Kompromisspapier
Beitrittsrunde der EU mit der Türkei erst im Oktober?
Spindelegger sagte, er spreche auch für Deutschland und die Niederlande. "Unser Vorschlag ist, dass wir einen Bewährungszeitraum brauchen, in dem man sieht, dass es die Türkei ernst meint mit Grundrechten, und dann kann man eine solche Kapiteleröffnung vorsehen", sagte Spindelegger. Die Bewährungsphase sollte demnach bis zum Herbst dauern. Vorher mache eine Fortsetzung der Beitrittsgespräche "keinen Sinn", weil die Demonstrationen in der Türkei andauern.
Beitrittskonferenz erst im Oktober?
Wie EU-Diplomaten erläuterten, sieht der deutsche Kompromissvorschlag vor, dass die Mitgliedsstaaten der Eröffnung des neuen Verhandlungskapitels Regionalpolitik zwar grundsätzlich zustimmen. Die Beitrittskonferenz darüber solle aber nicht am Mittwoch, sondern erst nach dem nächsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission zur Türkei im Oktober stattfinden. Der Vorschlag liege nunmehr bei der irischen EU-Ratspräsidentschaft zur Begutachtung, jeder Schritt in EU-Beitrittsgesprächen muss einstimmig beschlossen werden.
Bis zum Herbst soll laut Spindelegger in der Türkei beobachtet werden, "dass tatsächlich mit Menschenrechten, Demonstrationsrechten und freier Meinungsäußerung so vorgegangen wird, wie wir in Europa das verstehen". Es sei wichtig, dass die EU zeige: "Wir sind eine Wertegemeinschaft", so Spindelegger. "Wir können doch nicht bei anderen Ländern wie in Ägypten ständig unseren Finger in die Wunde legen, aber dann, wenn es um ein Kandidatenland geht, nicht."
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hatte Montag früh noch gesagt, Berlin suche weiter eine Lösung mit Ankara. Er sei in Kontakt mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu. In diplomatischen Kreisen hieß es, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel fahre eine härtere Linie gegenüber der Türkei als Westerwelle.
Deutschlands Veto empört die Türkei
Bei vorbereitenden Beratungen der EU-Diplomaten am vergangenen Donnerstag hatte Berlin ein Veto gegen die geplante Eröffnung des Verhandlungskapitels Regionalpolitik eingelegt. Es war das erste Mal, dass das größte EU-Mitgliedsland in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf die Bremse gestiegen ist. Ankara reagierte empört und warf der deutschen Kanzlerin Merkel vor, mit Blick auf die Bundestagswahl im September zu agieren.
Türkischen Medienberichten zufolge bereitet Ankara eine scharfe Reaktion auf ein mögliches Platzen der Beitrittskonferenz am Mittwoch vor. So könnte die Türkei ihrerseits die Beitrittsverhandlungen auf Eis legen oder den EU-Botschafter aus Brüssel abberufen. Der türkische Europaminister Egemen Bagis sagte am Montag der "Südddeutschen Zeitung" in diesem Zusammenhang: "Nur so viel: Die Türkei hat auch noch andere Optionen."
Vor diesem Hintergrund warnten mehrere EU-Chefdiplomaten vor einer Verhärtung der Beziehungen mit Ankara. "Wir lassen uns nicht von kurzfristigen Ereignissen leiten", sagte Schwedens Außenminister Carl Bildt. Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn betonte, dass die EU den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen dürfe - gerade um der regierungskritischen Demonstranten willen. "Millionen Menschen in der Türkei hoffen, dass aus der EU weiter Druck gemacht wird." Ähnlich äußerte sich auch der belgische Chefdiplomat Didier Reynders, der dafür plädierte, die Bedenken der EU im Rahmen der Beitrittsgespräche zu thematisieren.
FP-Mölzer feiert "De-facto-Abbruch"
Die FPÖ feierte unterdessen bereits den "De-facto-Abbruch" der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. "Wir haben den EU-Beitritt der Türkei verhindert", erklärte der freiheitliche Europaabgeordnete Andreas Mölzer. Die jüngste Blockade in den Beitrittsgesprächen sei "vor allem der konsequenten und hartnäckigen Politik der patriotischen Parteien und Bewegungen Europas zu verdanken".
Erst ein Verhandlungskapitel erledigt
Die Europäische Union hat im Jahr 2005 formelle Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen. Erst eines von 35 Verhandlungskapiteln konnte vorläufig abgeschlossen werden – unter der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2006. Wegen des Zypern-Konflikts liegen mehrere Kapitel auf Eis, das letzte wurde im Jahr 2010 eröffnet.
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