Platter im Interview

„Eine Impfpflicht muss man zu Ende denken“

Tirol
12.09.2021 12:30

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) bezeichnet im großen „Krone“-Interview eine Impfpflicht als „verführerisch“, ist aber trotzdem dagegen. Am privaten, sündteuren Wohnungsmarkt in Tirol will er Spekulanten den Kampf ansagen. Beim Transitproblem sieht er Verbündete.

„Krone“: Herr Landeshauptmann, beginnen wir mit dem Thema, das keiner mehr hören will: Corona. Am Montag starten viele Tiroler Schulen. Wie haben wir uns diesmal vorbereitet? Im Vorjahr lief es ja nicht gerade optimal.
Günther Platter: Bei einem Infektionsherd oder einer Infektion in einer Schule muss man natürlich sofort reagieren. Aber komplette Schließungen von Schulen und ganzen Klassen müssen unbedingt vermieden werden, um den Präsenzunterricht zu gewährleisten. Mittlerweile ist auch klar geregelt, dass geimpfte Schüler sowie Lehrer als K2-Kontaktpersonen eingestuft und nicht abgesondert werden, wodurch sie am Unterricht teilnehmen können. Das bedeutet einen wesentlichen Fortschritt gegenüber dem Vorjahr.

Sie haben unlängst in einem Interview gemeint, dass wir die Pandemie im Griff haben. Haben wir das wirklich? Wenn ja, warum schwingt ständig Angst vor weiteren Lockdowns mit?
Die Erfahrung bei dieser Pandemie zeigt, dass ständig neue Mutationen auftreten. Um die Lage im Griff behalten zu können, werden weiterhin bestimmte Maßnahmen, insbesondere für Ungeimpfte, notwendig sein. Das ist alles besser als ein Lockdown. Denn einen weiteren Lockdown hält die Gesellschaft nicht mehr aus, das halten wir auch wirtschaftlich nicht mehr aus und es ist auch für die Stimmungslage im Land nicht mehr vertretbar.

Warum traut man sich nicht, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen? Warum scheut das die Politik wie der Teufel das Weihwasser?
Man muss das bis zum Ende durchdenken. Natürlich wäre es verführerisch zu sagen, wir machen eine Impfpflicht. Aber eine große Lehre der Pandemie ist, dass man nur gemeinsam mit der Bevölkerung so eine Herausforderung bewältigen kann. Und wenn eine Impfpflicht besteht, dann läuft man Gefahr, dass dadurch jene, die wir noch abholen können, auf stur schalten. Was tun wir dann? Strafen? Was wäre die nächste Konsequenz? Ich möchte nicht, dass der Konflikt auf der Straße ausgetragen wird und es zu einer weiteren Verunsicherung kommt. Deshalb sind ein niederschwelliges Impfangebot und Aufklärung der richtige Weg.

Ist ein Lockdown für Ungeimpfte vorstellbar?
Nein. Es muss aber klar sein, dass wir es mit einer Pandemie der Ungeimpften zu tun haben. Im Moment macht der Anteil der Geimpften und der Genesenen in Österreich rund 70 Prozent aus. Die restlichen 30 Prozent sind noch ungeimpft und somit ungeschützt. Daher braucht es Maßnahmen zum Schutz dieser Gruppe, die auch nur diese Gruppe betreffen.

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Ich kann wenig damit anfangen, dass Geld oder Geschenke zur Verfügung gestellt und an jene verteilt werden, die sich jetzt impfen lassen.

Günther Platter

„Jeder Stich ist ein Erfolg“, hat Gesundheitslandesrätin Leja gesagt. Wenn das so ist, dann werden wir in Tirol ja noch viele Erfolge feiern, denn wir haben noch überdurchschnittlich viele, die gestochen werden müssen. Was halten Sie von Impf-Lotterien, sprich finanziellen Anreizen für Impfunwillige?
Ich kann wenig damit anfangen, dass Geld oder Geschenke zur Verfügung gestellt und an jene verteilt werden, die sich jetzt impfen lassen. Was denken sich alle anderen, die sich schon impfen haben lassen? Das ist nicht sinnvoll. Landesrätin Leja hat natürlich mit einem recht: Jeder Stich, der verabreicht wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

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Après-Ski in der bisherigen Form wird es nicht geben.

Günther Platter

Ein kurzer Corona-Blick noch auf die Wintersaison. Wird sie in Tirol stattfinden?
Es steht außer Frage, dass die Wintersaison stattfinden muss, natürlich unter bestimmten Rahmenbedingungen. Genau über diese Bedingungen, die ein Offenhalten der Skigebiete garantieren, gibt es demnächst Gespräche zwischen Branchenvertretern, der Tourismusministerin und den Ländern. Als Tiroler Tourismusreferent sage ich ganz klar: Es braucht praktikable und auch umsetzbare Lösungen für die Branche und die Seilbahnwirtschaft. Après-Ski in der bisherigen Form wird es aber nicht geben. Die Regeln für Après-Ski werden jenen der Nachtgastronomie ähneln.

Letzte Frage zu Corona: Soll das Testen kostenlos bleiben?
Ich vertrete nach wie vor die Meinung, dass die Tests auf Dauer nicht kostenlos sein können. Wichtig ist, dass die Impfungen kostenlos und niederschwellig bleiben, ohne Anmeldung und mit freier Impfstoffwahl angeboten werden. Aber: Nur mit der nötigen Eigenverantwortung lässt sich diese Pandemie bewältigen.

Themenwechsel: Wohnen, Verkehr, Standort Tirol. Wie stehen wir aktuell da?
Zum Standort Tirol: Generell ist es so, dass wir einen unglaublichen Aufholprozess hingelegt haben. Nach schwierigen Monaten der Pandemie sind wir jetzt wieder jenes Bundesland mit höchster Beschäftigung und niedrigster Arbeitslosenquote von 3,6 Prozent.

Und beim Thema Transit?
Wir haben die EU-rechtlich möglichen Maßnahmen ausgeschöpft und werden deswegen immer wieder von der Transit-Lobby in Italien und Deutschland angefeindet. Italien und Deutschland verkennen, dass die Industrie und die Unternehmen sofort umschalten, wenn sich die Begleitumstände ändern. Deshalb fordern wir weiterhin, dass Deutschland und Italien die Lkw-Maut erhöhen, um endlich diesen Umwegtransit, der 40 Prozent aller Lkw auf der Brennerroute ausmacht, wegzubekommen.

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Die Menschen und die Natur halten diese Situation nicht länger aus und auch bei der Infrastruktur sind wir an der obersten Kante angelangt.

Günther Platter

Haben wir da Verbündete?
Ja. Vor allem die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Wir sind ja immer wieder mit Klagsdrohungen konfrontiert, wiewohl sich Tirol im Rahmen des EU-Rechts bewegt. Deutschland wird akzeptieren müssen, dass wir verstärkt Blockabfertigungen vornehmen, um die Infrastruktur aufrecht erhalten zu können – Stichwort Sanierungen. Da wird es vermehrt Staus geben und ich werde es nicht zulassen, dass wir diesen Stau komplett in Tirol haben. Es wird Dosierungen benötigen, die dann Staus in Bayern zur Folge haben. Die Menschen und die Natur halten diese Situation nicht länger aus und auch bei der Infrastruktur sind wir an der obersten Kante angelangt.

Apropos oberste Kante: Beim Thema Wohnen ist die oberste Kante auch erreicht. In Tirol wird seit Jahrzehnten über zu teures Wohnen diskutiert. Passiert ist eher wenig.
Da muss man unterscheiden. Im sozialen Wohnbau sind wir gut aufgestellt, da gibt es unter anderem mit dem 5-Euro-Wohnen ein gutes Angebot. Anders ist es am privaten Markt, wo es natürlich sehr schwierig ist, als Politik einzugreifen. Doch wir drehen an allen Schrauben, die möglich sind. Ein großes Problem sind auch die Spekulanten.

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Wir als Politik können nicht den Preis am privaten Wohnungsmarkt vorgeben.

Günther Platter

Seit Jahren heißt es, dass die Rahmenbedingungen verändert werden müssen. Deshalb ein konkreter Fall: Ein Tiroler Paar, es verdient zusammen rund 9000 Euro brutto im Monat, versucht seit mehr als drei Jahren, eine Neubau-Wohnung zu kaufen, findet aber keine leistbare. Eine Sozialwohnung bekommen sie naturgemäß nicht. Da läuft doch etwas falsch?
Wir als Politik können nicht den Preis am privaten Wohnungsmarkt vorgeben. Was wir können und tun, ist den Spekulanten den Kampf ansagen sowie Bauland und Leerstand zu mobilisieren. Genau dafür arbeiten wir an einer Leerstandsabgabe, denn es kann nicht sein, dass speziell in der Landeshauptstadt Innsbruck viele Wohnungen leer stehen. Außerdem schränken wir die Freizeitwohnsitze maximal ein, wofür wir von einigen Immobilienentwicklern sogar angefeindet werden. Wir lassen uns von derartigem Widerstand aber nicht vom Kampf für leistbares Wohnen in Tirol abbringen.

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