent Revolution" und bauten den weiterführenden Erfolg auf drei relevante Eckpfeiler. Musikalisch fand man nach einem Jahr der Experimente wieder in die Spur der memorablen Riffs und exaltierten Rhythmen, der finnische Gitarrist Sami Yli-Sirniö brachte frisches Kompositionsblut in die Band und das bis dahin jahrelang dahinsiechende Thrash-Genre erlebte einen längst fälligen zweiten Frühling. Die folgenden vier Studioalben bekräftigten Kreators Platz am Genrethron. Die Chart-Platzierungen wurden besser, die Showeffekte größer und die Festivalslots immer später. "Das nächste Mal wollen wir auch beim Nova Rock im Dunkeln spielen", schmunzelt Mille. Wohlwissend, dass schon 2017 nur mehr wenig zu diesem Ziel fehlte.

Offenheit und Toleranz
Mit dem steigenden Erfolg gingen auch sanfte Stiladaptierungen einher. Schon "Phantom Antichrist" (2012) setzte verstärkt auf die Melodien des Heavy Metal, beim aktuellen Album "Gods Of Violence" hat sich das Quartett nicht nur noch deutlicher in die musikalische Welt der eigenen Inspirationsquellen gewagt, sondern auch ein Feature mit dem Schweizer Schlagersänger Dagobert integriert. Für Mille ist diese Veränderung eine natürliche Progression. "In einem Song von uns wollte ich Trauer verarbeiten und suchte deshalb nach jemandem, der ein schwarzromantisches Gedicht verfassen kann. Dagobert schickte mir seine Version innerhalb von zehn Minuten zurück - mittlerweile sind wir gute Freunde." Ausflüge außerhalb des Metalbereichs waren für den deklarierten Vielhörer schon immer Normalität. "In den 90er-Jahren habe ich etwas mit Tilo Wolff gemacht und schon das war ein Skandälchen in der Szene, weil ich damit die Hardliner brüskierte."

Die verkannten 90er-Jahre-Alben, auf denen Kreator mit beeindruckendem Selbstbewusstsein experimentierten und teilweise die Grenzen des Vorstellbaren überschritten, haben den "Test Of Time" hingegen überstanden und gelten heute als Kultwerke. "Die Leute wissen manchmal einfach nicht, was sie wollen", kann Mille darüber lachen, "mir hat unlängst der Sänger von Ghost gesagt, dass er die 'Renewal' wirklich gut fand. Ist doch schön, wenn die eigenen Werke geschätzt werden." 35 Jahre nach den ersten Gehversuchen befinden sich Kreator nun an der Spitze, erreichten mit dem neuen Album sogar Platz eins in den deutschen Albumcharts und schafften es in Österreich auf den respektablen vierten Rang. "Metal ist eine junge Musik. Als Musiker musst du darauf achten, dass die Musik wie von einem 17-Jährigen geschrieben wird und es nicht auffällt, dass man steil auf die 50 zugeht. Der Energieaustausch zwischen Band und Publikum ist nirgends so intensiv wie hier und auch wenn es oft herausfordernd ist, macht es mir immer noch so viel Spaß wie ganz am Anfang."

Zeitprobleme
Was den zahlreichen Fans noch zur völligen Glückseligkeit fehlt, wäre die schon öfters angedachte Tour der "Big Teutonic 4", der vier größten deutschen Thrash-Bands, bestehend aus Kreator, Sodom, Destruction und Tankard. "Wir versuchen immer wieder alles, aber es ist schwierig", gibt Mille unumwunden zu, "man muss aber auch sagen, dass es nicht so ist, dass wir ohne diese Tour nicht existieren könnten. Wir haben für dieses Jahr wieder einen Termin vorgeschlagen, dann gab es aber ein paar Absagen und langsam gebe ich den Gedanken auf, dass daraus wirklich noch etwas werden könnte. Mich interessiert diese Art von Nostalgie nicht zwingend, aber natürlich wäre so eine Tour für die Fans extrem cool." Kreator haben auch ohne ihre langjährigen Weggefährten große Pläne. "Für 2018 haben wir eine andere tolle Tour in petto - die Ideen gehen uns bestimmt nicht aus."

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