Gedämpfte Party zum Auftakt des Nova Rock Festivals. Der furchtbare Amoklauf in Graz wurde von Veranstalter Ewald Tatar mit einer Schweigeminute reflektiert, drumherum herrschte aber volles Leben und die Botschaft: „Wir lassen uns nicht unterkriegen“.
Nicht zu heiß, aber auch nicht kalt. Zum Auftakt der neuesten Auflage des Nova Rock Festivals herrschten am Mittwoch perfekte Festivaltemperaturen. Der Regen hat sich in den Wochen zuvor angenehm über die pannonische Steppe verteilt, sodass sich bei strahlendem Sonnenschein auch die Staubwüsten noch halbwegs in Grenzen hielten. Die klassischen vier Tage Eskapismus wurden dieses Mal – zumindest zum Auftakt – allerdings vom grausamen Amoklauf in einer Grazer Schule überschattet. Veranstalter Ewald Tatar verkündete bereits am Dienstag, den verstorbenen Opfern mit einer Gedenkminute zu ehren. Er hielt vor dem Headliner Korn eine kurze Ansprache und ließ auf dem gesamten Gelände den Strom abschalten. Keine Musik, kein Vergnügungspark, wenig Licht – nur andächtige Stille und kurzes Gedenken. Eine würdevolle und dem Rahmen entsprechende Aktion, die bei den Fans vor der Blue Stage für ein Handy-Lichtermeer sorgte.
Bekanntes Gesicht im versteckten Mantel
Zusammenhalt wird bei den Nova Rockern aber ohnehin großgeschrieben. Man hilft sich auf, wenn man beim Moshpit fällt, man teilt sich das Bier, wenn die Schlange wird und man feiert gemeinsam seine Helden. Zum Festivalauftakt gibt es noch ein Light-Programm. Die neu gestaltete Red Stage darf sich noch ausruhen, der Lärm ertönt von der Hauptbühne und der einige hundert Meter entfernten Red Bull Stage, die sich über die letzten Jahre zu einem guten Untergrund für Nachwuchstalente und so manch bekanntes Gesicht erwies. Ein bekanntes Gesicht stand auch schon früh auf der Hauptbühne. Hinter dem selbst für Metal-Insider unscheinbaren Bandnamen Seven Hours After Violet verbirgt sich eine Allstar-Truppe aus diversen amerikanischen Metal- und Deathcore-Musikern, dessen berühmtester der System Of A Down-Bassist Shavo Odadjian ist. Für den Superstar ist das neue Projekt, das 2024 sein Debütalbum veröffentlichte, eine frische Spielwiese.
„Es fühlt sich so an wie früher bei System Of A Down, als wir angefangen haben“, lacht er im Gespräch mit der „Krone“, „anfangs mussten wir uns noch in die Festival-Billings hineinreklamieren, mittlerweile trudeln schon Angebote ein.“ Verstärkt wird seine Combo mit Musikern der Genre-Helden Winds Of Plague und Left To Suffer, am Viersaiter fällt Shavo genauso wenig auf wie bei seiner weltbekannten Hauptband. „Uns kenn noch kaum Leute. Es gab schon Konzerte, wo die Leute danach schmunzelten, dass ein Shavo-Look-A-Like auf der Bühne stehen würde, ohne zu wissen, dass ich es wirklich bin.“ Den Spaß und die Ungezwungenheit, die das Quintett im Gespräch vermitteln, kann es auch detailgetreu auf die Bühne projizieren. Wirklich neu ist das Soundgebräu zwar nicht, passt aber sehr gut ins amerikanische Line-Up des ersten Tages.
Grenzen überwinden
Aus diesem geografischen Segment scheren nur die mexikanischen Rock-Durchstarterinnen The Warning heraus. Die drei Villarreal-Vélez-Schwestern genossen im Familienhaus eine klassische Ausbildung, haben sich aber relativ schnell dem Rock’n’Roll verschrieben und feiern seither einen kometenhaften Aufstieg. Ihre Beteiligung an den „Blacklist“-Tapes von Metallica und ein Cover von „Enter Sandman“, das Kirk Hammett persönlich feierte, haben sehr viel dazu beigetragen, dazu überwinden sie gerne vorgefertigte Grenzen, indem sie etwa mit Popstar Halsey zusammenarbeiteten. „Wir genießen die Konzerte in Europa sehr“, erklärt Drummerin und Band-Sprachrohr Paulina im Gespräch, „wo wir hinkommen werden wir umjubelt empfangen.“ Der Hype zieht sich auch übers Nova-Rock-Gelände. Die Fans freuen sich über ihr Festivaldebüt in Nickelsdorf und feiern kräftig.
Wesentlich härter gehen dann die nächsten zwei Bands über die Bühne. Das US-Hardcore-Kollektiv Knocked Loose macht inhaltlich und klanglich nicht so viel anders als viele Mitbewerber, schafft es aber dennoch, auf jeder Tourstation einen Flächenbrand zu hinterlassen. Frontmann Bryan Garris sieht aus wie Liam Gallaghers Neffe und könnte mit einem schicken Hemd auch als erstsemestriger WU-Student durchgehen, wenn sich sein schrilles Organ aber mit den brettharten Breakdowns der Bandkollegen paart, öffnen sich Höllenschlunde. Da segeln die Körper über die ersten Publikumsreihen und die Ungezwungenheit feiert fröhliche Urständ. The Ghost Inside haben sich musikalisch in den letzten Jahren der Suche nach Trost verschrieben. Vor knapp zehn Jahren verlor der Schlagzeuger der Band bei einem Busunfall ein Bein, zwei weitere Insassen ihr Leben. Seitdem ist alles anders, aber die Kraft der Musik unentwegt vorhanden. Musikalisch ist der Metalcore eher von der Stange, die Geschichte hinter der Band passt mit der sympathischen Ausstrahlung dann doch zur Melancholie des Abends.
Ein Moment des Innehaltens
Nachdem die im oberen Popularitätssegment anzusiedelnden Spiritbox mit ihrer Mischung aus Metal und Alternative Rock etwas vom Gaspedal gehen, verwandelt sich das Nova Rock zur geplanten Schweigeminute zu einem rund 40.000 Personen schweren Solidaritätsakt mit den Opfern von Graz. Veranstalter Ewald Tatar leitet mit einer Ansprache ein und bittet zum gemeinschaftlichen Innehalten. „Der Schmerz über den gestrigen, unfassbaren Amoklauf in Graz sitzt noch bei uns allen sehr tief. Als Nova Rock wollen jetzt wir gemeinsam ein ganz wichtiges Zeichen hinausschicken. Als Gedenken an die Opfer und deren Familien wollen wir jetzt alle gemeinsam mit einer Schweigeminute innehalten.“ Das Gelände ließ sich zwar nicht ganz so extrem verdunkeln wie geplant, der ruhige Moment erwies sich aber als würdig und dem Rahmen entsprechend. Sehr diszipliniert auch die Besucher – man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Den würdigen Abschluss lieferten auf der Blue Stage die Nu-Metal-Heroen Korn, längst erprobte Österreich-Stammgäste, die erst vergangenen Sommer die Wiener MetaStadt bis auf den letzten Platz füllten. Passend auch, weil Frontmann Jonathan Davis und Co. seit jeher über die dunklen Seiten des Lebens singen und mit Themen wie Mental Health, Mobbing oder psychischen Problemen perfekt in das düstere Korsett des Abends passten. Songs wie „Blind“, „Here To Stay“ oder „A.D.I.D.A.S.“ haben über die Jahre nichts von ihrer Magie verloren und angesichts der Weltlage braucht man die im harten Klangkorsett steckenden tröstenden Worte der Band mehr denn je. Heavy Metal kann und soll auch Seelentrost sein. Heute geht es mit u.a. Linkin Park, Iggy Pop, Awolnation oder der englischen Black-Metal-Schmiede Cradle Of Filth munter weiter.
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