"Krone"-Interview

Sabine Oberhauser: “Der Tod ist näher gerückt”

Österreich
16.05.2015 16:51
100 Tage nach ihrer Krebsdiagnose ist die Gesundheitsministerin am Dienstag in die Politik zurückgekehrt. Mit Conny Bischofberger sprach Sabine Oberhauser (51) über die Krankheit, das Leben und den Tod.

Es ist, als würde ich sie schon lange kennen, als wir einander am Freitagmorgen das erste Mal begegnen. Sabine Oberhauser lacht, genau so wie auf dem Foto ihres Facebook-Profils. Dort postet die an Unterleibskrebs erkrankte Gesundheitsministerin jeden Morgen einen Wetterbericht. In der Sonne lesen ihre Fans Hoffnung, in den Wolken Leid. Jeder ihrer Kommentare hat umgehend Hunderte Likes.

"Krone": Frau Minister, Sie strahlen richtig. Wie geht es Ihnen?
Sabine Oberhauser: Gut. Es geht mir gut. Das Strahlen kostet mich die gleiche Anstrengung, wie wenn ich grantig und raunzig schauen würde. Ich bin jemand, der versucht, das Beste draus zu machen. Ich merke aber, dass ich nach der Operation und der vierten Chemotherapie deutlich müder bin. Vieles fällt mir schwerer, ist anstregender.

"Krone": Versinkt man in einen Abgrund, wenn man die Diagnose das erste Mal hört?
Oberhauser: Der Schreck war schon sehr groß. Ich hatte ja keine Ahnung... Am Samstag davor war ich noch beim Ärzte- und Regenbogenball, in der Nacht von Sonntag auf Montag bei der Superbowl-Party, weil ich auch ein American-Football-Fan bin. Da war die Welt noch völlig in Ordnung - und am Montagabend war sie es nicht mehr.

"Krone": Was ist an jenem 4. Februar passiert?
Oberhauser: Es war zwei Tage vor meinem alljährlichen Routinetermin bei der Gynäkologin, da habe ich etwas gespürt. Und da mein Mann Radiologe ist, hat er mir einen Befund gemacht. Ich habe dann Christoph Zielinski angerufen, mit dem ich seit vielen Jahren befreundet bin, und da kam alles rasch ins Laufen. Ich musste plötzlich lernen, von der Rolle der Ärztin in die Rolle der Patientin zu schlüpfen. Da passieren Dinge einfach. Jemand anderer schafft an und man lässt es mit sich machen. Das war der schwierigste Part für mich.

"Krone": Ahnt eine Ärztin eher, dass sie an Krebs erkrankt ist?
Oberhauser: Nein, überhaupt nicht.

Der kahl geschorene Kopf, die dunkle Brille, die ein wenig verloren in ihrem Gesicht sitzt, alles an Sabine Oberhauser signalisiert: Ja, ich habe Krebs. Auch ihre brüchige Stimme. Das viele Erbrechen in der Nachoperationaphase hat ihre Stimmbänder beleidigt. Sie ist deswegen bei zwei Logopädinnen in Behandlung. Um eine der Übungen zu demonstrieren, hakt sie ihre zehn Finger ein und zieht sie auseinander. Die Stimme verändert sich, wird kräftiger. Derselbe Effekt tritt ein, wenn man an Gummiringerln zieht.

"Krone": Im Ministerrat sind Sie damals mit Glatze aufgetreten – selbst geschoren. Was sollte da die Botschaft sein?
Oberhauser: Das erste, was man mir gesagt hat, war: Zwei Wochen nach Beginn der Chemotherapie werden dir die Haare ausfallen! Ich erinnere mich, dass mir damals die Haare plötzlich weh getan haben... Nach dem Spaziergang mit meinem Hund, wenn ich die Haube runtergenommen habe, hatte ich büschelweise Haare in der Hand. Im Büro hab' ich zu meinen Mitarbeitern gesagt: Ihr seht's mich jetzt das letzte Mal mit meinen Haaren. Dann habe ich den Bartschneider meines Mannes genommen und mir die Haare abrasiert. Und zwei Fotos von mir gemacht: Vorher, nachher. Das hab' ich einer Freudin als SMS geschickt.

"Krone": Was hat sie geantwortet?
Oberhauser: Cool, Sinead O'Connor!

"Krone": Warum keine Perücke?
Oberhauser: Wir haben das diskutiert, meine Familie und meine Freunde. Alle haben gesagt: Nein! Ich war eigentlich auch selbst davon überzeugt. Nur meine Mutter war nicht sehr glücklich damit. Ich habe sie vor dem Ministerrat angerufen und ihr gesagt: "Ich sage dir gleich, du wirst mich morgen in der Zeitung ohne Haare sehen. Ich gehe mit Glatze!" Sie hat gesagt: "Muss das sein?" Darauf ich: "Ich hatte doch schon alle Frisuren dieser Welt. Das ist nichts als eine neue Frisur."

"Krone": Ist Ihnen mit Glatze nicht oft kalt?
Oberhauser: Doch, deshalb ziehe ich beim Spazierengehen gleich zwei Hauben an. (Lacht und streicht sich über den Kopf)

"Krone": Seit der Diagnose sind 100 Tage vergangen. Was hat sich in Ihrem Leben geändert?Oberhauser: Ich muss sehr mit meinen Kräften haushalten. "Ach, das mache ich schon" als Motto geht nicht mehr. Wenn man krank wird, fragt man sich natürlich auch: Hätte ich etwas anders machen wollen in meinem Leben? Die Antwort ist bei mir klar: Ich muss jetzt keine Weltreise machen, ich muss mir keinen neuen Mann suchen, ich habe mein Leben tatsächlich so gelebt, wie ich es leben wollte. Geändert hat sich nur das Tempo.

"Krone": Glauben Sie, dass seelische Befindlichkeiten ausschlaggebend dafür sein können, dass man Krebs bekommt?
Oberhauser: Ganz ehrlich, darüber habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht. Dafür bin ich viel zu sehr Schulmedizinerin. Ich frage nicht: Woher kommt der Krebs? Sondern ich sage mir: Jetzt ist er da, und ich muss den ungebetenen Gast dazu bringen, dass er auszieht.

"Krone": Die Opernsängerin Montserrat Caballé hat in einem Interview mit mir gesagt, dass sie ihrem Gehirntumor Wohnrecht gewährt hat. Bei Ihnen ist er unerwünscht?
Oberhauser: Ja, ich habe ihn faktisch delogiert. Die letzten Reste, die er übergelassen hat, wird die Chemotherapie hoffentlich noch wegputzen. Nein, Wohnrecht gibt's bei mir keines, der Krebs würde mich ja am Leben hindern.

"Krone": Als Ärztin haben Sie sicher berechnet, wie groß Ihre Heilungschancen sind, korrekt?Oberhauser: Sie sind gut. Aber die Statistik alleine hilft einem nicht weiter.

"Krone": Was ist ein typischer Satz, wenn Sie über den Krebs reden?
Oberhauser: "So ein Scheiß!"

"Krone": Hilft es eher, gegen den Krebs zu kämpfen oder sich damit abzufinden?
Oberhauser: Ich denke da pragmatisch. Ich finde mich damit ab, dass er da ist. Und hoffe, dass der Weg, den ich gehe, der richtige ist. Es ist übrigens ein sehr steiniger Weg... Den man aber auch lächelnd überwinden kann.

"Krone": Ihre Rückkehr in die Politik ist sehr umstritten. Es haben viele Tausende Menschen Krebs, bekommen aber nicht die gleiche Behandlung und verlieren durch den Krankenstand sogar oft noch den Job. Ist Ihnen das bewusst?
Oberhauser: Natürlich, denn ein Job einer Ministerin ist eben nicht mit einem normalen Anstellungsverhältnis vergleichbar. Es sind auch Menschen nicht vergleichbar. Viele Krebskranke kämpfen mit extremen Nebenwirkungen und können vielleicht gar nicht arbeiten. Was ich habe, ist eine sehr, sehr privilegierte Situation, ein Glück, das ich nicht hoch genug schätzen kann.

"Krone": Haben Sie nicht daran gedacht, sich zurückzuziehen?
Oberhauser: Nein. Auch Barbara Prammer hat ihren Job weitergemacht und ich weiß, wie gut es ihr getan hat. Rückzug wäre auch nicht gegangen, da hätte ich schon zurücktreten müssen und dafür war mir die Arbeit und die Aufgabe einfach viel zu wertvoll.

Die 51-Jährige rührt in einem Schwarztee, in dem sie Stevia aufgelöst hat. "Kaffee geht im Moment gar nicht", seufzt sie. Auf dem Tisch steht ein kleiner Buddha, der den Hut hoch hält. "Ich sammle Buddhas", lächn den letzten Wochen und Monaten bekommen habe." Abgesehen von den vielen Glatzen-Selfies, die ihr vor allem Frauen gemailt haben.

"Krone": Sicher gab es auch Momente der Verzweiflung. Was haben Sie da durchgemacht?
Oberhauser: Es gab Phasen, wo man einfach Angst hat, wo man zweifelt: Wird das gut? Pack' ich das? Kann ich das? Und wo man keine Antworten bekommt. Kein Mensch kann dir sagen, ob es gut ausgehen wird. Es gibt Wahrscheinlichkeiten. Trotzdem überlegt man sich: Überlebe ich das? Sehe ich meine Enkelkinder noch?

"Krone": Denken Sie jetzt öfter über den Tod nach?
Oberhauser: Das weiß ich nicht (überlegt). Der Tod ist sicher näher gerückt. Greifbarer geworden. Manchmal fallen mir die Jugendlichen von den Roten Falken ein, die bei Begräbnissen Totenwache halten. Solche Gedanken kommen schon.

Sabine Oberhauser kämpft mit den Tränen. Ihre Hände greifen zum kleinen Herz, das sie als Anhänger um den Hals trägt. Ihre Tochter hat es ihr geschenkt. Man kann es aufmachen, darin ist ein Zettel, auf dem steht: Alles wird gut!

"Krone": Die Krankheit hat Sie zum Darling der Facebook-Community gemacht. War das eine Art von Therapie für Sie?
Oberhauser: Meinen Wetterbericht gibt es ja schon fast ein Jahr. Das war für mich während der Krankheit eine starke Motivation, in der Früh mit meinem Hund hinauszugehen. Weil: Der Wetterbericht gehört gemacht! Was mir sehr, sehr viel gegeben hat, waren die Reaktionen, die gekommen sind. Plötzlich haben alle Wetterberichte für mich gepostet! Das war sehr berührend, eine Riesenunterstützung. Von vielen Menschen, verschiedenster Religionen, kamen Nachrichten, dass sie beten für mich, dass sie Kerzen anzünden in den verschiedenen Kirchen. Da wurde mir so unglaublich viel an Kraft und Energie geschickt, da kann ich nur zutiefst dankbar sein.

"Krone": Sind Sie selbst religiös?
Oberhauser: Ich bin nicht ungläubig... Ich denke, irgendwas wird es schon für alle geben, einen Gott, eine Göttin, wer weiß.

"Krone": Sind so viele Facebook-Freundschaften nicht auch furchtbar anstrengend?
Oberhauser:Doch, es zehrt an der Kraft. Aber auf der anderen Seite gibt es mir auch viel. Es hält sich auf jeden Fall die Waage.

"Krone": Gibt es auch Kritik an Ihrem offensiven Umgang mit der Krankheit?
Oberhauser: Ja, natürlich. Aber sie ist verschwindend klein im Vergleich zu den vielen Menschen, die es gut finden.

"Krone": Frau Minister, was wird 2023 sein?
Oberhauser: Da bin ich 60. Da werde ich schon Enkelkinder haben. Da bin ich sicher noch aktiv im politischen Leben.

"Krone": Und welches Signal werden Sie dann als Gesundheitsministerin gesetzt haben?
Oberhauser: Es soll weniger Bürokratie geben, damit die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, wieder näher an den Patienten sein können.

"Krone": Welchen Wunsch verbinden Sie mit diesem Interview?
Oberhauser: Dass man mich so nimmt, wie ich bin. Dass der Weg, den ich gehe, respektiert wird. Denn da ist kein Kalkül dahinter, keine Überlegung, ob es mir schadet oder nutzt. Es ist einfach nur mein Weg. Vielleicht macht er manchen Menschen Hoffnung, vielleicht bündeln wir auf Facebook unsere Kräfte im Kampf gegen die Krankheit, vielleicht ist geteiltes Leid halbes Leid. Das ist es, was ich vermitteln möchte: Dass man nicht allein ist, sondern dass es viele sind, denen es genau so geht, und dass man sich gemeinsam stützen kann.

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