Zensur in Russland

Medien warnen vor dem „digitalen Eisernen Vorhang“

Web
10.03.2022 14:25

Unabhängige russische Journalisten fürchten weitere Repressionen und einen „digitalen Eisernen Vorhang“ in Russland. Sollte Moskau keine Sperre über digitale Medien verhängen, würden „immer mehr Russen erfahren, was in der Ukraine passiert“ und das Misstrauen in die staatliche Propaganda steigen. „Das einzige, was sie tun können, ist die Bürger von allen Quellen unabhängiger Information abzuschneiden“, sagte der Politikjournalist Kirill Martynow der Zeitung „Nowaja Gaseta“.

Die Chefin des führenden unabhängigen Onlinemediums „Meduza“, Galina Timtschenko, pflichtete Martynow in einem vom Presseclub Concordia und forum journalismus und medien (fjum) organisierten Online-Pressegespräch am Donnerstag bei. Timtschenko, deren Medium Ende April vom Justizministerium in Moskau zum „ausländischen Agenten“ erklärt und in Russland blockiert wurde, erwartete eine weitere Verschärfung der Situation für unabhängige Journalisten in Russland. „Meduza“, das seinen Firmensitz schon vor längerer Zeit in die lettische Hauptstadt Riga verlegt hat, verfügt nach Angaben Timtschenkos über ein großes Publikum in Russland. Doch Mitarbeiter und freischaffende Journalisten seien durch Gesetzesverschärfungen nun verstärkt „in Gefahr“.

Strenge Zensur in russischen Medien
Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine allen Medien die Begriffe „Angriff“, „Invasion“ oder „Kriegserklärung“ im Zusammenhang mit der Berichterstattung untersagt. Das russische Parlament verabschiedete zudem eine Gesetzesänderung, wonach die Verbreitung angeblicher Falschinformationen über die russischen Streitkräfte mit hohen Geldstrafen und bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden kann. Darüber hinaus führen die russischen Behörden eine „schwarze Liste“ von Journalisten, die angeblich für „Agenten“ arbeiten und als „Staatsfeinde“ gelten, so Timtschenko, die weitere Schritte gegen ihr Medium erwartet.

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Die ganze Industrie ist zerstört.

Galina Timtschenko

Die meisten unabhängigen Journalisten müssten Russland verlassen oder wären bereits ausgewandert. Im Ausland hätten sie aufgrund der Sanktionen Schwierigkeiten, auf ihre Bankkonten und Kreditkarten zurückzugreifen. Timtschenko: „Die ganze Industrie ist zerstört.“

„Wir senden weiterhin auf allen Plattformen“
„Meduza“ sei in Russland zwar gesperrt, „aber wir senden weiterhin auf allen Plattformen“, betonte Timtschenko. Ihre Nachrichten würden über E-Mail-Newsletter, Messengerdienste, soziale Medien, Podcasts oder auf der Videoplattform YouTube verbreitet. „Meduza“ habe etwa mehr als eine Million Nutzer in ihren Telegram-Kanal. Das größte Onlinemedium in Russland sei YouTube mit rund 45 Millionen täglichen Usern, ergänzte Martynow . Viele Russen nutzen die Plattform nur für Unterhaltung. Deswegen könnte eine Blockade Unzufriedenheit auslösen, meinte der Journalist, dessen Zeitung als eines der wenigen unabhängigen Medien in Russland aktuell noch in Kiosken gekauft oder online gelesen werden kann.

„Nowaja Gaseta“ thematisierte kürzlich die Zensur mit einem Titelblatt, das im Hintergrund eine Atombombenexplosion zeigt und im Vordergrund tanzen Balletttänzerinnen den berühmten „Schwanensee“. In Russland sei es zwar nicht möglich, über Krieg oder das Vorgehen der russischen Streitkräfte in der Ukraine zu berichten, erklärte Martynow. Aber über die Folgen der sogenannten „Spezialoperation“ und die sozialen Implikationen in Russland sei es möglich. „Ich habe das Gefühl, dass meine Journalistenkollegen im Moment in großer Gefahr sind“, sagte auch er und beklagte, dass Russland zu einem immer rechtsfreieren Raum werde.

„Meduza“ und „Nowaja Gaseta“, kämpfen dennoch, um in Russland unabhängigen Journalismus zu erhalten. Das Internationale Presse Institut (IPI) unterstützt unabhängige Medien dabei. IPI startete eine Kampagne mit konkreten Maßnahmen wie finanzielle und praktische Unterstützung für Medien sowie die Einrichtung einer Datenbank für Verletzungen der Pressefreiheit im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt.

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