„Markt verzweifelt“

Halbleitermangel zwingt Hersteller zum Tricksen

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31.05.2022 08:03

Angesichts der nach wie vor grassierenden Chip-Knappheit ergreifen immer mehr Hersteller ungewöhnliche Maßnahmen, um ihre Produktionslinien am Laufen zu halten. Sie nutzen etwa Halbleiter aus Waschmaschinen, schreiben ihren Code um, um weniger Chips zu benötigen, oder liefern ihre Produkte sogar ohne diese aus, um sie später nachzurüsten. „Auf dem Markt herrscht Verzweiflung“, fasst Bill Wiseman, Seniorpartner bei der Beratungsfirma McKinsey, die Situation zusammen.

„Wenn man ein Massenspektrometer für 350.000 Dollar baut und es nicht ausliefern kann, weil man keinen 50-Cent-Chip hat, ist man bereit, alles zu zahlen“, erläutert Wiseman gegenüber dem US-Magazin „Wired“. McKinsey hat sich dies zu Nutze gemacht und ein Team zusammengestellt, das sich mit der Beschaffung von Chips für die Unternehmen beschäftigt, die es berät. Dabei gelte es, über die üblichen Lieferketten hinauszuschauen, erklärt Wiseman. „Die Chips sind tatsächlich vorhanden“, sagt Wiseman. „Es geht nur darum, sie zu finden und zu bekommen.

Wohin das führen kann, erläuterte unlängst Peter Wennink, Chef des niederländischen Unternehmens ASML, das die komplexen Maschinen zum Prägen von Mikrochips herstellt. Er enthüllte laut Bericht, dass ein großes Industriekonglomerat dazu übergegangen ist, Waschmaschinen zu kaufen, um die darin enthaltenen Chips für seine Produkte zu verwenden.

Funktionen gestrichen
In der von der Chip-Krise besonders schwer getroffenen Autoindustrie hat man indes damit begonnen, bestimmte Funktionen aus den Fahrzeugen zu streichen, anstatt die Produktionslinien stillzulegen. Im September letzten Jahres erklärte Cadillac, dass es die Freisprecheinrichtung aus einigen Fahrzeugen entfernen würde. Im November begann Tesla mit dem Verkauf von Fahrzeugen ohne USB-Anschlüsse. Und im Mai dieses Jahres kündigte Ford an, einige Modelle ohne Chips für unkritische Funktionen wie die Heizungssteuerung auszuliefern und diese von den Händlern zu einem späteren Zeitpunkt einbauen zu lassen.

Code umgeschrieben
Laut Mike Juran, CEO von Altia, einem Unternehmen, das Software für die Entwicklung von Schnittstellen für Autos und Geräte herstellt, schreiben viele Unternehmen ihren Code inzwischen so um, dass er mit verschiedenen Chips funktioniert oder dass ein einziger Chip die doppelte Arbeit leistet. In einigen Fällen verwendeten die Unternehmen Chips, die bis zu zehn Jahre alt sind. „Sie tauschen die Chips gegen die neuesten aus“, so Juran gegenüber „Wired“. „Wir bringen sie dazu, auf alte Chips zurückzugreifen, die in den Lagern liegen und nicht mehr auf dem neuesten Stand sind, aber wir können die gleiche Benutzeroberfläche darauf installieren.“

TechInsights-Analyst Dan Hutcheson warnt indes davor, dass die aktuelle Chip-Knappheit schnell zu einem Überangebot führen könnte, wenn sich die Wirtschaft abkühlt und die Nachfrage nach neuen Produkten sinkt. Er fragt sich aber auch, ob es für die derzeitige Knappheit eine andere Erklärung geben könnte. „Es muss eine Hortung geben“, sagte Hutcheson dem US-Magazin. „Ich glaube, Chips sind das neue Klopapier."

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