Der zweite Nova-Rock-Tag war der musikalisch beste – das programmierte Highlight, Europas erstes richtiges Open-Air-Konzert von Linkin Park mit Sängerin Emily Armstrong, erwies sich aber als ambivalente Angelegenheit. Dafür zeigten sich ein Punk-Opa in Lederoptik und viele kleine Acts in Top-Form. Bereits fix: Für das Nova Rock 2026 wurden von Veranstalter Ewald Tatar Bring Me The Horizon und The Offspring vorgestellt.
Wenn das Nova Rock alljährlich seine Pforten öffnet, kommen die Menschen in Scharen und die Medien ergießen sich in Klischees. Das Bier ist zu teuer, die Sonne zu heiß, der Boden zu staubig und die Bands wären immer dieselben. Klischees zu reiten, macht sie jedenfalls nicht wahrer. Sieben Euro für die Halbe Bier ist nicht günstig, aber auch nicht unverschämt. Temperaturen unter 30 Grad wirken ungewohnt angenehm, durch den fehlenden Wind hält sich auch der herumfliegende Dreck in Grenzen und beim Personal auf den drei Bühnen ist der Frauenanteil so hoch, dass die ewigen Unkenrufer nach einer Quotenregelung bei Besetzungsgleichberechtigung schweigend innehalten müssen. Man kann das Nova Rock auch als willkommenen Partyhort für eskapistische Freuden sehen, und muss nicht zwingend immer die eigenen Vorurteile wiederkäuen, weil „es eh immer schon so war“.
Wiedergeburt statt Midlife-Crisis
Nach der Schweigeminute am Mittwoch folgte die verdiente Party am Donnerstag. Schon zur späten Mittagszeit füllten sich die Reihen vor der Red Stage, weil die US-amerikanischen Nu-Metal-Damen Kittie erstmals nach 15 Jahren wieder in Europa aufschlugen. Rund ums Millennium schwamm man im Fahrwasser von Limp Bizkit, Linkin Park und Co. an der Oberfläche des Genrewassers, irgendwann implodierte das Projekt. Nach Festivalanfragen folgte 2024 das Comebackalbum „Fire“. Das Schwesternduo Morgan Lee Lander (Gesang, Gitarre) und Mercedes Lander (Schlagzeug) rifft sich in der Sommersonne durch alte Hits und neue Preziosen. Dass nach ausgiebiger Zwischenpension nicht jeder Stockschlag ins Schwarze trifft und eine gewisse Hüftsteifheit erst rausgerockt werden muss, stört nicht. Kitties Rückkehr ist keine verzweifelte Midlife-Crisis-Ursache, sondern die Wiedergeburt eines familiären Spaßprojekts, das Ungezwungenheit aktiv nach außen trägt.
Für Fans härterer Klänge ist der zweite Nova-Tag ein einziges El Dorado. Wer zwischen wilden Metalgrätschen und dröhnenden Stromgitarren nicht weiß, ob er die Red, Blue oder Red Bull Stage wählen soll, bleibt am besten überfordert stehen und lässt sich an einem mittigen Ankerpunkt aus verschiedenen Richtungen beschallen. Rund geht’s schon sehr früh. Nothing Mores Frontmann Jonny Hawkins nützt den Bühnensteg für körperliche Ertüchtigung und lebt seinen Alternative Metalcore mit körperlicher Hingabe. Zeitgleich brüllt Jinjer-Frontfrau Tatiana Shmayluk mit derartig besessener Inbrunst über die pannonische Steppenfläche, dass es so manchem angst und bange wird. Gleichermaßen geschockt wie erfreut von dieser intensiven Performance schreiten viele Fans wieder auf die Blue Stage und erleben ein wankelmütiges Konzert des Internet-Hypes Poppy. Die Mitmusiker verstecken sich hinter Sturmmasken, während das zierliche Fräulein im weißen Kleid zu technoiden Beats und dissonanten Gitarren kreischt und sprachsingt. Was fehlt? Ein roter Faden, eine kongruente Soundlinie und etwas mehr Spielfreude.
Zufrieden im Moment
Drüben auf der Red Stage ist man derweil auf Legendenschau. Alice In Chains-Gitarrist Jerry Cantrell, der den Grunge zu einer Zeit revolutionierte, als ein Gros des Publikums noch nicht einmal eine Idee seiner Eltern war, stellt sein Soloalbum „I Want Blood“ vor und lässt natürlich alle großen Songs seiner wieder aktiven Kultband aus Seattle vom Stapel. Am Mikro steht der sonst von der Math-/Grindcore-Combo The Dillinger Escape Plan bekannte Greg Puciato, der sich im gemächlicheren Soundsegment nicht hetzen lässt und mit bewusster Statik agiert. So ganz springt der Funke nicht über, dafür fehlt es dem Treiben am nötigen Schwung. „Ich kann meine Songs mit guten Freunden und großartigen Musikern spielen“, erzählt Cantrell der „Krone“ nach seinem Auftritt, „ich habe in meiner Karriere schon so einige gute Songs geschrieben und genieße den Moment.“ Keine schlechte Einstellung zum Leben.
Die Red Bull Stage, liebgewonnener Untergrund für Jungtalente und Mainstream-ferne Acts, will an diesem Tag mit Härte glänzen. Das Duo House Of Protection, das sich aus dem Kokon des verblichenen Trios Fever 333 schälte, sorgt mit physischer Schwerarbeit für die schweißtreibendste Performance des Wochenendes. Deafheaven bringen direkt danach infernalen Black Metal über die Anwesenden und lassen sich vom Hipster-Hype treiben, das abschließende Trio Health würzt seine harschen Metalklänge mit ballernder Elektronik und einer filigranen, sanftmütigen Gesangsstimme, die Jake Duzsik gehört und einen intensiven Gegenpart zu den wild-galoppierenden Melodien bildet. Ein bisschen verloren ist auf der Hauptbühne Aaron Bruno mit seinem Projekt Awolnation. Die elektronisch-artifiziellen Pop-Songs mit Hardcore-Gesangseinlagen und Hawaii-Hemd-Feeling sind eine willkommene Abwechslung, werden vom Publikum aber nicht so angenommen, wie es der kalifornische Kreativkopf verdient hätte. Beim Top-Hit „Sail“ bricht vermehrt Jubel aus, abseits davon hat die Band eine Vielzahl an großartigen Songs, die sich bei einer Hallen-Einzelshow aber deutlich stärker entwickeln könnten.
Punk des Alters
Als „Headliner der Herzen“ geht ohnehin Punk-Urvater Iggy Pop über die Ziellinie. Mit stolzen 78 Jahren schleppt er seinen freigelegten, ledrigen Oberkörper über die Bühne und verzieht dabei – ganz seiner Person entsprechend - keine Miene. Die perfekt eingespielte Band wirkt durch die Bläsersektion noch wuchtiger, Songs wie „I Wanna Be Your Dog“ oder „Lust For Life“ sind von derart prägnanter Zeitlosigkeit, dass selbst die jüngsten Besucher andächtig und respektvoll Beifall klatschen. Iggy selbst keift in bester Kettenhund-Manier ein paar Unartigkeiten von der Bühne und wirft mit Mittelfingern um sich, während sich der Zuseherbereich mit jedem Song stärker anfüllt. Was für eine Performance, richtige „Raw Power“. Bei derart harter Konkurrenz so abzuliefern, ist ein mächtiges Statement. Wer es gemütlicher mag, darf sich ein paar hundert Meter weiter von Apocalyptica Metallica-Hits herbeifiedeln lassen. Beim Nova Rock ist alles möglich – eine schöne Sache.
Mit Rise Against und In Flames duellieren sich dann zwei alteingesessene Festival-Veteranen um die Gunst des Publikums – mit klarem Punktesieg für die Amerikaner rund um Tim McIllrath. Knapp zwei Monate vor Veröffentlichung des nächsten Studioalbums und nur vier Monate nach seiner Stadthallen-Show war das Kollektiv aus Chicago zum x-ten Mal im Burgenland, um politische Messages im flotten Punkrock-Korsett übers Gelände zu schicken. Keineswegs ruhiger ging es bei In Flames zu. Die Mischung aus metallisch-angehauchtem Pop und Melodic-Death-Metal funktioniert seit mehr als drei Dekaden sehr erfolgreich. Mittlerweile haben die Schweden auch ihr Budget aufgestockt und fahren mit einer ordentlichen Bühnenshow auf, die sich vor allem in leuchtenden Visuals und einer markanten Erhebung niederschlägt. Songs wie „Pinball Map“, „Great Deceiver“ oder der Klassiker „Only For The Weak“ bringen ausreichend Stimmung und wärmen bei mittlerweile kühlen Abendtemperaturen auf.
Ausladendes Showkonzept
Zum Headliner des Abends, ja, des Festivals, muss vor lauter Ansturm der Wavebreaker-Bereich gesperrt werden. Linkin Park waren Open Air in Europa bislang nur beim Champions-League-Finale im Münchner Allianz Stadion vorstellig, das Konzert beim Nova Rock ist also eine kontinentale Nagelprobe für die Band rund um die neu integrierte Sängerin Emily Armstrong. Dafür haben die Top-Stars auch eine mächtige Produktion angekarrt. Zwölf Trucks liefern das Equipment für ein Setting, das in dieser Art auch beim „Krone“-Konzert 2026 im Wiener Happel-Stadion für Furore sorgen soll. Linkin Park setzen auf Visuals und zwei überdimensionale Würfel, die mit LED-Wänden das Bühnentreiben grafisch unterstützen. Den extra angebrachten, ausladenden Steg nützen sie während ihres eineinhalbstündigen Sets dafür nur selten – dafür wirkt vor allem Armstrong zu schüchtern und unsicher.
Damit kommen wir auch schon zum markanten Punkt des Abends - der Sound ist anfangs reichlich dumpf und über die gesamte Strecke etwas zu leise. Dazu erstarrt Armstrong vor allem zu Beginn in sichtbarer Ehrfurcht und wirkt zuweilen unsicher. Die Frontmann-Qualitäten eines Chester Bennington lassen sich nicht so einfach heraufbeschwören, doch die ständigen Blicke auf den Teleprompter und das häufige Auslassen von Refrains nehmen der Show viel Drive. Die 39-Jährige ist vielleicht kein Fremdkörper, aber zumindest noch kein voll integriertes Glied in der musikalischen Bandkette. Man startet mit Klassikern wie „Somewhere I Belong“, „Crawling“ oder auch der beliebten neuen Single „The Emptiness Machine“ ins Set, der Großteil besteht aus ganz alten Klassikern oder Liedern des neuen Albums „From Zero“. Die in drei Akte gegliederte Show ist in der Theorie gut strukturiert, praktisch fehlt es an zwingenden Momenten, sowie an Charisma und Stimmgewalt, die man vom Vorgänger gewohnt war.
Sich etwas bei den Alten abschauen
Kreativkopf Mike Shinoda macht gute Miene zum verbesserungswürdigen Spiel, ist aber auch kein geborener Rockstar, der seine Fans mit Fingerschnippen zum Tanz bewegt. So stolpern und holpern die Amerikaner durch den Abend und scheitern ehrbar – Bühnensetting, Setlist und Gesamtkonzept sind in der Theorie ausgereift und gut, für die Umsetzung muss bei einer Band in dieser Größenordnung aber in allen Belangen mehr kommen. Charisma kann man sich nicht kaufen, aber wenn es fehlt, kann es durch Routine und Selbstsicherheit wettgemacht werden. Fast hatte man an diesem Abend das Gefühl, dass Emily Armstrong als neue Frontfrau unter der Last und der Schwere von Linkin Park und seiner Historie zusammenbrechen würde. Alles in allem eine lauwarme Angelegenheit, bei der noch an vielen Schrauben gedreht werden kann. Die gute Dame kann sich in puncto Performanceleistung aber gerne noch etwas von Iggy Pop abschauen – an seiner Show zerschellten heute sämtliche Mitbewerber.
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