"Krone"-Interview

Jon Spencer: "Mein Leben dreht sich um Musik"

Musik
28.03.2016 17:00

Seit 25 Jahren sorgt die Jon Spencer Blues Explosion mit energetischen Liveshows zwischen Rock'n'Roll, Garage, Punk, Blues und Hip Hop für Aufregung im Underground. Im Zuge ihres Auftritts in der Wiener Arena trafen wir uns mit dem 50-jährigen Frontmann Jon Spencer, um mit ihm über die Lebenseinstellung Punk, die unerbittliche Liebe zu seiner Heimatstadt New York und das Drama der Globalisierung zu sprechen.

(Bild: kmm)

"Krone": Jon, euer Arena-Konzert hätte eigentlich schon im November 2015 stattfinden sollen…
Jon Spencer: Unser Gitarrist Judah Bauer hatte sich eine wirklich gemeine Infektion eingefangen und sogar Atemprobleme, also mussten wir die Tour damals kurzerhand absagen.

"Krone": In diesem Jahr feiern wir bereits 25 Jahre Jon Spencer Blues Explosion, allerdings kann man über diese Marke diskutieren, denn zwischen 2004 und 2012 wart ihr ziemlich inaktiv.
Spencer: Diese Zeitspanne erstreckt sich zwischen den beiden Alben "Damage" und "Meat + Bone", aber nur die Hälfte dieser Zeit haben wir wirklich gar nichts mit der Band gemacht. Natürlich war das trotzdem eine ziemlich lange Unterbrechung.

"Krone": Seid ihr euch so stark auf die Nerven gegangen? War der Abstand damals notwendig?
Spencer: Das ist die eine Art, dieses Thema zu analysieren. (lacht) In einer Band zu sein ist nicht immer leicht und jeder kennt es von privaten Beziehungen, dass man stark daran arbeiten muss. Manchmal ist es romantischer, manchmal steht es an der Kippe. Man muss viel Arbeit und Einsatz anwenden, um das gute Klima aufrecht zu erhalten. Wir sind wirklich schon lange zusammen und ein guter Grund, warum die Band noch heute lebt ist, dass wir ehrlich zueinander sagen konnten, dass wir eine Pause brauchten. Manchmal dauert so eine Pause eben auch länger und wir alle hatten in der Zwischenzeit unterschiedlichste Projekte laufen. Das war hilfreich, um die Vernunft zu bewahren. (lacht)

"Krone": "Meat + Bone" war 2012 ein durchaus starkes Comeback-Album…
Spencer: …nennen wir es bitte nicht "Comeback-Album". Wir haben nie gesagt, dass wir uns auflösen würden. Bands wie die Pixies oder LCD Soundsystem haben das so gemacht und sind dann wieder zurückgekehrt, wir haben tatsächlich nie ein Statement in diese Richtung rausgegeben. Wir haben irgendwann einfach wieder angefangen, miteinander zu schreiben und haben damit die Ruhephase durchbrochen. Wir haben nie aufgehört, also treffen Wörter wie "Comeback" oder "Reunion" nicht zu.

"Krone": Die zwei Alben, die ihr nach der längeren Pause geschrieben habt, klingen in gewisser Weise frischer, juveniler und vor allem eingängiger als eure älteren Werke. Siehst du das ähnlich? Habt ihr die experimentellere Phase bewusst verlassen?
Spencer: Dem stimme ich zu, gerade die letzten beiden sind sicher eingängiger geraten. Ob sie auch frischer und juveniler klingen, kann ich schwer beurteilen. Wenn die Leute das aber so sehen, dann freue ich mich darüber. (lacht) Es gab keinen bestimmten Plan, den Sound jetzt zu vereinfachen oder zu verändern. Wir haben zwar über ein Konzept gesprochen, aber am Ende haben wir Songs geschrieben und sie dann auf den Alben versammelt. Rückblickend ist "Meat + Bone" ein ziemlich rohes, stark an intensiven Rock'n'Roll angelehntes Album geworden. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass wir wieder sehr aufgeregt und erfreut darüber waren, zusammenzuspielen und zu touren. Das Album sollt eine wilde Attacke sein. (lacht) Unser neuestes Album, "Freedom Tower - No Wave Dance Party 2015" ist stärker auf einen guten Sound fokussiert und, wie der Titel schon sagt, mehr eine Tanzparty, als ein aggressiv angreifendes Rock-'n'-Roll-Werk.

"Krone": Der Albumtitel trennt sich eben in zwei Teile. Einerseits "Freedom Tower", der einstige Name des jetzigen One World Trade Centers in deiner Heimatstadt New York. Dort, wo vor fast 15 Jahren 9/11 geschah.
Spencer: "Freedom Tower" wurde der Turm zu der Zeit genannt, als noch kein Name offiziell war. Ich fand den temporären Namen für den Nachfolger der zerstörten Twin Towers einerseits gut gemeint, aber auch ein bisschen widerwärtig. Wir in der Band waren schon immer New Yorker, mit Leib und Seele. Wir haben die Anschläge live mitbekommen und ich war sehr verstört von den Kriegszuständen, den vielen Verschwörungstheorien, Falschinformationen und dem blinden Patriotismus, der seitdem herrscht. Der Name "Freedom Tower" fühlte sich für mich einfach falsch an, weil es nicht die Stimmung und Gesinnung der Amerikaner wiederspiegelte. Er ist heute aber ohnehin verschwunden. Als ich das Album fertiggestellt habe und bereits beim Mixing war fiel mir erst so richtig auf, dass sich fast alle Songs um New York City drehten. Meine Frau arbeitet als Verlegerin und ihre Firma ist in das One World Trade Center übersiedelt, wo sie glaub ich 30 Stockwerke belegen. (lacht) Sie war einfach nicht glücklich darüber, dort drinnen zu arbeiten, was ich auch verstehen kann. Da wurde mir dann endgültig bewusst, dass "Freedom Tower" der perfekte Titel für ein Album wäre, dass New York City 2015 wirklich in einer Phrase zusammenfasst.

"Krone": Das Album basiert hauptsächlich auf deiner Heimatstadt?
Spencer: Im Großen und Ganzen schon. Es handelt sich um Dinge, die wir gesehen, erlebt oder auch gelesen haben. Ich habe viele Biografien über Bands und Künstler und ihre eigenen Leben in New York City gelesen. Von den 60er-Jahren aufwärts. Die Stadt ist im Fernsehen und in der Literatur extrem groß, sie entwickelt bei den Menschen eine irrsinnige Vorstellungskraft und es gibt eben viele Arten, diese Stadt zu entdecken, zu erleben oder seine Fantasie dabei spielen zu lassen.

"Krone": New York City bestand noch vor wenigen Jahrzehnten fast nur aus Kriminalität und Unsicherheit - heute ist es eine unglaublich florierende Touristenstadt.
Spencer: In der Tat, ein Spielplatz für die Reichen. (lacht) Natürlich ärgert und frustriert mich die Lage dort manchmal. Ich vermisse meine Freunde, die die Stadt verlassen mussten, weil sie es sich einfach nicht mehr leisten konnten. Ich vermisse auch meine Buch- und Plattenläden, Konzertvenues, Bars und Restaurants, für die die Miete zu teuer wurde. Statt eines interessanten Indie-Buchgeschäfts hast du heute diese globalisierten Großfirmen, die sich überall breitmachen und jede Art von Eigenständigkeit zugrunde richten. Firmen wie Dunkin' Donuts eben. Am Traurigsten ist, dass New York City von Tag zu Tag immer stärker seine Identität verliert. Es ist einfach grauenhaft, dass ich von New York nach Columbus, Ohio oder von mir aus nach Wien fahre, und dieselben McDonald's, dieselben Starbucks und dieselben Ikeas sehe wie bei mir zuhause. Wir verlieren alle unsere Identitäten, das macht mich manchmal depressiv.

"Krone": Ist auf dem Album auch Kritik an der Globalisierung zu finden?
Spencer: Es gibt viele verschiedene Songs und Meinungen. (lacht) Jedenfalls ist das Album mit keiner Note ein Nostalgietrip oder eine Lamentation gegen die unveränderbaren Gegebenheiten. Das hat keinen Sinn. Natürlich geht das Album in gewisser Weise auch etwas zurück in der Zeit, aber es ist im Prinzip stark in der Gegenwart verwurzelt und soll die Vorstellungskraft des Hörers fördern.

"Krone": Der zweite Teil des Titels ist eben die "No Wave Dance Party 2015". Beziehst du dich auf die Musikrichtung No Wave, die Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre ein eher kurzes Leben hatte und in erster Linie von Brian Eno und Sonic Youth repräsentiert wurde?
Spencer: Oh nein, Brian Eno war nicht wirklich ein Teil der Szene. Er krachte in die bereits lebende Szene, fand das Ganze sehr interessant und ließ sich davon für sein Album "No New York" beeinflussen. Mein Verständnis ist aber das, dass er keine Verbindung zu der Szene und den Musikern hatte, sondern sich nur die Klänge für ein eigenes Album herauspickte. Er hat mit diesem Album aber sicher viele Leute auf die Szene aufmerksam gemacht. Für mich waren andere Künstler prägend wie Lydia Lunch, James Chance oder Arto Lindsay. Die Musiker haben alle unsere Band beeinflusst, aber eigen eine Brücke zu dieser Zeit und New York an sich zu schlagen, die Verbundenheit dazu zu bekräftigen. Wir wollen einfach an die von mir genannten Künstler erinnern, an die Großväter und Paten für unsere Bands. Diesen Künstlern wollten wir huldigen. Aber wir klingen natürlich nicht wie die Contortions oder Teenage Jesus And The Jerks. Möglicherweise mag der Albumtitel jetzt verwirrend klingen, aber das ist ja auch bei unserem Bandnamen so. (lacht)

"Krone": Die Jon Spencer Blues Explosion kennt jedenfalls wenig Stilgrenzen. Ihr bedient euch nicht nur beim Rock'n'Roll, sondern auch bei Punk, Garage, Blues und sogar Hip Hop. Wie würdest du denn die Essenz der Band erklären?
Spencer: Wir sind eine Rock-'n'-Roll-Band, ganz einfach ausgedrückt. Der Rock'n'Roll ist "Bastard-Musik" und das ist die beste Umschreibung für die Blues Explosion. Die wahre Essenz sind aber wir drei Mitglieder, dieser Kleber, der uns verbindet und zu einer Einheit macht. Unsere Beziehung ist das Besondere.

"Krone": Viele eurer Fans sind der Meinung, dass ihr in eurer Hochzeit, den 90er-Jahren, wesentlich berühmter hättet werden können, wärt ihr nicht oft zu experimentell an die Kompositionen rangegangen. Siehst du das rückblickend ähnlich?
Spencer: Auf keinen Fall. Der Grund, warum die Jon Spencer Blues Explosion überhaupt existiert, ist nicht, um damit Geld zu verdienen. Es ist schön, wenn es funktioniert, aber wir sind Freaks, eine Punkband und haben immer alles genau so gemacht, wie wir wollten. Die Musik, die Videos, die Touren - alles. Wir sind total frei und ehrlich zu uns selbst, wir haben uns zu keiner Sekunde etwas vorgelogen, um daraus einen Vorteil zu ziehen. Du brauchst ja nur bei uns reinhören - da steckt in keiner Note der Gedanke an Dollarzeichen.

"Krone": Es gab in den 90ern aber eine Phase, wo euch ein Majorlabel signen wollte.
Spencer: Hätten wir das gewollt, wären wir auch bei einem Majorlabel untergekommen, das ist korrekt. Wir hatten einige Angebote, aber mich hat das nie interessiert. Mein Interesse gilt der kreativen Freiheit, und wenn du mit großen Firmen wie Warner Brothers zusammenarbeitest, besteht immer die Gefahr, dass sie verhindern, dass du ein irres, total abgedrehtes Experimental-Album schreibst. Diese Freiheit wollten wir niemals aufgeben, wir wollten nie unsere Muse beiseitelegen, um etwas mehr Geld zu verdienen - das war immer der wichtigste Teil dieser Band. Versteh mich nicht falsch. Es ist toll, viele Alben zu verkaufen und irgendwann vielleicht einen goldenen Cadillac zu fahren, aber wir sind auf einer höheren Mission unterwegs. (lacht)

"Krone": Siehst und fühlst du diese Punk-Attitüde heute auch noch bei jüngeren Bands, oder verkaufen die sich oft viel zu schnell?
Spencer: Das weiß ich nicht. Was ist ein Majorlabel heute noch wert? Mir ist das total egal, ich war immer im Punkrock und dem Underground verhaftet. Wenn ich von Punkrock rede, dann rede ich von den Sex Pistols, den Ramones oder The Exploited, und nicht von einem bestimmten Sound. Es geht um eine Einstellung, um Freiheit und Verantwortung. Ich folge einfach einem bestimmten Pfad, einer Muse und mich interessiert die ganze Musikindustrie genauso wenig wie die Majorlabels. Mein Leben dreht sich um Songs und Sounds.

"Krone": Über all die Jahre habt ihr mit verschiedenen Künstlern wie den Beastie Boys, Beck oder Chuck D gearbeitet. Gab es auch mal musikalische Grenzen, die ihr nicht übertreten wolltet?
Spencer: Es gibt natürlich Genres, in denen ich nicht bewandert bin oder wo mein persönliches Interesse an Grenzen stößt, das ist ganz klar. Wir gehen aber nicht nach Schablone vor und genehmigen uns gewisse Ideen. Es gibt keine Formel, dass wir hier etwas Free Jazz und dort etwas Reggae einbauen. Wir sind einfach Musikliebhaber und Studenten der Musikhistorie - wir lassen uns von fast allem beeinflussen und haben ein großes offenes Ohr für unterschiedlichste Stilistiken. Es gibt jedenfalls keine Verbotsliste. (lacht) Bei uns passieren viele Songs aus einem brennenden Begehren heraus, aus einer Passion, die in uns manifestiert ist und die ich auch nicht genau erklären kann. Wenn in deinem Herzen etwas brennt und du diesem Feuer folgst, dann hast du keine Formeln oder Normen dafür. Es verläuft alles nach Instinkt.

"Krone": Und spürt ihr noch die gleiche Passion, dieselbe Leidenschaft wie früher? Ist nichts von diesem Feuer verlorengegangen?
Spencer: Es gibt wohl schon Unterschiede, wir sind mittlerweile alte Männer. (lacht) Ich kann mich schon nicht daran zurückerinnern, was vor fünf Jahren war, wie soll ich dann wissen, wie das vor 25 Jahren bei uns ausgesehen hat? Ich kann dir aber sagen, dass ich immer noch sehr passioniert an neuer Musik arbeite, unser neues Album liebe und vor allem nach wie vor die Liveauftritte genieße.

"Krone": Wie sieht es eigentlich mit deinem Nebenprojekt Heavy Trash aus? Bleibt dafür noch Zeit?
Spencer: Hie und da treten wir noch auf und wir werden Ende April/Anfang Mai eine kleine Tour in Holland, Belgien und Frankreich spielen. Ab und an treffen wir uns und ich liebe es, die Songs zu spielen. Die letzten Jahre war ich aber viel stärker auf die Blues Explosion fokussiert und ein neues Heavy Trash-Album ist zumindest derzeit noch nicht in Sicht.

"Krone": Deine allererste Band war von 1985 bis 1990 die Punk/Garage-Noise-Kombo Pussy Galore. Hast du dir schon mal überlegt, ob eine einmalige Reunion-Show oder ein Wiederaufleben dieser Zeit für dich von Interesse wäre?
Spencer: Nein, absolut nicht. Ich bin überhaupt kein nostalgischer Typ. Pussy Galore war ein sehr spezifisches Projekt. Wir hatten unseren Spaß und es ist damit auch erledigt.

"Krone": Hat jemand mit so einer Punk-Attitüde wie du eigentlich große Pläne mit seiner Band?
Spencer: Wir haben jetzt noch fünf Shows auf dieser Tour und dann ist der Plan für dieses Jahr vorerst erledigt. Wir müssen abwarten, wie Judah sich erholt. Weiter denke ich derzeit nicht vor. (lacht)

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